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15. Mai 2020 Presse

Gerade die Corona-Krise zeigt, dass die Grundrente nötig ist, sagt der Rentenexperte der SPD, Martin Rosemann

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“  (Erscheinungstag: 18. Mai 2020)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –

Die Corona-Pandemie sei kein Argument gegen die Grundrente, sondern das Gegenteil ist der Fall, betont Martin Rosemann (SPD) in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“: Man könne nicht einerseits die besondere Leistung von Menschen würdigen, die jetzt an der Supermarktkasse oder in der Altenpflege dafür sorgen, dass wichtige gesellschaftliche Bereiche weiter funktionieren, und gleichzeitig abwinken, wenn es um die Alterssicherung von Menschen geht, die nicht  ihr ganzes Leben ein üppiges Einkommen hatten. „Es geht doch darum, diese Lebensleistung anzuerkennen. Deswegen zeigt uns gerade die  aktuelle Situation deutlich, dass wir die Grundrente brauchen. Ich kann nur sagen: Drei Regierungen sind an dem Versuch gescheitert, eine Grundrente einzuführen. Jetzt sind wir so weit gekommen – es würde niemand mehr verstehen, wenn wir das jetzt nicht hinbekommen würden.“

Befürchtungen, die Union könne das Projekt noch auf den letzten Metern stoppen, wies er zurück. Alle Beteiligten würden vertragstreu sein, zeigte sich Rosemann zuversichtlich. Auch an der Finanztransaktionssteuer werde die Finanzierung nicht scheitern, dies sei schließlich nur ein Teil der Finanzierung, so der SPD-Politiker.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Rosemann, nach langer Diskussion fand am Freitag die erste Lesung des  Grundrentengesetzes im Bundestag statt. Trotzdem glauben Kritiker immer noch, dass das Projekt so nicht durchsetzbar ist. Kann es auf den letzten Metern tatsächlich noch kippen?

Nein. Denn es wurde in der Koalition auf höchster Ebene fest verabredet, dass die Grundrente zum 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Insofern gehe ich  davon aus, dass alle Beteiligten auch vertragstreu sind. Und die Herausforderungen in der konkreten Umsetzung  lassen sich noch klären.

Nun hat aber erst vor ein paar Tagen Ralph Brinkhaus gedroht, die Tatsache einer ersten Lesung bedeute nicht, dass die Union zustimme. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen?
Nein. Ich weiß nicht, warum Herr Brinkhaus so eine Kraftmeierei benötigt. Es gibt dazu klare Verabredungen auf höchster Ebene und ich denke, dass die Unionsfraktion sich daran auch halten wird.

Aber der Einwand der noch ungeklärten Finanzierung wird nicht nur von der Union erhoben. Ob es die Finanztransaktionssteuer jemals geben wird, ist ja noch völlig unklar.
Wir haben festgelegt, dass die Grundrente aus Steuern finanziert wird und diese Verabredung gilt. Nur ein Teil der Finanzierung soll aus den Einnahmen Finanztransaktionssteuer kommen. Aber da arbeitet der Bundesfinanzminister nach wie vor an einer Lösung auf europäischer Ebene. Die Finanzierung der Grundrente insgesamt hängt aber davon nicht ab.

Deutschland steht der größten Rezession seit langem gegenüber,  Themen wie die Rettung von Arbeitsplätzen stehen im Vordergrund. Wieso ist es jetzt trotzdem Zeit für die Grundrente?
Man kann doch nicht einerseits die besondere Leistung von Menschen würdigen, die jetzt an der Supermarktkasse oder in der Altenpflege dafür sorgen, dass wichtige gesellschaftliche Bereiche weiter funktionieren. Und gleichzeitig abwinken, wenn es um die  Alterssicherung von Menschen geht, die nicht  ihr ganzes Leben ein üppiges Einkommen hatten. Es geht doch darum, diese Lebensleistung anzuerkennen. Deswegen zeigt uns gerade die  aktuelle Situation deutlich, dass wir die Grundrente brauchen. Ich kann nur sagen: Drei Regierungen sind an dem Versuch gescheitert, eine Grundrente einzuführen. Jetzt sind wir so weit gekommen - es würde niemand mehr verstehen, wenn wir das jetzt nicht hinbekommen würden.

Für wie ausschlaggebend halten Sie denn die Grundrente, um Altersarmut wirklich zu bekämpfen?
Die Grundrente wird Altersarmut reduzieren. Aber es ist nicht das einzige Ziel der Grundrente, Altersarmut zu bekämpfen. Genauso wichtig ist es, die Lebensleistung von Menschen anzuerkennen, die ihr Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben und trotzdem nur auf sehr geringe Rentenanwartschaften kommen. Dort,  wo aufgrund fehlender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung keine oder fast keine Rentenanwartschaften bestehen, wird die Grundrente  Altersarmut auch nicht bekämpfen. Dafür ist weiter die Grundsicherung da, das  muss man ehrlicherweise  dazu sagen. Unter anderem deshalb arbeiten wir  auch an einem Gesetz, um Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Denn  gerade sie sind wegen fehlender Absicherung für das Alter überproportional häufig von Altersarmut betroffen.

