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30. Januar 2020 Presse

„Es bringt nichts“
Linken-Verkehrspolitiker Jörg Cezanne kritisiert Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Beschleunigung von Genehmigungs- und Planungsverfahren

Vorabmeldung zu einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 3. Februar 2020)

- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -

Der Linken-Verkehrspolitiker Jörg Cezanne bezweifelt, dass die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe zur Beschleunigung von Genehmigungs- und Planungsverfahren die gewünschte Wirkung entfalten werden. „Ich habe nicht den Eindruck, dass mit den vorgelegten Entwürfen eine deutliche Verbesserung kommt“, sagte der Bundestagesabgeordnete in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 3. Februar 2020) anlässlich der für diesen Freitag vorgesehenen Verabschiedung der Entwürfe im Bundesstag. Es werde nicht zu einer schnelleren Planung kommen, „weil das eigentliche Problem die mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung der Planungsbehörden ist“.

Cezanne verwies auf „erhebliche europarechtliche Bedenken“ am Entwurf des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes, mit dem die Bundesregierung für 14 Infrastrukturprojekte eine Planung per Gesetz ermöglichen möchte. Der Abgeordnete betonte zudem, dass bereits nach der Deutschen Einheit auf Maßnahmengesetze zur Umsetzung bestimmter Projekte gesetzt worden sei – mit überschaubarem Erfolg: „Am Ende sind lediglich zwei Projekte auf diese Art und Weise abgewickelt worden, weil man festgestellt hat: Es bringt nichts.“

Das Interview im Wortlaut:

Herr Cezanne, dauern die Planungen von Verkehrsprojekten in Deutschland zu lange?

Den Eindruck kann man schon gewinnen. Zum Teil geht man davon aus, dass für Bahnstrecken eine Planungszeit von zehn bis 15 Jahren nötig ist. Auch Straßenbahnen zu planen, ist ein Mammutprojekt. Das ist gerade vor dem Hintergrund, dass zu Abwendung des Klimanotstandes ein zügiger Ausbau des ÖPNV nötig wäre, nicht gut.

Dann müssten doch die Planungsbeschleunigungsvorhaben der Bundesregierung in ihrem Sinne sein, oder?

Nein, sind sie nicht. Ich habe – ebenso wie Übrigens der Bundesrat – nicht den Eindruck, dass mit den vorgelegten Entwürfen eine deutliche Verbesserung kommt. Zum Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz gibt es erhebliche europarechtliche Bedenken. Es wird auch nicht zu einer schnelleren Planung kommen, weil das eigentliche Problem die mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung der Planungsbehörden ist.

Verkehrsminister Scheuer ist aber der Auffassung, dass große Verkehrsinfrastrukturprojekte mit Klagen ausgebremst werden, die Gerichtsprozesse sich über Jahre hinziehen und sich das Ganze somit verzögert.

Es gibt meines Wissens keine substanzielle Untersuchung, die wirklich belegt, woran die Planungsverfahren scheitern. Kolportiert wird immer, das liege an Umweltschützern, die seltene Fledermäuse schützen wollten. Bei einer Expertenanhörung jüngst wurde aber gesagt, es habe zwischen 2008 und 2018 ganze sechs Klagen gegen Bahnprojekte und fünf gegen Wasserstraßenprojekte gegeben. Das ist relativ wenig. Das Bundesumweltamt sagt, nur jedes 58. Verfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung würde beklagt. Das kann also nicht der Grund für die Verzögerung sein.

Mit dem Gesetz wird dennoch das Klagerecht eingeschränkt, auf der anderen Seite aber die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung festgeschrieben. Trifft Letzteres auf Ihre Zustimmung?

Das ist ein guter Gedanke. Im Gesetz ist aber nicht eindeutig geregelt, wie diese Öffentlichkeitsbeteiligung aussehen soll. In der Befassung muss aber noch darüber mitentschieden werden könne, ob das Projekt überhaupt gebaut wird. Unklar ist auch, wer unter der Öffentlichkeit subsummiert wird. Also ob Verbände und Stakeholder oder auch Privatpersonen mitentscheiden dürfen.

Macht es Sinn, Anlieger einer geplanten Bahnstrecke darüber mitentscheiden zu lassen, ob die Strecke an ihren Grundstücken gebaut wird?

An einzelnen Einsprüchen scheitern solche Projekten mit übergeordneten gesellschaftlichen Interesse sicher nicht. Mit dem Gesetz wird aber ausgeschlossen, das anerkannte Umweltverbände beispielsweise gegen das Planfeststellungsverfahren klagen. Das kritisieren wir. Im Übrigen hat es Maßnahmengesetze im Zusammenhang mit den Projekten der Deutschen Einheit schon gegeben. Am Ende sind lediglich zwei Projekte auf diese Art und Weise abgewickelt worden, weil man festgestellt hat: Es bringt nichts.

