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9. Oktober 2020 Presse

SPD-Fraktionsgeschäftsführer verteidigt Wahlrechtskompromiss

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. Oktober 2020)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –

Nach der Entscheidung des Bundestags über die Begrenzung der Abgeordnetenzahl bei künftigen Wahlen verteidigt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, den Wahlrechtskompromiss der Koalition. Damit werde ein möglicher Anstieg der Abgeordnetenzahl bei der Bundestagswahl 2021 gedämpft und bei der Wahl 2025 eine noch stärkere Reduzierung der Bundestagsgröße kommen, argumentierte Schneider in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Da die von der SPD für die kommende Wahl ursprünglich vorgeschlagene fixe Obergrenze „mit der Union nicht zu machen“ gewesen sei, habe man einen Kompromiss finden müssen. Dieser verlange sowohl der CDU als auch der SPD etwas ab, „nämlich drei nicht ausgeglichene Überhangmandate sowie eine stärkere Streichung von Listenmandaten bei Fraktionen mit mehr Überhangmandaten“. Für 2025 komme dann die „große Reform“, die schon mit der vorgesehenen Reformkommission angelegt sei und dann auch die jetzt beschlossene Reduzierung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 beinhalte.

Nachdrücklich forderte der SPD-Abgeordnete Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils im Parlament,  der derzeit „eklatant  gering“ sei. Dies sei für die Sozialdemokraten eines der zentralen Themen der Reformkommission, die sich bis Mitte der nächsten Legislaturperiode mit grundsätzlichen Fragen des Wahlrechts beschäftigen solle. Die SPD schlage vor, die Landeslisten der Parteien nach Männern und Frauen zu quotieren, was bei den Listenkandidaten zu einer Erhöhung des Frauenanteils führen würde. „In der SPD haben wir damit gute Erfahrungen gemacht und haben in der Fraktion einen Frauenanteil von mehr als 40 Prozent“, fügte Schneider hinzu.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Schneider, wie zufrieden sind Sie mit dem Koalitionskompromiss zur künftigen Begrenzung der Abgeordnetenzahl, den der Bundestag vergangene Woche als Gesetz beschlossen hat?
Mit dieser Entscheidung werden wir bei der Bundestagswahl 2021 eine Dämpfung haben, was einem möglichen Anstieg der Abgeordnetenzahl betrifft, und bei der Wahl 2025 dann eine noch stärkere Reduzierung der Bundestagsgröße. Als SPD hatten wir eine andere Vorstellung und wollten eine fixe Obergrenze, aber das war mit der Union nicht zu machen. Daher mussten wir zu einem Kompromiss kommen.

Der ursprünglich von ihrer Fraktion präsentierte Vorschlag sah vor, für die nächste Wahl eine Obergrenze von 690 Abgeordneten festzulegen und darüber hinausgehende Überhangmandate nicht zuzuteilen. Warum ist Ihre Fraktion davon abgerückt?
Weil wir mit der Union keine Einigung dazu erreichen konnten und die Alternative gewesen wäre, gar nichts zu tun. Das wäre aber aus meiner Sicht nicht verantwortbar. Aus diesem Grund haben wir diesen Kompromiss geschlossen, der sowohl der CDU als auch der SPD etwas abverlangt, nämlich drei nicht ausgeglichene Überhangmandate sowie eine stärkere Streichung von Listenmandaten bei Fraktionen mit mehr Überhangmandaten. Und die große Reform kommt für 2025 – die ist schon mit der vorgesehenen Reformkommission angelegt und beinhaltet dann auch die jetzt beschlossene Reduzierung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280.

Bei der Sachverständigen-Anhörung zu dem Koalitionsmodell wurde bezweifelt, dass damit eine nennenswerte Begrenzung der Abgeordnetenzahl zu erreichen ist. Gibt das nicht zu denken?
Selbstverständlich, darum haben wir ja auch intensiv für die Einsetzung einer Reformkommission gekämpft. Die Verrechnung von Überhangmandaten mit Listenmandaten ist lediglich ein erster Schritt, um das Wachstum der Bundestagsgröße zu dämpfen. Wir hätten hier gern eine Deckelung der Bundestagsgröße eingezogen, aber das war mit der Union eben nicht zu machen. Im zweiten Schritt soll dann die Reformkommission unter Einbindung der Wissenschaft und der Öffentlichkeit eine langfristige, dauerhaft reduzierende Wahlrechtsreform vorschlagen. Sollte die Reformkommission zu keinem Ergebnis kommen, haben wir bereits jetzt die Anzahl der Wahlkreise für 2025 auf 280 reduziert. Das ist nicht optimal, aber ein gangbarer Kompromiss.

Überhangmandate nicht zuzuteilen, erinnert an den AfD-Vorschlag, die Zahl der Direktmandate einer Partei auf deren Zweitstimmenergebnis zu begrenzen. Was spricht dagegen?
In der Sache war der Vorschlag, Wahlkreissiegern gegebenenfalls kein Mandat zuzuteilen. Dieses Element hatten wir auch in dem SPD-Modell. Leider hat die Union diesen Vorschlag abgelehnt. Weil wir im Bundestag in einer Koalition sind, können die Regierungsfraktionen nicht gegeneinander abzustimmen.

