Der CSU-Gesundheitspolitiker Erich Irlstorfer fordert Hilfe für Mediziner bei Entscheidungen über Triage
Vorabmeldung zu einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 21. Dezember 2020)
-bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung-
Der CSU-Gesundheitsexperte Erich Irlstorfer fordert Hilfestellungen für Mediziner bei Entscheidungen über die sogenannte Triage. „Wir dürfen es uns nicht einfach machen und sagen, die Mediziner sollen das entscheiden. Der Berufsstand darf nicht alleingelassen werden, sondern wir müssen miteinander nach ethischen Lösungen suchen“, sagte Irlstorfer der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Montagausgabe). Bei der Triage geht es in medizinischen Notsituationen um die Frage, welche Patienten mit Vorrang behandelt werden.
Irlstorfer sagte: „Was eine Rechtsgrundlage betrifft, sind wir in der Diskussion.“ Er fügte hinzu: „Ich hoffe aber, dass wir gar nicht in so extreme Situationen kommen, wie es sie in Frankreich und Italien gegeben hat, das wäre eine Horrorvorstellung für alle, die solche Entscheidungen treffen müssten. Deswegen wollen wir mit dem harten Lockdown so schnell wie möglich Erfolge erzielen.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Irlstorfer, die Coronakrise hat mit dem neuerlichen Lockdown einen kritischen Punkt erreicht. Worauf kommt es jetzt vor allem an?
Zum einen brauchen wir klare, möglichst einheitliche Regelungen für das Land, eine enge Abstimmung unter den Bundesländern und mit dem Bundestag. Zum zweiten dürfen wir die Infektionszahlen nie aus dem Blick verlieren. Die vielen Todesfälle sind eine menschliche Katastrophe, Familien trauern vor Weihnachten um ihre Toten, darunter Kinder, das berührt mich sehr, das kann niemanden kalt lassen.
Als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk könnte der Impfstoff von Biontech/Pfizer bereits in dieser Woche von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen werden statt wie geplant Ende des Jahres. Geht hier Schnelligkeit vor Gründlichkeit?
Es gibt dazu kritische Stimmen, die ich sehr ernst nehme. Es werden aber vor allem die Verwaltungsvorgänge extrem beschleunigt, bei der Qualitätsprüfung sind wohl keine Abstriche gemacht worden. Wir werden somit über einen sicheren Impfstoff verfügen. Ich hoffe, dass wir dadurch Menschenleben retten können.
Wäre es nicht besser, das Impfkonzept mit der Priorisierung als Gesetz im Bundestag zu verabschieden, statt dies mit einer Verordnung zu regeln?
Ich denke, dass die Verordnung richtig ist, es kommt jetzt auf praktikable Lösungen an. Wir müssen ein System mit Impfzentren aufbauen und dürfen nicht zulassen, dass Hausarztpraxen von Impfwilligen überrannt werden. Wir werden sehen, wie die Bevölkerung reagiert. Manche wollen sich so schnell wie möglich impfen lassen, andere sind skeptisch und wollen abwarten. Viele Menschen sind verunsichert. Ich kann verstehen, wenn bei dieser Geschwindigkeit ein ungutes Gefühl aufkommt. Es geht deshalb darum, auch den Skeptikern die Angst zu nehmen.
Die Einführung eines Immunitätsausweises ist bisher gescheitert, wäre der nicht doch sinnvoll?
Ich kann mir das generell vorstellen, ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, aber dafür braucht man Mehrheiten. Das ist eine Abwägungsfrage in der Koalition und gegenüber der Opposition. Es war weitsichtig und klug von Bundesgesundheitsminister Spahn, in dem Punkt einen Schritt zurück zu gehen, um insgesamt einen Schritt nach vorne zu kommen.
In Pflegeheimen hat es besonders viele Infektionsfälle gegeben. Zudem leiden Bewohner unter der monatelangen Isolation. Was wird getan, um diese Menschen über den Winter zu bringen?
Im harten Lockdown und in der emotionalen Weihnachtszeit ist die Isolation von Menschen in Heimen besonders hart. Wir müssen deswegen die Strukturen in den Heimen stärken, die Heimleitungen sollten ihre Mitarbeiter ermuntern, den Kontakt mit den Bewohnern zu suchen, ihnen Hoffnung zu geben, Zuneigung zu zeigen und für Gespräche da zu sein über ihre Sorgen, Nöte und Bedenken. Zeit ist natürlich in der Betreuung eine knappe Ressource, daher ist das eine Mammutaufgabe, die hoffentlich gelingt. Das lässt sich nicht mit einem Gesetz regeln oder per Verordnung.
