Nach Halle: SPD-Abgeordneter Diaby fordert mehr Kontrolle im Internet
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 21. Oktober 2019)
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Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, der aus dem Senegal stammt und in Halle (Saale) seinen Wahlkreis hat, fordert nach dem Attentat in seiner Heimatstadt eine intensivere behördliche Kontrolle des Internets. „Wenn beim normalen Bürger der Eindruck entsteht, da ist niemand mehr, der mich vor Beleidigungen und Bedrohungen schützt, muss die Politik handeln“, sagte der Integrationsbeauftragte seiner Fraktion in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 21. Oktober).
Diaby beklagte eine „Verrohung der Sprache“, auch in den Landtagen und im Bundestag. Dort gebe es Redebeiträge, die von Aggressivität geprägt seien. „Wer einen solchen Stil pflegt, muss sich nicht wundern, dass die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt“, sagte Diaby. Er habe einige Reden von AfD-Abgeordneten in Erinnerung, bei denen er sicher sei, dass sie zur Radikalisierung potenzieller Gewalttäter beigetragen haben. Diaby: „Das betrifft übrigens auch so manche hässliche Äußerung über Afrikaner, auch im Deutschen Bundestag.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Diaby, wo und wie haben Sie von dem Anschlag in Halle erfahren?
Ich war in Halle in der Straßenbahn unterwegs und wollte in mein Bürgerbüro, als meine Tochter mich anrief und fragte, wo ich sei. Sie sagte, dass ich sofort nach Hause gehen solle, weil es im Paulusviertel eine Schießerei gebe. Und da habe ich dann auch schon die Polizei gesehen. Im Büro angekommen, habe ich dann erfahren, was los ist und war wirklich schockiert.
In und um Halle gibt es eine ausgeprägte rechtsradikale Szene. Das ist seit Jahren bekannt. Waren die Morde absehbar?
Nein, das kann man so nicht sagen. In Halle haben wir vor allem die „Identitäre Bewegung“, die mitten in der Stadt ein Haus bewohnt. Ausgerechnet unmittelbar gegenüber dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität. Schon das ist eine Provokation. Aber dass so ein Anschlag absehbar war? Nein, bestimmt nicht.
Als ein aus Afrika stammender Hallenser gehören Sie in Ihrer Heimatstadt ebenfalls zu einer Minderheit, die im Fokus Rechtsradikaler steht. Sie haben immer gesagt, sie hätten trotzdem keine Angst, in Halle zu sein. Hat sich das geändert?
Nein, das hat sich nicht geändert. Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Menschen, die so etwas Schreckliches tun, wollen andere einschüchtern. Gerade auch solche, die sich für die Demokratie und eine solidarische Gesellschaft engagieren. Ich persönlich habe keine Angst. Aber ich spüre bei den Menschen in Halle eine große Verunsicherung. Wahrscheinlich ist das ganz normal. Trotzdem hoffe ich sehr, dass das kein Dauerzustand wird. Dann hätte der Täter ja sein Ziel erreicht.
Erst die NSU-Mordserie, dann wird in Kassel Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen und jetzt das Attentat in Halle. Experten warnen seit Jahren vor einer rechtsextremen Welle der Gewalt. War die Politik zu sorglos?
Wir haben aus den NSU-Morden nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Ich hätte mir gewünscht, dass besser geklärt wird, wo welche rechtsextremistischen Netzwerke bestehen und wie sie funktionieren. Da ist zu viel im Dunkeln geblieben. Außerdem müssen wir uns endlich intensiver mit der Verrohung unserer Sprache auseinandersetzen. Insbesondere in den „Sozialen Medien“. Aber ich höre auch in unseren Parlamenten, in den Landtagen und im Deutschen Bundestag, Redebeiträge, die von großer Aggressivität geprägt sind. Wer einen solchen Stil pflegt, muss sich nicht wundern, dass die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt.
Jetzt gibt es ja Pläne, die Ermittlungsbehörden personell deutlich aufzustocken und mehr Befugnisse zur Überwachung zuzulassen. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die vor einem Überwachungsstaat warnen. Was ist richtig?
Wir müssen immer wieder Sorge dafür tragen, dass die Ermittlungsbehörden mit der Realität Schritt halten können. Wenn sich das Internet so entwickelt, dass beim normalen Bürger der Eindruck entsteht, da ist niemand mehr, der mich vor Beleidigungen und Bedrohungen schützt, muss die Politik handeln. Ich werde regelmäßig über die „Sozialen Medien“ beleidigt und bedroht und erstatte immer Anzeige. Leider meistens ohne Erfolg, weil von den Behörden viele Äußerungen als von der freien Meinungsäußerung gedeckt bewertet werden. Vergleichbar mit dem Fall Renate Künast. Ich halte das für einen Skandal. Dagegen muss etwas unternommen werden. Die Politik ist gefragt, neue Entwicklungen im Internet genau unter die Lupe zu nehmen.
