Disput um Gesundheitspolitik
Die Forderung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenkasse abzuschaffen, hat am Donnerstag, 4. März 2010, im Bundestag erneut zu Streit zwischen Koalition und Opposition über den richtigen Kurs in der Gesundheitspolitik geführt. Im Zentrum der 75-minütigen Plenardebatte standen zwei Anträge, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt hatten. Darin forderten die Sozialdemokraten die Rückkehr zu paritätischen Beitragssätzen in der gesetzlichen Krankenkasse sowie die Abschaffung von Zusatzbeiträgen (17/879). Auch die Bündnisgrünen kritisierten die Zusatzbeiträge in ihrer Vorlage und verlangten daher, die Zusatzbeiträge von Hartz-IV-Empfängern müssten umgehend vom Bund übernommen werden (17/674).
„Paritätische Beitragssätze wiedereinführen“
Dr. Karl Lauterbach, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, kritisierte die Gesundheitspolitik der schwarz-gelben Regierungskoalition scharf. Diese sei einerseits geprägt von „Stillstand in der Sache“ andererseits von einem „Streit jeder gegen jeden“, so Lauterbach und spielte damit auf die Differenzen zwischen CSU und FDP in der Frage der Einführung der Kopfpauschale an.
Lauterbach monierte, die Einführung von Zusatzbeiträgen diene allein der Entlastung der Arbeitgeber „zulasten der Arbeitnehmer“. Wenn die Regierung wirklich ihre Forderung ernst meine, dass sich Arbeit wieder lohnen müsse, dann solle sie ihre Pläne für die Kopfpauschale aussetzen. Diese werde den Staat teuer zu stehen kommen, warnte der SPD-Abgeordnete. Man brauche dagegen ein einfaches, unbürokratisches und gerechtes System. Aus diesem Grund fordere die SPD kurzfristig die Wiedereinführung von paritätischen Beiträgen. Langfristig solle die Bundesregierung aber ein Konzept für eine solidarische Bürgerversicherung vorlegen, verlangte Lauterbach.
„Vorschläge wie von Bismarck“
Max Straubinger (CDU/CSU) wehrte die Attacken seines Vorredners Lauterbach mit dem Hinweis ab, der SPD gehe es mit ihren Forderungen zur Gesundheitspolitik doch nur um Wahlkampf vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Den vorliegenden Antrag bezeichnete der Abgeordnete zudem als Abrechnung der SPD mit der alten Politik von Rot-Grün und der Großen Koalition. „Das ist rückwärts gewandte Politik! Vorschläge wie von Bismarck“, kritisierte Straubinger.
Früher seien die Zusatzbeiträge das „Lieblingskind“ der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gewesen, die diese als wichtigen Ausdruck des Wettbewerbs unter den Kassen gepriesen habe, so der CSU-Politiker. Heute aber wolle die SPD davon nichts mehr wissen. Auch den von Rot-Grün geschaffene Sonderbeitrag von 0,9 Prozent wolle sie nun abschaffen. „Sie sagen aber nicht, wie Sie das finanzieren wollen.“ Die Forderung nach einem Konzept für eine Bürgerversicherung lehnte Straubinger ab: „Die Herausforderungen der Zukunft werden Sie damit nicht bewältigen!“
„Kopfpauschale unsozial und nicht finanzierbar“
Harald Weinberg (Die Linke) verwies darauf, seine Partei sei die einzige gewesen, die gegen die Einführung von Zusatzbeiträgen gestimmt habe. Nun zeigte der Angeordnete Genugtuung darüber, dass offenbar SPD und Bündnis 90/Die Grünen ihre Fehler der Vergangenheit korrigieren wollten. Zwar seien die Grünen noch nicht so weit, auch eine vollständige Abschaffung der Zusatzbeiträge zu fordern. Er sei jedoch zuversichtlich: „Schritt für Schritt nähern Sie sich uns an!“
Scharf kritisierte Weinberg hingegen Union und FDP: „Hier sehe ich keinen Lernprozess!“ Dabei sei die von diesen favorisierte Kopfpauschale nicht finanzierbar und unsozial. Das wisse die Bevölkerung und sei mehrheitlich gegen die Einführung eines solchen Systems. Dennoch setze Minister Rösler darauf, die Kopfpauschale scheibchenweise einzuführen, monierte der Abgeordnete. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wolle die Regierung das aber nicht zugeben und habe eine „Verschleierungskommission“ eingesetzt, die die Bürger über die „wahren Absichten hinwegtäuschen solle“.
„SPD leidet an politischer Amnesie“
Ulrike Flach (FDP) wollte diese Vorwürfe nicht gelten lassen: „Diese Regierung plant keine Kopfpauschale.“ Ziel sei aber eine einkommensunabhängige Versicherungsprämie mit Sozialausgleich, betonte die gesundheitspolitische Sprecherin der Liberalen. Der SPD warf sie vor, mit ihrem Antrag so zu tun, als habe nicht sie regiert, sondern die jetzige Koalition. Zusatzbeiträge seien schließlich das Ergebnis der Tätigkeit von Ulla Schmidt gewesen, die den Gesundheitsfonds stets gelobt und als „Stärkung von Solidarität und Wettbewerb zum Wohle des Patienten“ bezeichnet habe, erinnerte Flach. Heute wolle die SPD, dass die Bürger dies vergessen: „Das ist politische Amnesie - Vergesslichkeit auf höchstem Grad“, so Flach.
Sie forderte die SPD auf, sie solle lieber ehrlich mit den Menschen umgehen und klarmachen, was das Modell der Bürgerversicherung bedeute: „Sagen Sie den Leuten, dass zur Finanzierung auch Zinseinkünfte und Miteinnahmen berücksichtigt werden sollen!“ Die FDP-Politikerin wies auch Kritik an der neu eingesetzten Regierungskommission zurück. Diese werde die Gesundheitspolitik auf stabile finanzielle Füße stellen und demografiefest machen, kündigte Flach an.
„CSU-Komödienstadl“
Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) griff in ihrer Rede insbesondere die CSU an. Den von Teilen der Partei demonstrierten Widerstand gegen die Kopfpauschale nannte die Abgeordnete eine „Inszenierung“: Wie die „Wirtshausschlägerei im Komödienstadl“ sei auch die Kritik des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer nichts anderes als „Theaterdonner“. In Wahrheit habe auch er sich längst mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge und auch mit der Kopfpauschale einverstanden erklärt. Ihm gehe es nur darum, mehr Geld nach Bayern zu holen, um die „teuren Wahlversprechen an die Ärzte einzulösen“, behauptete Bender.
Die Grünen aber stellten sich wirklich gegen die Zusatzbeiträge, die ein „Türöffner für die Kopfpauschale“ seien. Bender forderte die Bundesregierung auf, die Zusatzbeiträge für Hartz-IV-Empfänger vom Bund bezahlen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem jüngsten Urteil zu Hartz IV klar gemacht, dass Langzeitarbeitslose ein Recht auf Existenzsicherung hätten. Daher müsse mit den Zusatzbeiträgen ebenso verfahren werden wie mit den Krankenkassenbeiträgen, so Bender. Die Bundesagentur für Arbeit solle sie künftig übernehmen.
Die Anträge überwies der Bundestag nach der Debatte zur weiteren Beratung an die Ausschüsse.