Bringt die Umsetzung der Bundesratsforderung nach Anwendbarkeit des Planungsbeschleunigungsgesetzes beim Bau von Straßen- und U-Bahnen etwas?

Das finden wir auf jeden Fall gut. Wie der Sinneswandel bei der Koalition zu begründen ist, die das ja lange abgelehnt hat, kann ich allerdings nicht sagen. Ich habe aber durchaus das Gefühl, dass bei der Union in Sachen ÖPNV ein begrüßenswertes Umdenken eingesetzt hat. Positiv ist auch, dass die Kommunen bei den Finanzierungsbeiträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz entlastet werden.

Hat das tatsächlich eine größere Relevanz?

Durchaus. Wenn eine Bahnstrecke eine kommunale Straße kreuzt, musste die Kommune bislang ein Drittel der Kosten tragen. Es gibt viele Projekte, bei denen die Kommunen diese finanzielle Last nicht tragen konnten und die sich daraufhin deutlich verzögert haben. Künftig übernimmt der Bund die Hälfte, die Bahn ein Drittel und das Land den Rest der Kosten.

Gestrichen wurde aus dem Planungsbeschleunigungsgesetz die noch im Referentenentwurf enthaltene materielle Präklusion. Zu Recht?

Es gibt gravierende verfassungsrechtlich Bedenken dazu, das man sagt: Egal was nach einer bestimmten Frist noch passiert – wenn bis dahin die Bedenken nicht vorgetragen wurden, finden sie keine Berücksichtigung mehr. Ganz vom Tisch ist das aber noch nicht. Verkehrsstaatssekretär Ferlemann hat im Ausschuss gesagt, die Bundesregierung wartet ab, was der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Präklusionsregelung der Holländer sagt, die dort gerade anhängig ist. Allein der gesunde Menschenverstand sagt aber eigentlich schon, wenn im Laufe des Projektes vorher unbekannte Einwände auftauchen, kann man nicht einfach darüber hinwegsehen. Wenn die Bodenbeschaffenheit beispielsweise eine andere ist, als beim Beschluss angenommen, und sich als nicht tragfähig herausstellt, baut man ja auch nicht einfach weiter.

Blicken wir auf die Zahl der Projekte, die im Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz aufgeführt sind. Aus zwölf sind nun 14 geworden. Tendenz steigend?

Mich hat schon die Auswahl der zwölf Projekte nicht überzeugt. Auch der Bundesrat warnt ja davor, dass die Bundesregierung durch das Gesetz ohne Rücksprache mit den Ländern weitere Projekte aufnehmen kann.

Derzeit sind es Schienen- und Wasserstraßenprojekte. Rechnen Sie damit, dass auch Straßenbauprojekte aufgenommen werden?

Es ist zu befürchten. Bislang wird ja im Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz mit dem Klimanotstand argumentiert, so dass es bei umweltschonenden Verkehrsträgern bleibt. Aber es gibt schon jetzt Stimmen, die eine Öffnung für Straßenbauprojekte fordern.

Vergangene Woche wurde auch über eine Erhöhung der Bundesmittel für den ÖPNV entschieden. Dazu kommt noch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die viel Geld für die Bahninfrastruktur bringt. Da macht doch der Verkehrsminister einen guten Job, oder?

Ich räume durchaus ein, dass in der Union ein gewisses Umdenken stattgefunden hat. Die Dimension der angestrebten Veränderungen steht nur leider überhaupt nicht im Verhältnis zu den aktuellen Problemen, die wir haben, und auch nicht im Verhältnis zu dem Klimanotstand, auf den wir zusteuern. Derzeit ist es so, dass neben der vierspurigen Autobahn eine Bahnlinie verlegt wird. Das ist ein Ausbau. Eine Verkehrswende wäre es, wenn der ÖPNV so ausgebaut ist, dass Straßen zurückgebaut werden können.

Sind die Deutschen denn bereit für einen Autoverzicht?

Ich will gar nicht von einem Verzicht auf das Auto reden. Wir müssen ein Verkehrsangebot schaffen, in dem niemand mehr darauf angewiesen ist, ein Auto zu besitzen. Dazu muss der ÖPNV ausgebaut werden und in den Städten auch ein Straßenrückbau erfolgen. In vielen größeren Städten gibt es die Bereitschaft in der Bevölkerung dazu. Wenn aber 70 Jahre lang Verkehrspolitik nur aus Straßenbau besteht, kann man das nicht von einem Augenblick zum anderen ändern. Es wurden Bereiche geschaffen, in den die Menschen ohne Auto gar nicht mehr gelangen. Das zu ändern, muss der erste Schritt sein.


Das Gespräch führte Götz Hausding.

Jörg Cezanne sitzt seit 2017 für die Fraktion Die Linke im Bundestag und ist Mitglied im Verkehrsausschuss.


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