„Klarer Trend zum Städte- und Kulturtourismus“
Das barrierefreie Reisen hat für den Vorsitzenden des Tourismusausschusses des Deutschen Bundestages, Klaus Brähmig (CDU/CSU), ein Riesenpotenzial. Aus diesem Grund will der Abgeordnete aus der Sächsischen Schweiz, der dem Bundestag seit 1990 angehört, für ein neues Bewusstsein werben und eine Aktionsgemeinschaft „Barrierefreies Reisen in Deutschland“ auf den Weg bringen, wie er im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 8. März 2010 mitteilt. Auch sieht Brähmig einen „klaren Trend zum Städte- und Kulturtourismus“. Der Tourismusausschuss wird wie in jedem Jahr wieder bei der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin vertreten sein, die vom 10. bis 14. März 2010 ihre Pforten öffnet. Brähmig, der auch vertriebenenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion ist, kündigt ferner an, den Kompromiss zur Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ bis zur Sommerpause im Bundestag umzusetzen. Er hofft, dass die Ausstellung zu Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im Jahr 2013 eröffnet werden kann.
Herr Brähmig, wo werden Sie in diesem Jahr ihren Urlaub verbringen?
In meinem Wahlkreis in Sachsen. Mit Freunden geht es nach Südtirol zum Wandern.
Für 31 Prozent der deutschen Urlauber ist das eigene Land das beliebteste Reiseziel. Wie erklären Sie sich das?
Warum in die Ferne schweifen - wenn das Gute liegt so nah? Deutschland hat ein exzellentes Preis-Leistungsverhältnis. Dazu kommen die Sicherheit, die Infrastruktur und die Vielfältigkeit. Von der See über die Mittelgebirge zu den Alpen und auch in den Städten - da ist viel Musik drin. Wir können natürlich noch besser werden, etwa beim Marketing. So könnten beispielsweise die hessische, thüringische und bayerische Rhön als eine Ferienregion auftreten, um Marketingmittel zu bündeln.
Am 10. März beginnt in Berlin die Internationale Tourismusbörse (ITB). Was macht für Sie den Reiz dieser Messe aus?
Die ganze Welt an einem Ort versammelt zu haben. Die Aussteller können vom Nordkap bis Feuerland, von Amerika bis China alle klimatischen Zonen, alle Kulturkreise vorstellen. Und die Besucher nehmen so ein komprimiertes Angebot sehr gern an.
Was plant der Ausschuss zur ITB?
Wir werden auf dem traditionellen ITB-Rundgang zahlreiche Gespräche mit Botschaftern und Tourismusministern führen, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und Erfahrungen auszutauschen.
Welche Trends erwarten Sie?
Ein wichtiges Thema für die Tourismusbranche ist beispielsweise der weitere Ausbau des barrierefreien Reisens. Das hat ein Riesenpotenzial. Ich will für ein neues Bewusstsein werben und zu diesem Zwecke in der laufenden Legislaturperiode eine Aktionsgemeinschaft „Barrierefreies Reisen in Deutschland“ auf den Weg bringen. Außerdem gibt es einen klaren Trend zum Städte- und Kulturtourismus. Die Deutschen entdecken den Reiz ihres eigenen Landes und ihrer Kultur. Diese Entwicklung wollen wir unterstützen, ohne dabei den Deutschen die Lust an Auslandsreisen zu nehmen.
Reisen ist immer auch mit Klimabelastung verbunden. Wie stehen Sie zu einem Ende der Kerosinsteuer-Befreiung?
So etwas kann nur über internationale Luftfahrtabkommen laufen. Sonst führt das lediglich zu einer Verlagerung des Luftverkehrs von Europa zu anderen Drehkreuzen der Luftfahrt, wie etwa der aufstrebenden Golfregion. Ein viel wichtigerer Punkt wird bedauerlicherweise zu wenig diskutiert: Ein großer Teil des unnötigen Kerosinverbrauchs entsteht durch unendliche Warteschleifen. Diesem könnte durch die Reduzierung des Nachtflugverbotes und den Bau neuer Start- und Landebahnen entgegengewirkt werden.
Stichwort Wirtschaftskrise. Die Tourismusindustrie hat sich als relativ robust erwiesen.Gleichwohl ist die Zahl der Reisenden im Jahr 2009 zurückgegangen. Wie kann gegengesteuert werden?
Um uns im Wettbewerb erfolgreich behaupten zu können, müssen immer wieder neue Produkte entwickelt werden. Ein Beispiel liefert hier das Herausstellen regionaler Besonderheiten. Dies fängt bei Lebensmitteln an und hört bei Kulturangeboten noch lange nicht auf.