Die anderen Oppositionsfraktionen wollten eine Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 250 und eine Erhöhung der Gesamtsitzzahl auf 630, um Überhangmandate möglichst zu vermeiden.
Der Vorschlag ist in sich stimmig, aber politisch für uns nicht akzeptabel, weil er zu noch größeren Wahlkreisen führen würde. Damit wäre die direkte Anbindung der Abgeordneten an die Bevölkerung noch schwerer, einfach weil mehr Menschen in den Wahlkreisen lebten. Auch beinhaltet dieser Vorschlag keine maximale Obergrenze, wenngleich er zu einer stärkeren Dämpfung führen würde. Für die Wahl 2021 wäre er allerdings nicht mehr umsetzbar, weil die Kandidatenaufstellung bereits begonnen hat. Das will ich der Opposition aber nicht zum Vorwurf machen.

Weil die Koalition es zu verantworten hat, dass die Zeit so weit fortgeschritten ist?
Ja.

Die jetzt beschlossene Regelung sieht auch vor, Überhangmandate mit Listenmandaten der betreffenden Partei in anderen Bundesländern zu verrechnen – was allerdings bei der CSU gar nicht möglich ist.
Es ist richtig, dass dieses Element bei der CSU nicht greift. Es greift bei der SPD und auch bei der CDU. Bei den letzten Wahlergebnissen hätte es eher die CDU betroffen, weil dort mehr Überhangmandate aufgetreten sind. Dann werden Listenmandate in anderen Bundesländern verrechnet und kommen nicht zum Zug. Das ist ein deutlicher Einschnitt und führt zu einer Reduzierung der Abgeordnetenzahl.

Die Zahl der Wahlkreise soll erst zur übernächsten Bundestagswahl reduziert werden. Warum geht das nicht gleich?
Wenn Sie das seriös machen wollen, dauert es ein bis eineinhalb Jahre. Wenn Sie 19 Wahlkreise streichen, müssen sie fast alle Wahlkreise in Deutschland neu zuschneiden. Das erfordert lange Konsultationsverfahren, unter anderem  mit den jeweiligen Landesregierungen und braucht seine Zeit. Auch in dieser Wahlperiode haben wir kleinere Änderungen bei der Anpassung der Wahlkreisgrenzen an die Bevölkerungsentwicklung vorgenommen. Selbst bei diesen marginalen Änderungen hat es länger als ein Jahr gedauert. Dieser breitangelegte Prozess ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz unseres Systems. Für die übernächste Wahl haben wir aber bereits jetzt die Verringerung der Zahl der Wahlkreise gesetzlich festgeschrieben. Der nächste Bundestag wird dann die Veränderungen bei den Wahlkreisgrenzen vornehmen.

Stichwort Parität: Die jetzt vorgesehene Wahlrechtskommission soll auch Vorschläge erarbeiten, wie sich der Frauenanteil im Parlament anheben lässt.
Diese Kommission soll noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen und sich bis Mitte der nächsten Legislaturperiode mit grundsätzlichen Fragen des Wahlrechts beschäftigen. Eines der zentralen Themen für uns ist dabei, den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen. Das ist eine klare politische Forderung und in der Gesetzesbegründung auch explizit genannt. Da muss dringend etwas passieren, weil wir derzeit einen eklatant geringen Frauenanteil im Bundestag haben. Das muss sich ändern.

Welche Vorschläge hat die SPD dazu?
Unser Vorschlag ist, dass wir die Landeslisten der Parteien quotieren nach Männern und Frauen. Das würde zwar nicht bei den Direktkandidaten, aber auf jeden Fall bei den Listenkandidaten zu einer Erhöhung des Frauenanteils führen. In der SPD haben wir damit gute Erfahrungen gemacht und haben in der Fraktion einen Frauenanteil von mehr als 40 Prozent.

Sind dafür Paritätsgesetze, die den Parteien eine abwechselnde Listenbesetzung mit Frauen und Männern vorschreiben, noch ein gangbarer Weg, nachdem Thüringens Verfassungsgericht eine solche Regelung verworfen hat?
Ja. Ich halte das Urteil aus Thüringen für schlecht begründet und in der Sache für falsch. Gemeinsam mit anderen habe ich selbst deshalb auch eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht dagegen erhoben. In der Abwägung zwischen der Frage, ob Parteien frei sein müssen bei der Entscheidung über ihre Listenaufstellung, und dem im Grundgesetz festgelegten staatlichen Gleichstellungsauftrag, ist das Thüringer Paritätsgesetz vom Landesverfassungsgericht mit abenteuerlichen Begründungen abgelehnt worden. Ich habe mir das sehr genau angeschaut und finde, das muss das Bundesverfassungsgericht klären. Dieser Klärung sehe ich mit Spannung entgegen, und so lange halten wir an unserem Vorschlag fest.