Ist mit einer gesetzlichen Regelung der sogenannten Triage zu rechnen, also der Entscheidung, welche Patienten in Notsituationen noch adäquat versorgt werden können und welche nicht?
Wir dürfen es uns nicht einfach machen und sagen, die Mediziner sollen das entscheiden. Der Berufsstand darf nicht alleingelassen werden, sondern wir müssen miteinander nach ethischen Lösungen suchen. Was eine Rechtsgrundlage betrifft, sind wir in der Diskussion. Ich hoffe aber, dass wir gar nicht in so extreme Situationen kommen, wie es sie in Frankreich und Italien gegeben hat, das wäre eine Horrorvorstellung für alle, die solche Entscheidungen treffen müssten. Deswegen wollen wir mit dem harten Lockdown so schnell wie möglich Erfolge erzielen.
Der Lockdown geht erstmal bis zum 10. Januar nächsten Jahres? Rechnen Sie mit einer Verlängerung der Maßnahmen?
Wir fahren auf Sicht. Es wäre nicht seriös, vorherzusagen, wie lange das genau dauert. Die Situation ist wirklich schlimm. Die Entscheidung zum Lockdown ist nicht aus einer Laune heraus entstanden, sondern auf Basis wissenschaftlicher Daten. Das ist jetzt auch ein Charaktertest, es kommt darauf an, sich gegenseitig zu schützen, vorsichtig und diszipliniert zu sein. Es ist ein Akt der Nächstenliebe, wenn ich mich in dieser Lage zurücknehme und nicht ausgehe auf eine Party.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Akzeptanz für Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Bevölkerung nachlässt?
Das ist die größte Sorge, die ich habe. In dem Augenblick, wo uns die Menschen nicht mehr folgen, weil sie uns vielleicht nicht glauben oder wir den Eindruck vermitteln, wir würden nur streiten, wird es schwierig. Wir müssen uns natürlich in der politischen Debatte inhaltlich auseinandersetzen, trotzdem muss das von einem gewissen Respekt getragen sein, damit die Menschen wissen, wir streiten nicht, sondern wir ringen um die beste Lösung. Und wir müssen klarstellen, dass die Freiheit des Einzelnen zwar ein hohes Gut ist, aber Grenzen hat, wenn andere Menschen in ihren Lebensumständen massiv beeinträchtigt werden.
Haben die Gesundheitspolitiker die Schubkraft der zweiten Coronawelle unterschätzt?
Wir haben das nicht unterschätzt, aber wir haben uns verloren in einem Dialog. Ich bin für Dialog, der ersetzt aber Führung nicht. Ich hätte mir eine deutlich härtere Haltung gewünscht und einen härteren Lockdown gleich am Anfang, dann hätten wir uns manches erspart. Viele Selbstständige und Betriebe stehen am Rande ihrer Existenz, die sind unverschuldet in Not geraten, das sind schreckliche Schicksale. Wir müssen die Wirtschaft jetzt so stabilisieren, dass sie ordentlich aus der Krise kommt.
Wenn ab Mitte des Jahres 2021 die Bevölkerung zu weiten Teilen immunisiert ist, können wir die Krise dann abhaken und dort weitermachen, wo wir aufgehört haben?
Das glaube ich nicht, die Pandemie hinterlässt Spuren, sie hat Ängste erzeugt und Unwohlsein. In der Gesellschaft hat sich etwas verändert, bei Kindern, Erwachsenen, Rentnern oder Hilfsbedürftigen. Es ist Aufgabe des Staates, flankierend einzugreifen und die Gesellschaft zu stützen, Menschen zu helfen, wieder in die Spur zu kommen.
Es wird Geld aus Rücklagen der Krankenkassen genutzt, um in der Coronakrise Beitragssprünge in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern. Ist das gerechtfertigt?
Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wir haben uns gegen Leistungseinschränkungen entschieden und wollten auch nicht, dass Kassen enorme Rücklagen bilden. Zugleich wollten wir die Beiträge stabil halten und damit auch Anreize setzen für Investitionen. Wir werden sicher auch noch Gespräche führen, inwiefern die Private Krankenversicherung ihren Anteil leisten kann.
Sie gehören als Diabetiker zur Risikogruppe. Haben Sie Angst vor einer Infektion?
Angst ist immer der schlechteste Berater. Ich gehe vorsichtig und verantwortungsbewusst mit der Situation um. Deswegen gehe ich nicht mehr zu öffentlichen Veranstaltungen. Für mich gilt der gleiche Grundsatz wie für alle anderen auch: persönliche Kontakte möglichst vermeiden.
Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld
Erich Irlstorfer (50) ist seit 2013 Abgeordneter des Bundestags und Mitglied im Gesundheitsausschuss.