Nach der Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen sind die Hotelpreise weitgehend auf dem ursprünglichen Niveau geblieben. Fühlen Sie sich von der Hotelbranche im Stich gelassen?
Nein. Ich war ohnehin für ein europaweites Paket, um die Verwerfungen bei den Hotelpreisen unter den Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auszugleichen. Es ist aber schon zu erkennen, dass die Hoteliers die zusätzlichen Einnahmen in Personal und in ihre Häuser - also in Qualität - investieren.
Wieso gibt es eigentlich einen eigenen Tourismusausschuss im Bundestag?
Von 1986 bis 1990 gab es einen Unterausschuss Tourismus beim Wirtschaftsausschuss des Bundestages. Nachdem zur Übergangsregierung der DDR von März bis Oktober 1990 ein eigener Tourismusminister gehörte, wurde im Bundestag ein Vollausschuss eingerichtet. Inzwischen hat dieser sich, auch dank der Arbeit meiner Vorgänger, fest etabliert. Zudem hat die Branche mit 2,8 Millionen Mitarbeitern eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Die Bandbreite der Themen von Verkehr über Umwelt bis hin zu Gesundheit und Arbeitsmarkt macht deutlich, dass Tourismuspolitik eine Querschnittsaufgabe ist.
Können Sie die Bedeutung des Tourismus an einem Beispiel veranschaulichen?
Schauen Sie sich das Ruhrgebiet an. Viele vermuten dort immer noch rauchende Schlote. Mit der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 werden aber sehr viele Gäste ins Ruhrgebiet kommen, die sehen, dass es eine attraktive Kultur-, Medien- und auch Naturlandschaft ist. Tourismus wird zu einem erheblichen Imagewandel dieser Metropole und zu neuen Arbeitsplätzen beitragen.
Macht es Sinn, die Haushaltsansätze zum Tourismus stärker zu bündeln?
Das ist nicht das Entscheidende. Vielmehr ist es wichtig, dass wir als Ausschuss Einfluss nehmen und sagen, was aus tourismuspolitischer Sicht sinnvoll ist. Es wäre aber gut, wenn Tourismus in den Namen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aufgenommen würde, um den Stellenwert dieses Wirtschaftszweiges auch nach außen zu dokumentieren.
Herr Brähmig, Sie sind vom Bundestag in den Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ gewählt worden. Der Streit um das Gremium, der sich insbesondere um die Rolle der Chefin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, drehte, ist beigelegt. Sind Sie zufrieden?
Der Kompromiss entspricht größtenteils den Vorstellungen, die ich zusammen mit der vertriebenenpolitischen Arbeitsgruppe der Unionsfraktion entwickelt habe. Wir wollen die Novellierung bis zur Sommerpause im Bundestag umsetzen.
Wann wird die geplante Ausstellung, das „sichtbare Zeichen“, sichtbar sein?
Ich hoffe, dass zum Ende der Legislaturperiode eröffnet werden kann. Da laut Kompromiss die Nutzungsfläche der Stiftung erweitert wird, muss zunächst das Konzept für Dauer- und Wechselausstellung überarbeitet werden. Welche Überraschungen wir bei der Sanierung des denkmalgeschützten Deutschlandhauses erleben werden, bleibt abzuwarten.
Viele Vertriebene haben in ihrer früheren Heimat längst Freundschaften mit Polen und Tschechen geschlossen. Sind sie in Sachen Versöhnung weiter als der BdV?
Es wird oft vergessen oder gar verneint, dass Erika Steinbach es war, die als BdV-Präsidentin etwa bei Eigentumsfragen die Nulllösung ins Spiel brachte oder eine große Veranstaltung zum Warschauer Aufstand initiierte. Die Versöhnung würde enorm vorankommen, wenn einige osteuropäische Nachbarn mit dieser Empathie ihre eigene Geschichte bezüglich der Vertreibungen aufarbeiten könnten.
Es gibt Verwirrung um die Mitgliedszahlen im BdV. Angeblich sind es nur noch 550.000 und nicht wie bislang angenommen zwei Millionen. Wird die Position des BdV durch die neuen Zahlen geschwächt?
Im BdV sind 21 Landsmannschaften und 16 Landesverbände zusammengeschlossen, aufgrund deren Struktur es keine unmittelbar natürlichen Mitglieder gibt und folglich alle Zahlen auf Schätzungen beruhen. Selbst wenn es nur eine gute halbe Million wären, hätte der BdV mehr Mitglieder als die Volksparteien SPD oder CDU. Die Anliegen der Millionen deutschen Heimatvertriebenen und ihrer Angehörigen - aktuelles Stichwort Kriegskinder - bleiben dessen ungeachtet gesellschaftspolitisch relevant.