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Parlament

„Gerichtshof muss funktionsfähig bleiben“

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Konkrete Impulse für eine Reform des überlasteten Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg erhofft sich Christoph Strässer, stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, von einer internationalen Konferenz am 18. und 19. Februar 2010 im schweizerischen Interlaken. Beim Menschenrechtsgerichtshof sind 120.000 unerledigte Klagen anhängig, viele davon aus Russland. Der SPD-Abgeordnete: „Der Gerichtshof muss als Kernstück des Staatenbunds funktionsfähig bleiben.“

Die Tagung, zu der neben den Spitzen des Europarats und des Gerichtshofs mehr als 30 Justiz- oder Außenminister aus den Mitgliedsländern erwartet werden, wird von der Schweizer Regierung ausgerichtet, die gegenwärtig die Präsidentschaft in Straßburg innehat. Strässer plädiert auch dafür, dass die EU als Institution der Menschenrechtskonvention beitritt und sich der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs unterwirft.

Herr Strässer, macht die Konferenz in Interlaken eigentlich noch Sinn? Auch wegen des Drucks der Europarat-Parlamentarier hat doch jüngst Russland als letztes Mitgliedsland des Staatenbunds das Protokoll 14 der Menschenrechtskonvention ratifiziert, sodass jetzt beim Gerichtshof eine beschleunigte Behandlung der Klagen möglich ist.

Die Umsetzung von Protokoll 14 ist vor allem als symbolischer Schritt wichtig und kann lediglich der Einstieg in eine umfassende Reform des Gerichtshofs sein. Zunächst wird es nur kleine Verbesserungen geben, so werden etwa dreiköpfige Gremien statt wie bisher sieben Richter einfache Fälle entscheiden. Ob Protokoll 14 tatsächlich, wie von manchen erhofft, eine Effizienzsteigerung von 20 Prozent bewirkt, muss sich noch erweisen. Die Zahl der eingehenden Klagen steigt ja immer weiter an.

Was erwartet sich das Abgeordnetenhaus des Europarats von Interlaken? Ist mit konkreten Ergebnissen zu rechnen?

Es ist ein Fortschritt, dass sich die Spitzen des Europarats und des Gerichtshofs sowie die Justiz- oder Außenminister der 47 Mitgliedsländer an einen Tisch setzen und die schon lange diskutierten Reformvorschläge endlich konkret anpacken wollen. Der Gerichtshof darf nicht in der Beschwerdeflut ersticken, sondern muss als Kernstück des Staatenbunds funktionsfähig bleiben. So benötigen wir etwa Mechanismen, um die Zulässigkeit von Klagen schneller zu klären, die meisten Eingaben können letztlich ja gar nicht zur näheren Befassung angenommen werden.

Zu den Themen von Interlaken gehört auch die Eindämmung der stetig anschwellenden Zahl der beim Gerichtshof eingehenden Beschwerden. Zur Debatte steht, eine Gebühr für Kläger einzuführen und diese zu verpflichten, einen Anwalt zu nehmen. Es gibt auch Überlegungen, Eingaben nur noch in Englisch oder Französisch und nicht mehr in der jeweiligen Nationalsprache eines in Straßburg vorstellig werdenden Bürgers zuzulassen.

Ich bin da skeptisch. Eine Gebühr wäre der falsche Hebel, weil dies eine abschreckende Wirkung hätte. Man darf nicht vergessen, dass Straßburg für viele Bürger nach ihrem Scheitern vor der nationalen Justiz der letzte Rettungsanker ist. Diskutabel wäre die Einführung einer Missbrauchsgebühr, so etwas existiert ja auch beim hiesigen Bundesverfassungsgericht. Aber da tun sich in der Praxis ebenfalls Probleme auf. Auch einen Anwaltszwang finde ich nicht akzeptabel, weil auch dies viele Klagewillige von der Anrufung des Gerichtshofs abhalten würde. In unserer Bundestagsdelegation gibt es zudem großen Widerstand gegen den Versuch, Beschwerden nur noch in Englisch oder Französisch zuzulassen und so Deutsch als stark verbreitete Sprache auszuschließen. Ich selbst bin bei dieser Frage relativ offen, bin aber im Prinzip auch eher dafür, einem Kläger die Abfassung seiner Eingabe weiterhin in seiner Heimatsprache zu erlauben.

Zum Reformpaket gehört die Forderung des Europarats an Brüssel, die EU als Institution solle der Menschenrechtskonvention beitreten und sich der Rechtsprechung des Straßburger Gerichts unterwerfen. Warum ist das so wichtig?

Es genügt nicht, dass die Mitgliedsländer der EU die Charta des Europarats anerkennen. Mit dem Vertrag von Lissabon ist die EU zu einer eigenen Rechtspersönlichkeit geworden, und das heißt, dass Brüssel in weit stärkerem Umfang als bisher eigene Rechtsakte erlässt. Bisher ist beim Rechtsschutz spätestens beim EU-Gerichtshof in Luxemburg Schluss. Tritt die EU als Ganzes der Europaratskonvention bei, so lässt sich nach einem Luxemburger Urteil auch noch vor dem Straßburger Gerichtshof letztinstanzlich klären, ob ein Brüsseler Rechtsakt mit den Grundrechten der Menschenrechtscharta vereinbar ist oder nicht. Das ist ein rechtsstaatlicher Gewinn für die Bürger.

Sollen auch Parlamente wie der Bundestag in Straßburg gegen EU-Dekrete klagen können?

Das sehe ich eher skeptisch. Ein solches parlamentarisches Beschwerderecht würde das Kernprinzip des Menschenrechtsgerichtshofs in Frage stellen, von einzelnen Bürgern bei ihren Auseinandersetzungen mit staatlichen Instanzen angerufen werden zu können. Parlamente und auch Regierungen haben genügend Möglichkeiten, ihre Interessen politisch zur Geltung zu bringen.

Könnte bei einer Anerkennung der Europaratskonvention durch die EU der Streit um die von Brüssel EU-weit verfügte Vorratsdatenspeicherung zum ersten spektakulären Fall in Straßburg werden?

Das ist durchaus denkbar, auch wenn ein Kläger zunächst den Instanzenweg bis zum EU-Gericht in Luxemburg durchlaufen müsste. Das umstrittene Swift-Abkommen der EU mit den USA, das US-Geheimdiensten den Zugriff auf Bankdaten von EU-Bürgern erlaubt, hätte ebenfalls das Zeug, als Streitfall in Straßburg zu landen.

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