„Ein wichtiges Paket“ / Klaus Ernst (Die Linke.) im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. März 2020) - bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Ernst, hat die Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterstützung der Wirtschaft in der Corona-Krise grundsätzlich begrüßt. Zugleich dringt er auf Nachbesserungen. Die Linke hätte gerne das Kurzarbeitergeld von 60 bis 67 Prozent auf 90 Prozent des Nettolohns erhöht, denn von 60 Prozent könne gerade im Niedriglohnsektor niemand leben, sagte Ernst der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Die Arbeitgeber bekommen die Sozialbeiträge in voller Höhe erstattet. Es wäre fair gewesen, auch die Arbeitnehmer besser abzusichern.“
Außerdem wolle seine Fraktion im Gesetz geregelt sehen, dass Unternehmen, die unter den staatlichen Rettungsschirm schlüpfen, nicht gleichzeitig Dividenden ausschütten oder Sonderboni an Vorstände oder Aufsichtsräte auszahlen. Die Bezüge der Vorstände gehörten in einem solchen Fall begrenzt, Spekulation müsse eingedämmt werden.
Eine Chance in der Krise sieht der Linkspolitiker in einem kritischen Blick auf das Gesundheitssystem. „Gleiches gilt für die Abhängigkeit bei der Versorgung – es stellen sich Fragen, etwa ob es richtig war, bestimmte Produktionen komplett ins Ausland zu verlagern“, sagte er. Bestimmte systemrelevante Produkte werde man wieder in Europa herstellen müssen, auch wenn es teurer ist. „Billig hilft nichts, wenn es nicht da ist.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Ernst, ein Rettungspaket in Milliardenhöhe, quer über alle Branchen und Unternehmensformen hinweg – wie zufrieden sind Sie mit der Antwort der Bundesregierung auf die Corona-Krise?
Es ist ein sehr wichtiges Paket mit einem Finanzvolumen, das zum jetzigen Zeitpunkt ausreichend ist. Insgesamt ist es eine gute Sache, mit der wir hoffentlich das erreichen, was erreicht werden soll, nämlich die enormen wirtschaftlichen Risiken dieser Krise wirtschaftlich zu bewältigen. Deswegen haben wir im Bundestag auch zugestimmt. Wir hätten uns allerdings an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungen gewünscht.
Wo hätten Sie nachgebessert?
Wir hätten gerne das Kurzarbeitergeld von 60 bis 67 Prozent auf 90 Prozent des Nettolohns erhöht, denn von 60 Prozent kann gerade im Niedriglohnsektor niemand leben. Die Arbeitgeber bekommen die Sozialbeiträge in voller Höhe erstattet. Es wäre fair gewesen, auch die Arbeitnehmer besser abzusichern. Außerdem wollten wir im Gesetz geregelt sehen, dass Unternehmen, die unter den staatlichen Rettungsschirm schlüpfen, nicht gleichzeitig Dividenden ausschütten oder Sonderboni an Vorstände oder Aufsichtsräte auszahlen. Auch gehören, ähnlich wie vor Jahren bei der Commerzbank, die Bezüge der Vorstände in einem solchen Fall begrenzt.
Wie bewerten Sie weiterreichende Änderungen, etwa im Mietrecht, wo es für Mieter die Möglichkeit geben soll, bei Corona-bedingten Schwierigkeiten die Miete schuldig zu bleiben?
Wir hätten uns darüber hinausgehend ein Verbot von Mietvertragskündigungen, Zwangsräumungen und Stromsperren während der Krise gewünscht. Außerdem erwarten wir Lösungen für diejenigen, die auch nach der Krise ihre Mietschulden nicht in der vorgesehenen Zeit werden begleichen können. Im Moment werden Insolvenzrisiken nur verschoben – auf die Vermieter oder die Versorgungsunternehmen.
Welche Lösung schwebt Ihnen da vor?
Grundsätzlich können wir erwarten, dass auch die Immobilienwirtschaft einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leistet. Wenn Vermieter oder Versorgungsunternehmen durch die Stundungsregelungen in Bedrängnis kommen, stehen ihnen ebenfalls die Hilfspakete offen. So verhindern wir, dass Steuergelder in Bereiche fließen, die es auch ohne Unterstützung schaffen können, damit wir die unterstützen, die es wirklich nötig haben.
Direkter soll es mit den Soforthilfen funktionieren, die Selbstständige und Kleinunternehmen schnell unterstützen sollen. Wie durchdacht ist das?
Das Finanzvolumen von 50 Milliarden Euro erachten wir als ausreichend und wir halten das Vorhaben insgesamt für wichtig. Es hilft denen, die in der Regel über kaum ein finanzielles Polster verfügen, ihre laufenden Kosten nicht mehr decken können und ohne diese Hilfe in ihrer Existenz bedroht wären. Gewünscht hätten wir uns einen höheren Betrag für die Menschen, die sich in Folge der Krise über Hartz IV versorgen müssen.
Wie stehen Sie zu Forderungen nach allgemeinen Steuersenkungen als Entlastung für möglichst viele?