Nun haben auch die anderen Fraktionen Vorschläge in diese Richtung entwickelt. Was spricht  gegen die Idee, einfach einen höheren Teil der gesetzlichen Rente nicht mit der Grundsicherung zu verrechnen?
Damit bleiben die Menschen trotzdem im System der Grundsicherung. Ja, es landen letztlich noch mehr Menschen in der Grundsicherung als vorher. Das Problem ist doch, dass viele Menschen mit Anspruch auf Grundsicherung, diesen nicht einlösen, weil sie einen Antrag beim Sozialamt stellen müssen. Diesen Aufwand scheuen viele, andere schämen sich. Deswegen gibt es einen nicht unerheblichen Teil verdeckter  Altersarmut. Die Grundrente wird  nun aber eine Rentenleistung sein, für die  kein  Antrag nötig ist, weil sie automatisch bewilligt wird, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Sie wird zwar als gesamtgesellschaftliche Aufgabe über Steuern finanziert, aber es ist eine Rentenleistung. Das ist der große sozialpolitische Fortschritt unseres Konzeptes. Es ist  auch eine Frage der Würde, ob Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben,  im Alter zum Sozialamt gehen müssen.

Die Linke geht am weitesten, indem sie eine Solidarische Mindestrente von 1.050 Euro für alle fordert. Was sagen Sie dazu?
Man muss eine Politik machen, die gesamtgesellschaftlich finanzierbar und vermittelbar ist - und zwar für alle Generationen, nicht nur für die aktuelle Rentnergeneration. Die Forderung der Linken ist dies aber nicht.

Nun sind viele von Altersarmut Betroffene Erwerbsminderungsrentner, die  oft noch nicht einmal auf 33 Beitragsjahre in der Rentenversicherung kommen. Sollte man ihnen nicht noch mehr entgegen kommen?
Ich würde mir wünschen, dass wir generell mehr für Erwerbsminderungsrentner tun. Die Fortschritte der  vergangenen Jahre  bei der Erhöhung der Zurechnungszeiten beziehen sich jeweils nur auf Neurentner. Es wäre gerecht, diese Regelung auch auf Bestandsrentner zu übertragen. Insofern ist das noch eine Baustelle, die wir haben. Allerdings will ich an dieser Stelle auch keine falschen Hoffnungen wecken. Denn es war schon ein steiniger Weg, im Koalitionsausschuss überhaupt so weit zu kommen. Deswegen sollten wir froh sein, dass wir den Einstieg in die Grundrente jetzt schaffen. Alles darüber hinaus braucht andere politische Mehrheiten.

Nach Angaben der Rentenversicherung sind tausende neue Stellen nötig, um den nötigen Datenabgleich für die Grundrente technisch umzusetzen. Wie soll das geschafft werden?
Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung für die Rentenversicherung. Und je länger man braucht, um das Gesetz abzuschließen, desto enger wird das Zeitfenster. Wir haben in der Vergangenheit bei anderen größeren Veränderungen in der Rentenversicherung  auch schon  schrittweise Umsetzungen vereinbart. Das wäre also nicht neu. Aber klar ist: Der Anspruch auf die Grundrente muss zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Dass die Beträge dann gegebenenfalls später und rückwirkend ausgezahlt werden, muss man der Rentenversicherung zugestehen. Das ist eine der Fragen, die wir noch zu klären haben.

Im April hat die Rentenkommission ihren lange erwarteten Entwurf zur Zukunft des Alterssicherungssystems vorgelegt. Das Echo darauf war eher verhalten, der große Wurf für zwei Jahre Arbeit fehle, hieß es.
Die Beratungen sind ja letztlich verlängerte Koalitionsverhandlungen unter Beteiligung von Wissenschaftlern und Sozialpartnern gewesen. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können. Für die SPD ist es wichtig, dass das Prinzip der doppelten Haltelinie für Rentenniveau und Beitragssatz auch für die Zeit nach 2025 von der Kommission empfohlen wird. Das dient der längerfristigen Sicherheit unseres Alterssicherungssystems. Das finde ich wichtig, denn es ist eine Abkehr von der Idee,  das Rentenniveau dem freien Fall zu überlassen  und dem Spiel der Demografie auszusetzen. Die Kommission hat die  Politik klar in die Verantwortung genommen, auch längerfristig diese Haltelinien zu definieren.

Martin Rosemann (SPD) ist seit 2013 Mitglied des Bundestages. Er ist stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales seiner Fraktion.

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