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Parlament

„Vermittlungsausschuss hat kein Initiativrecht“

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(dpa-Report)

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 8. Januar 2010 die im Grundgesetz vorgesehenen Verfahren und Institutionen der Gesetzgebung gestärkt und einen Gesetzesbeschluss für verfassungswidrig erklärt, dessen Zustandekommen im Jahr 2003 mit Mängeln behaftet war. Dabei geht es um Regelungsvorschläge der damaligen Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen, Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), die unter der Bezeichnung „Koch/Steinbrück-Papier“ das Gesetzgebungsverfahren in einer Weise beeinflusst haben, die nach Auffassung der Karlsruher Richter den formalen Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren nicht genügte.

Koch und Steinbrück hatten am 30. September 2003 Vorschläge zum Subventionsabbau vorgelegt, die in den Beratungen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 eine Rolle spielten. Der Bundesrat hatte den Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung zunächst abgelehnt. In der ersten Beratung des Gesetzes im Bundestag am 9. September 2003 wurden die Koch/Steinbrück-Vorschläge „in abstrakter Form“ angesprochen, so das Gericht.

Koch und Steinbrück wollten Ausgleichsbeitrag kürzen

Die beiden Ministerpräsidenten hatten unter anderem vorgeschlagen, im Haushaltsbegleitgesetz auch das Personenbeförderungsgesetz so zu ändern, dass der so genannte Ausgleichsbetrag für Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs gekürzt wird. Der Staat gewährt seit 1977 solchen Unternehmen, die Auszubildende kostengünstig befördern, unter bestimmten Voraussetzungen einen Ausgleichsbeitrag.

Der Koch/Steinbrück-Vorschlag, diesen Ausgleichsbeitrag für 2004 um vier Prozent und für die Folgejahre noch weiter zu verringern, wurde in das Haushaltsbegleitgesetz übernommen und nach einem Vermittlungsverfahren am 19. Dezember 2003 im Bundestag und am 29. Dezember 2003 im Bundesrat beschlossen. Das Verfassungsgericht hat nun festgestellt, dass die Kürzung des Ausgleichsbeitrags verfassungswidrig, aber nicht nichtig ist. Das Gesetz bleibt bis zum 30. Juni 2011 anwendbar.

„Vermittlungsausschuss überschritt Kompetenzen“

Die Richter kommen zum Ergebnis, dass im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsbegleitgesetz 2004 die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat überschritten worden sind. Der Vermittlungsausschuss, der damals nach einem Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen des Bundestages und der Länderkammer suchte, habe eigene Vorschläge, nämlich die des Koch/Steinbrück-Papiers, in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt, ohne dass der Deutsche Bundestag in verfassungsgemäßer Weise beteiligt wurde.

Das Gericht stellt fest: Der Vermittlungsausschuss hat kein eigenes Gesetzesinitiativrecht, sondern ihm kommt lediglich die Aufgabe zu, auf der Grundlage des Gesetzesbeschlusses und des vorherigen Gesetzgebungsverfahrens Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die sich im Rahmen der parlamentarischen Zielsetzung des Gesetzgebungsvorhabens bewegen und die die politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat ausgleichen.

Entscheidende Funktion des Bundestages

Der Zweite Senat schreibt: „Die Kompetenzverteilung im Verhältnis zwischen den Gesetzgebungsorgangen weist dem Deutschen Bundestag die entscheidende Funktion im Gesetzgebungsverfahren zu. Der Vermittlungsvorschlag muss dem Deutschen Bundestag aufgrund der dort geführten parlamentarischen Debatte zurechenbar sein.“

Der Vermittlungsausschuss dürfe einen Regelungsvorschlag nur dann aufgreifen, wenn er im Gesetzgebungsverfahren bekanntgegeben worden ist und die Abgeordneten die Möglichkeit hatten, ihn zu erörtern. „Der Vermittlungsausschuss muss dabei auch den von Verfassungs wegen gebotenen Zusammenhang zwischen der öffentlichen Debatte im Parlament und der späteren Schlichtung zwischen den an der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorganen wahren.“

„Angemessene parlamentarische Beratung“

Weiter heißt es: „Die Einbringung des Koch/Steinbrück-Papiers in das parlamentarische Verfahren des Deutschen Bundestages und seine Behandlung in dessen Ausschüssen sowie im Plenum eröffneten dem Vermittlungsausschuss nicht die Kompetenz, eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in den Vermittlungsvorschlag aufzunehmen.“

Die Vorschläge des Papiers seien, was die Kürzung von Finanzhilfen angeht, nach „Struktur und Umfang“ angemessener parlamentarischer Beratung nicht zugänglich und „nach der Art ihrer Einbringung und Behandlung“ darauf auch gar nicht angelegt gewesen.

„Inhalt der Debatte öffentlich machen“

Der gesamte Verfahrensgang sei vielmehr erkennbar darauf ausgerichtet gewesen, „unter Vermeidung der Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte und einer hinreichenden Information der Mitglieder des Deutschen Bundestages“ den - von vornherein als notwendig erkannten - politischen Kompromiss erst im Vermittlungsausschuss herbeizuführen.

Die Auflistung einer Vielzahl pauschal zu kürzender Finanzhilfen habe es praktisch ausgeschlossen, so das Gericht, „das sich die Abgeordneten mit den Vorschlägen im Einzelnen verantwortlich befassten“. Sinn des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit sei es, den Inhalt der parlamentarischen Debatte öffentlich zu machen.

„In unverbindlicher Weise präsentiertes Material“

Die Art der Einbringung des Papiers in das parlamentarische Verfahren habe auch nicht den Anforderungen an die Förmlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens genügt, weil das Papier nicht als Bundesratsinitiative in das Verfahren eingebracht worden sei. Vielmehr habe es sich dabei um Material gehandelt, das den Ausschüssen und Abgeordneten des Bundestages „in unverbindlicher Weise“ präsentiert worden sei.

Die Aufnahme des Koch/Steinbrück-Vorschlags in die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses lasse sich nicht damit rechtfertigen, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel angerufen habe, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten und die Koch/Steinbrück-Vorschläge einzubeziehen.

Die Anrufung des Vermittlungsausschusses käme dann „einer Gesetzesinitiative gleich“, die nur auf dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Weg zulässig sei. Dem Bundestag würde auf diese Weise eine Veto-Position zugespielt, die gerade kennzeichnendes Merkmal der Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahrens sei, unterstreicht das Gericht.

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