Offenbar hat sich auch der Täter von Halle im Internet radikalisiert. Ein weiterer Fall, der verdeutlicht, dass es im Internet unkontrollierbare und damit rechtsfreie Räume gibt. Gibt es überhaupt noch eine Chance, gegen solche Auswüchse effektiv vorzugehen?
Das Internet ist ein Freiraum, aber kein rechtsfreier Raum. Die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit unterliegen Regeln, die im Internet nicht gelten sollen? Das ist doch nicht zu verstehen. Oder das Dark-net. Da läuft vieles völlig außerhalb der Kontrolle des Staates. Mir ist klar, dass eine Kontrolle nicht einfach ist. Aber trotzdem muss doch alles versucht werden, diesen rechtsfreien Raum möglichst weitgehend zu kontrollieren.
Führende Vertreter der AfD haben den Anschlag in Halle deutlich verurteilt. Trotzdem gibt es Vorwürfe, die AfD treffe eine Mitverantwortung, weil einzelne Äußerungen ihre Funktionsträger im Vorfeld dieser Tat als geistige Brandstiftung gewirkt hätten. Wie sehen Sie das?
Ich habe einige Redebeiträge von AfD-Abgeordnete in Erinnerung, wo ich hundertprozentig sicher bin, dass sie zur Radikalisierung potenzieller Gewalttäter beigetragen haben. Das betrifft übrigens auch so manche hässliche Äußerung über Afrikaner, auch im Deutschen Bundestag. Mich macht das immer wieder fassungslos. Ich würde mir wünschen, dass mehr darüber nachgedacht wird, was diskriminierende Meinungsäußerungen bei gewaltbereiten Menschen auslösen können.
Die Betroffenheit vieler Bürger über die Ereignisse in Halle ist groß. In vielen Städten gab es gut besuchte Solidaritätskundgebungen. Was kann jeder einzelne im Alltag darüber hinaus tun?
Wir müssen uns mehr mit der Frage beschäftigen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wenn wir in einer offenen Gesellschaft in Frieden, ohne Gewalt und unter Wahrung der Menschenrechte leben wollen, müssen wir dafür öffentlich eintreten und streiten. Es reicht nicht, die Politik in die Pflicht zu nehmen. Toleranz und Solidarität muss aus der Gesellschaft erwachsen. Die Politik kann das mit Rahmenbedingungen begleiten und unterstützen. Etwa mit einer verbesserten politischen Bildung. Oder mit mehr Medienkunde in den Schulen, damit die Kinder lernen, verantwortungsvoller mit digitalen Medien umzugehen. Die Realität sieht leider anders aus. Viele Lehrkräfte wollen sich mit Themen wie Rechtsextremismus doch gar nicht mehr im Unterricht auseinandersetzen. Aus Angst, ihre Meinung könnte von Schülern im Internet verbreitet werden. Das darf nicht sein und ist ein Armutszeugnis für unsere Demokratie. Außerdem müssen wir natürlich Initiativen, die sich gegen den Rechtsruck engagieren, weiter unterstützen.
Die rechte Szene in Deutschland zeigt sich ein inzwischen in einer Form selbstbewusst, die jeden Demokraten gruseln lassen muss. Woher kommt das eigentlich?
Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, bestimmte Dinge als normal zu empfinden. Das gilt zum Beispiel für verfassungsfeindliche Symbole, die etwa völlig offen als Tattoos zur Schau gestellt werden. Es ist leider wahr: Ein rechtes und menschenfeindliches Weltbild ist in dieser Gesellschaft angekommen. Und das können wir nicht weiter hinnehmen.
Herr Diaby, Sie haben Kinder. Wie vermitteln sie ihren Kindern ein Leben ohne Angst vor rechtsextremer Gewalt?
Das ist nicht einfach. Meinen Kindern habe ich immer wieder erklärt: Ihr wachst in Halle unter Freunden auf, mit denen ihr schon in der Kita und in der Schule wart. Es gibt aber eine kleine Gruppe in dieser Stadt, die uns ablehnen. Und auf die müsst ihr aufpassen. Wie gesagt: Man darf keine Angst haben, darf aber auch nicht naiv durch das Leben gehen. Deshalb ist es nötig, wachsam zu sein.
Karamba Diaby (57), Bundestagsmitglied seit 2013, stammt aus dem Senegal. Er kam in den 1980er Jahren in seinen heutigen Wahlkreis Halle.