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7. August 2020 Presse

Anke Domscheit-Berg: Eine Wirkung haben
Interview mit der Zeitung „Das Parlament“

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 10. August 2020)

– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –

Die Netzpolitikerin der Linksfraktion, Anke Domscheit-Berg, sieht die Parteien in der Pflicht, attraktiver für junge Menschen und für Frauen zu werden. „Gerade junge Leute, die politisch interessiert sind, und das sind wirklich sehr viele, wollen erleben, dass sie irgendeine Wirkung haben“, sagte Domscheit-Berg der Wochenzeitung „Das Parlament“, die als Themenausgabe mit dem Schwerpunkt Parteien am 10. August erscheint. „Und wenn sie den Eindruck haben, es macht gar keinen Unterschied, ob sie kommen oder nicht, dann gehen sie halt lieber zu Fridays for Future, wo sie sich abends in der Tagesschau sehen können und das Gefühl haben, da ist ein Umdenken passiert und sie waren ein Teil davon.“

Domscheit Berg, die bereits Mitglied der Grünen und der Piraten gewesen war, spricht sich zudem für verbindliche Frauenquoten aus. „Das Argument, es gäbe nicht genug gute Frauen, ist ja durch die Parteien, die das seit vielen Jahren praktizieren, widerlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand daherkommt und sagt, die weiblichen Anteile der Grünen oder der Linken sind weniger fachlich qualifiziert als die weiblichen Anteile der anderen Parteien oder die Männer.“

Immer noch seien die Bedingungen von Parteiarbeit wenig familienfreundlich. „Warum muss ich mir einen Babysitter leisten können, um an einem Parteiabend teilzunehmen? Warum kann ich nicht, in Corona-Zeiten haben wir das ja erfolgreich geübt, auch über eine Videokonferenz teilnehmen, während eine Wohnzimmertür weiter mein Kind friedlich vor sich hin schläft?“

Das Interview im Wortlaut:

Frau Domscheit-Berg, Sie waren Mitglied der Grünen, dann der Piratenpartei. Jetzt sind Sie parteilos und haben damit auch einen gewissen Außenblick auf das deutsche Parteiensystem. Die meisten Parteien tun sich schwer, neue Mitglieder zu gewinnen, der Altersdurchschnitt steigt. Woran liegt das?

Wir hatten sehr lange keine Jugend, die derart politisch interessiert und engagiert war wie heute. Die Frage ist aber: Warum machen sie es in außerparlamentarischen Initiativen offensichtlich lieber als in Parteien? Da müssen sich alle Parteien Mal sehr hart an ihre eigene Nase fassen und generell überlegen, denn das betrifft ja nicht nur die Jugend: Warum ist im Moment das Vertrauen in Parteien offensichtlich erschüttert? Man kann es sogar noch weiter fassen und sich fragen: Warum ist das Vertrauen in die Demokratie offenbar im Moment erschüttert? Da gibt es jede Menge Vorurteile wie „die Politiker arbeiten alle nur für sich selber“, aber in diesen Vorurteilen stecken auch wahre Kerne. Nehmen Sie den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor, der mit seinem Verhalten der Politik und den Parteien keinen Gefallen getan hat. Oder dieses Parteitags-Sponsoring, Stellwände bei bestimmten Parteien, die aussehen wie die Logo-Sammlung bei der Formel 1. Das ist nicht vertrauensbildend für Menschen, die das in der Tagesschau sehen müssen.

Könnte auch die Art, wie Politik gemacht wird, abschreckend auf junge Leute wirken?

Junge Leute beschäftigen sich zum Teil mit völlig anderen Themen als wir hier im Bundestag. Und wenn wir über die gleichen Themen reden, dann machen wir das auf eine völlig andere Art und Weise. Politik wird im Moment noch viel zu sehr, da klinge ich vielleicht auch wie ein Klischee, von alten weißen Männern im Bundestag gemacht. Und dann werden schlechte Entscheidungen getroffen, die sich besonders lange, besonders negativ auf die Jugend auswirken.

Wenn junge Menschen doch in eine Partei eintreten, treffen sie oft auf eingefahrene Strukturen, fühlen sich einflusslos und treten wieder aus. Müssten die Parteien vielleicht auf den unteren Ebenen etwas tun, um Neumitglieder besser einzubinden?

Ich habe mit jungen Menschen verschiedener Parteien gesprochen, die genau solche Erfahrungen gesammelt haben. Sie treffen auf recht alte Ortsverbände, nicht überall, aber an vielen Orten. Dann sitzen sie da zwischen Siebzigjährigen, und es wird viel Zeit verplempert, um über in ihren Augen langweiligen Kleinkram zu reden. Man redet wenig über Visionäres, wenig über Zukunft, wenig über große Themen, die die jungen Leute aber überdurchschnittlich interessieren. Auch der Formalismus macht die fix und fertig. Dazu machen sie die Erfahrung, dass man in Parteien oft vor allem durch Zeit aufsteigt. Mit 18 will ich mir nicht vorstellen, dass ich eventuell mit 48 Einfluss in einer Partei habe. Gerade junge Leute, die politisch interessiert sind, und das sind wirklich sehr viele, wollen erleben, dass sie irgendeine Wirkung haben. Und wenn sie den Eindruck haben, es macht gar keinen Unterschied, ob sie kommen oder nicht, dann gehen sie halt lieber zu Fridays for Future, wo sie sich abends in der Tagesschau sehen können und das Gefühl haben, da ist ein Umdenken passiert und sie waren ein Teil davon.