Allgemeine Steuersenkungen, insbesondere für Unternehmen, belasten den Staatshaushalt langfristig und sind überdies überflüssig. Wir haben jetzt schon eine geringere Reinvestitionsquote von Gewinnen als vor 20, 30 Jahren. Stattdessen denken wir über eine Vermögensabgabe für Reiche und Superreiche nach, um diese angemessen an den Kosten der Krise zu beteiligen. Dagegen sind Steuersenkungen bei kleinen und mittleren Einkommen durchaus sinnvoll.
Welche Regelungen fordern Sie für Unternehmen, die Hilfsgelder erhalten?
Mit unserem Plädoyer für eine Begrenzung von Vorstandsgehältern und von Dividendenausschüttungen stehen wir nicht allein da. Wir werden darauf dringen, dass solche Punkte noch ins Gesetz aufgenommen werden. Es ist Bürgern nicht verständlich zu machen, dass das ganze Land auf Verzicht getrimmt ist, aber sich einige in der Situation eine goldene Nase machen. Ich möchte das Beteiligungsrecht und die Prüfmechanismen des Bundestags schärfen.
Während die Hilfen für Kleinstunternehmen und Großbetriebe geregelt sind, scheinen kleinere Firmen die zu sein, die durchs Raster fallen.
Die kurzfristigen Zuschüsse erhalten Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten. Alle größeren Unternehmen können sich um Liquiditätshilfen in Form von Krediten und Bürgschaften bemühen, für die der Staat 90 Prozent des Risikos übernimmt. Dies sollte ausreichen, damit die Hausbanken die Kredite auch vergeben. Es liegt an den Hausbanken, insbesondere an denen des öffentlichen Sektors, die eingehenden Kreditanträge jetzt schnell und unbürokratisch zu prüfen und auszuzahlen. Das ist ihr Job. Darüber hinaus brauchen wir bei den verschiedenen Programmen eine gute Abstimmung zwischen Ländern und Bund.
Keine Prüfung mehr der Wohnungsgrößen, auch Entgegenkommen beim Thema Mietzahlungen – eigentlich ziemlich linke Politik, oder?
Ja, nur muss man jetzt insgesamt aufpassen, dass wir keine Sozialisierung der Verluste und eine weitere Privatisierung der Gewinne erleben. Wenn sich der Staat an einem Unternehmen beteiligt, muss es eine aktive Beteiligung sein, und der Staat muss nach der Rückkehr in die Gewinnzone seine Anteile entsprechend verzinst bekommen. Schön wäre, wenn linke Ideen auch im Normalzustand aufgegriffen würden, nicht nur im Krisenmodus. Zum Beispiel haben wir die Privatisierung des Gesundheitssystems, die dazu geführt hat, dass jetzt zu wenig Pflegepersonal da ist, dass Notfallbetten und Schutzausrüstung knapp werden, immer abgelehnt.
Wer soll so eine aktivere Rolle des Staates bezahlen?
Bezahlt werden muss es von den Bürgerinnen und Bürgern. Allerdings von allen, nicht nur von den Kassenpatienten. Deshalb treten wir auch dafür ein, dass die gesetzliche Krankenversicherung als eine allgemeine Bürgerversicherung, in der alle Mitglied sind, organisiert wird.
Sehen Sie eine Chance in der derzeitigen Krise, an diesen Zuständen grundsätzlich etwas zu ändern?
Ohne die Krise wäre der kritische Blick auf unser Gesundheitssystem sicher nicht so intensiv. Gleiches gilt für die Abhängigkeit bei der Versorgung – es stellen sich Fragen, etwa ob es richtig war, bestimmte Produktionen komplett ins Ausland zu verlagern. Das Problem hat sich schon vor der Corona-Krise gezeigt. Bestimmte systemrelevante Produkte wird man wieder in Europa herstellen müssen, auch wenn es teurer ist. Billig hilft nichts, wenn es nicht da ist.
Inwiefern kann die Situation dazu dienen, auch die Rolle von Parlamentarismus zu überdenken?
Das Tempo, in dem wir diese Gesetze verabschiedet haben, macht mir Angst – genauso wie die Art und Weise, wie der Bundestag dabei seine Arbeit organisiert hat. Wir hätten uns durchaus eine ganze Woche Zeit nehmen können, um die Gesetze, in denen es immerhin um eine Neuverschuldung über 156 Milliarden Euro ging, ausführlich zu beraten. Prinzipiell brauchen wir umso mehr parlamentarische Kontrolle, je mehr Macht der Regierung zuwächst. Der Bundestag hat Vorkehrungen getroffen, damit er auch in Zeiten von Corona handlungsfähig bleibt. Wir erwarten schließlich von Krankenpflegern, Ärzten und Feuerwehr, dass sie ihren Job machen. Da kann man von gut bezahlten Abgeordneten das gleiche erwarten – schließlich haben wir gezeigt, dass es möglich ist, mit dem entsprechenden Sicherheitsabstand zu tagen.
Das Gespräch führte Kristina Pezzei.
Klaus Ernst (65) ist Vorsitzender des Wirtschaftsausschuss.