+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

Texte

Verständliche Gesetze statt Amtskauderwelsch

Deutsche Gesetze

(© DBT/Melde)

Anders als Bundestag und Bundesrat hätte Stephanie Thieme dem Titel „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ aus sprachlicher Sicht nicht zugestimmt. „Der Titel führt in die Irre“, erklärt die Leiterin des Redaktionsstabs der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag. „Man könnte glauben, es bedürfe nur eines Gesetzes, um die Wirtschaft anzukurbeln.“ Besonders aber ist Thieme die oft benutzte Schreibweise „Wachstums-Beschleunigungs-Gesetz“ ein Gräuel - vor allem, weil es sich hier erübrige, „Komposita, die bereits durch Fugen-s verbunden sind, noch mit Bindestrichen zu versehen“, so die Linguistin und Juristin bestimmt. Im Auftrag des Bundestages überprüft sie Gesetzestexte auf Verständlichkeit und sprachliche Richtigkeit.

Da ist ihr die Bezeichnung „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ lieber, so wie es inzwischen mehrheitlich auch geschrieben wird. Ein Wortungetüm ist es zwar noch immer – aber zumindest ein grammatikalisch korrektes.

Doch all ihre Bedenken konnte Thieme gar nicht anbringen: Das erste große Steuergesetz der schwarz-gelben Koalition, das zu Beginn des Jahres in Kraft getreten ist, lag der Sprachwissenschaftlerin und ihren beiden Kolleginnen Christine Willig und Birgit Steiner gar nicht vor. Dabei ist der Verständlichkeitscheck für jedes Gesetz, das im Bundestag beraten und verabschiedet werden soll, in der Geschäftsordnung des Bundestages verbindlich geregelt.

Gesetzestext sorgt für Heiterkeit im Bundestag

Bereits seit 1966 gibt es den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag. Der Anlass für seine Gründung war ein sehr konkreter: Als damals über ein neues Raumordnungsgesetz beraten wurde, sorgten Phrasen wie „Das Bundesgebiet ist in seiner Struktur einer Entwicklung zuzuführen“ im Plenum zunächst für Verwirrung - dann für lautes Gelächter.

Wenig später richtete Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Bundestag ein. Im Grunde eine gute Idee, doch bestand der Stab lange nur aus einer, bestenfalls aus zwei Linguistinnen. „Das war eigentlich nicht mehr als ein Feigenblatt“, sagt auch Stephanie Thieme. So führte der Redaktionsstab lange ein Schattendasein. Viele Parlamentarier wussten nicht, dass es eine solche Einrichtung überhaupt gibt.

Adressatengerechte Formulierungen

Das ändert sich nun langsam – auch dank Thieme. Die 53-Jährige leitet seit 2002 den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Bundestag. Eine Idealbesetzung: Nicht nur, weil Thieme Linguistin und zugleich Juristin ist und so leichter für Akzeptanz für die Arbeit ihres Stabs werben kann, sondern auch, weil sie eine echte Leidenschaft für Sprache hat.

Zu DDR-Zeiten arbeitete sie als Lektorin; nach der Wende studierte sie Rechtswissenschaften und eröffnete ihre eigene Kanzlei. Doch mit manchen Rechtstexten hatte auch sie ihre liebe Not: „Ich dachte schon im Jurastudium oft: Muss das sprachlich so kompliziert sein?“, erinnert sich Thieme.

Natürlich seien Gesetze Fachtexte, die Materie oftmals sehr komplex, die Terminologie schwer zu verstehen. Doch nicht selten stolperte sie auch über falsche Bezüge im Satzbau, verhedderte sich in überlangen Paragrafen und störte sich am steifen Nominalstil des Amtsdeutschs.

Heute, als Leiterin des Redaktionsstabs, lautet Thiemes Credo: Gesetze müssen „adressatengerecht“ formuliert sein. Das heißt: Befassen sich hauptsächlich Fachleute mit einem Text, kann er auch expertengerecht formuliert sein. „Aber wenn es um Regelungen geht, die die Bürger und Bürgerinnen direkt betreffen, wie etwa Hartz IV, dann müssen Betroffene selbst die Regelungen verstehen können“, findet die Linguistin.

„Große Koalition für verständliche Gesetze“

Beharrlich bemüht sie sich deshalb, dem Redaktionsstab zu mehr Akzeptanz und Bedeutung im Bundestag zu verhelfen. Inzwischen mit einigem Erfolg: Insbesondere seit sich zwei Parlamentarier, Lothar Binding (SPD) und Ole Schröder (CDU/CSU), 2006 für eine „Große Koalition für verständliche Gesetze“ zusammengetan haben.

Diese Initiative erregte viel Aufmerksamkeit - und führte nach einer zweijährigen Projektphase in den Jahren 2007/2008 dazu, dass zusätzlich zu dem Redaktionsstab im Parlament ein eigener Redaktionsstab im Justizministerium mit sieben weiteren wissenschaftlichen Mitarbeitern geschaffen wurde.

„Empfehlungen bei Bedarf“

Ein logischer Schritt, schließlich entsteht der Löwenanteil der Gesetze in den Ministerien. Der Redaktionsstab beim Bundestag soll sich in erster Linie um die Gesetzesvorlagen kümmern, die aus der Mitte des Parlaments selbst kommen.

Auch für diesen Redaktionsstab gab es kürzlich Neuerungen: Im Juli 2009 beschloss der Bundestag eine Änderung seiner Geschäftsordnung, in der nun unter Paragraf 80a festgehalten wurde: „Ein beim Bundestag eingerichteter oder angeschlossener Redaktionsstab soll auf Beschluss des federführenden Ausschusses einen Gesetzentwurf auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit prüfen und bei Bedarf Empfehlungen an den Ausschuss richten. Der federführende Ausschuss kann den Redaktionsstab im gesamten Verlauf seines Beratungsverfahrens hinzuziehen und um Prüfung bitten.“

Neue Regelung in der Geschäftsordnung

Damit ist zwar der Verständlichkeitscheck noch immer kein „Muss“, sondern ein „Soll“. Dennoch ist Thieme über die neue Bestimmung froh: Erstmals regelt die Geschäftsordnung überhaupt, wann und wie der Redaktionsstab im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess zum Einsatz kommt.

Bislang hatten die Sprachwissenschaftlerinnen nämlich ein Problem: Wenn sie Gesetzesvorlagen überhaupt zu Gesicht bekamen, dann war es häufig schon zu spät für eine sprachliche Bearbeitung: „Einzelne Formulierungen sind in der Regel Ergebnis langwieriger Verhandlungen. Deshalb muss die Sprachprüfung so früh wie möglich ansetzen. Schon ein winziger sprachlicher Eingriff unsererseits kann bei einer zu spät erfolgten Sprachprüfung zum Problem werden“, erklärt Thieme. Den Sprachexpertinnen waren also nicht selten die Hände gebunden.

Verständlichkeit und sprachliche Richtigkeit

Das soll in der neuen Legislaturperiode anders werden. Noch bevor ein Gesetz in erster Lesung im Plenum beraten wird, soll es begleitend zu den Beratungen im Ausschuss auf Verständlichkeit und sprachliche Richtigkeit überprüft werden. So zumindest die Theorie. „Wir müssen die neue Regelung noch inhaltlich mit Leben füllen“, sagt Thieme. Doch sie klingt zuversichtlich.

Marginalspalte