Frauen sind in fast allen Parteien deutlich unterrepräsentiert. Was könnten die Parteien tun, um für Frauen attraktiver zu sein?

Ich habe mich gerade sehr mühsam durchgerungen, für eine zweite Legislatur zu kandidieren, denn man hat kaum noch Privatleben. Familie, Freunde, Hobbies, Ehrenämter – das kommt dann alles zu kurz. Für Eltern ist das doppelt schwer, und auch wenn das Väter theoretisch genauso betrifft wie Mütter, sieht die Praxis ja doch so aus, dass ein Großteil der Familienarbeit an den Frauen hängen bleibt. Es tut Frauen vielleicht auch mehr weh, wenn sie so wenig zuhause sind. Und viele Männer sind eher bereit, solche Opfer zu bringen. Manchmal liegt es auch einfach daran, dass es mehr Frauen gibt, die hinter politischen Männern stehen und sagen „ich halte dir den Rücken frei“, während hinter vielen politischen Frauen kein solcher Mann steht. Dann ist die Frage, warum Politik so oft abends und bis in die Nacht stattfinden muss. Warum muss ich mir einen Babysitter leisten können, um an einem Parteiabend teilzunehmen? Warum kann ich nicht, in Corona-Zeiten haben wir das ja erfolgreich geübt, auch über eine Videokonferenz teilnehmen, während eine Wohnzimmertür weiter mein Kind friedlich vor sich hin schläft? Auf den heutigen klassischen Parteitreffen sind ja auch deshalb mehr ältere Leute, weil sie diese Doppelbelastung nicht mehr haben, und natürlich sind da auch mehr Männer als Frauen. Viele Frauen finden es auch nicht attraktiv, dass da so oft unfassbar viel im Kreis gelabert wird. Wenn ich als Frau jede Minute dreimal abwägen muss, bevor ich sie für irgendwas einsetze, dann habe ich keine Zeit für Gelaber.

Die CDU nimmt Anlauf auf eine Frauenquote in Parteiämtern. In der Vergangenheit haben sich dort nicht wenige junge, politisch aktive Frauen dagegen ausgesprochen mit dem Argument, sie wollten durch Leistung Karriere machen und nicht als Quotenfrauen. Was würden Sie antworten?

Dass ich aus Erfahrung weiß, dass sie nach zwanzig Jahren ihre Meinung dazu ändern werden. Männer machen faktisch mit unsichtbaren Männerquoten Parteikarriere, da von Leistung zu reden ist doch ein Witz. Ich mache das Frauenthema jetzt seit über 30 Jahren, es ändert sich wenig. Als ich mit meiner Ost-Historie in ein wiedervereinigtes Deutschland kam, war das für mich frauenpolitisch ein Rückschritt. Der Bundestag bestimmt mit 70 Prozent Männeranteil über das, was mit meinem Körper passiert, und darüber, ob Gynäkologinnen und Gynäkologen auf ihren Webseiten erwähnen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen. Dass Männermehrheiten über Frauenkörper bestimmen, muss sich endlich ändern.

Und Sie halten Quoten für etwas, das funktioniert?

Das Argument, es gäbe nicht genug gute Frauen, ist ja durch die Parteien, die das seit vielen Jahren praktizieren, widerlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand daherkommt und sagt, die weiblichen Anteile der Grünen oder der Linken sind weniger fachlich qualifiziert als die weiblichen Anteile der anderen Parteien oder die Männer. Allein in meinem Fachgebiet, der Netzpolitik, von der man immer sagt, das sei so ein Männerthema, treiben sich unfassbar viele Frauen herum, die Ahnung haben und gehört werden.

Sie hatten eine führende Rolle in der Piratenpartei, die eine andere Form von Parteiarbeit versucht hat. Wie waren da Ihre Erfahrungen?

Es war dort nicht alles gut, ich bin ja nicht umsonst ausgetreten. Aber gerade was die innerparteiliche Demokratie angeht und die Beteiligungsmöglichkeiten, könnte man viel lernen. Zum Beispiel hatten wir öffentliche Vorstandssitzungen, und über ein virtuelles System konnte jedes Mitglied der Vorstandssitzung quasi beiwohnen. Man konnte sich auch einmischen im Chat-Fenster und Fragen stellen, und darauf wurde dann durchaus auch Bezug genommen. Dann gab es bundesweite thematische Gruppen, die sich auch kaum physisch trafen, man debattiert virtuell. Statt Ortsverband oder Kreisverband war dein parteiliches Zuhause oft eine Themeninteressierte Gruppe. Da ging es um bedingungsloses Grundeinkommen oder Verkehrspolitik, ich war in einer Gruppe für Open Government aktiv. Das hat natürlich viel mehr Leuten, auch mit weniger Zeit für Reiserei oder Geld für Fahrscheine, die Teilnahme ermöglicht. Davon, glaube ich, könnten die anderen Parteien durchaus etwas lernen.
 

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