„Kein Gegensatz zwischen Grundgesetz und Völkerrecht“
Ein Gegensatz zwischen Grundgesetz und Völkerrecht besteht nicht, wie die Professoren Dr. Georg Nolte und Dr. Andreas von Arnauld am Mittwoch, 24. März 2010, bei einer Abendveranstaltung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen zum Thema „Parlamentsarmee zwischen Grundgesetz und internationalem Völkerrecht“ im Berliner Reichstagsgebäude betonten. Laut Nolte entsprechen sich vielmehr Völkerrecht und Grundgesetz bei den wichtigsten Regeln „wie Original und Kopie“.
Georg Nolte, Rechtswissenschaftler von der Humboldt Universität zu Berlin, wies darauf hin, dass die völkerrechtlichen Normen nicht nur im Lichte eines bestimmten Konfliktes, etwa des Zweiten Weltkrieges, entwickelt worden seien, sondern auch die Erfahrungen vieler unterschiedlicher und auch moderner bewaffneter Konflikte speicherten. „Es steckt eine hohe Legitimität in diesen Regeln, weil sie universell anerkannt sind“, hob Nolte deren Bedeutung hervor.
Statt Gegenspieler zu sein, greife das Grundgesetz diese Normen auf und versuche, ihnen für die Bundesrepublik Deutschland Geltung zu verschaffen.
Verantwortungsvolle Aufgabe des Parlaments
Durch den Anspruch des humanitären Völkerrechts, Leben und Gesellschaften insgesamt zu schützen, könne zudem ein Spannungsverhältnis entstehen. „Dieses Völkerrecht ermächtigt auch zu Operationen, die in Deutschland Unbehagen wecken“, erklärte der Völkerrechtler.
Ob und wie Deutschland in den Grenzen von Völker- und Verfassungsrecht handelt, liege in der politischen Verantwortung des Parlaments. Klarstellend führte Nolte aus, dass es nicht das Völkerrecht sei, das Deutschland zur Teilnahme an einem Kampfeinsatz oder zu bestimmten Methoden der Kampfführung verpflichte. Entscheidend sei hierfür der politische Wille der Weltgemeinschaft, der politische Verantwortlichen oder die Situation, die ein bestimmtes Handeln in den Grenzen von Völker- und Verfassungsrecht nahelege.
„Nicht nach deutschen Vorschriften auslegen“
Gleichzeitig mahnte Nolte zur Vorsicht bei dem Versuch, „politisches und moralisches Unbehagen unbedacht in verfassungsrechtliche Normen zu projizieren“. Er schlug vor, das Grundgesetz im Lichte des besonders einschlägigen Völkerrechts auszulegen. Es gebe kein „richtiges“ deutsches und „falsches“ internationales Verständnis von Menschenwürde.
Der Begriff der Menschenwürde könne nicht autonom nach besonderen deutschen Vorschriften ausgelegt werden. Auch „das humanitäre Völkerrecht ermächtigt nicht pauschal zum Töten im Krieg, sondern es beschreibt ernsthafte, spezifische, situationsbezogene und strafrechtlich relevante Grenzen. Diese Grenzen ernstzunehmen, steht der Bundesregierung gut an“, lautete Noltes Forderung an die Exekutive.
„Der Ort zur Bewältigung des Unbehagens ist das Parlament und damit die öffentliche Diskussion“, sagte der Völkerrechtler. An diesem Ort liege die spezifische Verantwortung für den Grund- und Menschenrechtsschutz.
Kein deutscher Sonderweg
Die Frage, ob deutsche Soldaten im Auslandseinsatz weniger dürfen als ihre ausländischen Kollegen oder ob es verfassungsrechtliche Handlungsrestriktionen gibt, die typisch deutsch sind, warf Andreas von Arnauld in seinem Redebeitrag auf. Ebenso wie sein Vorredner wies er darauf hin, dass die völkerrechtlichen Maßstäbe grundsätzlich von denen des Grundgesetzes nicht verschieden seien. Ferner gälten die Grund- und Menschenrechte auch im Auslandseinsatz.
Problematisieren wollte der Völkerrechtler der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr hingegen, dass die Realitäten der Auslandseinsätze in der öffentlichen Diskussion verdrängt worden seien. „Die Bevölkerung hat sich lange Zeit der Illusion hingeben wollen, die Bundeswehr sei eine Schwesterinstitution der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und des Technischen Hilfswerks“, lautete sein pointierter Einwurf.
„Möglichst präzise Regelungen treffen“
Aufgabe der Rechtswissenschaft wie auch der Politik sei es nun, den Soldaten klare, einsatzspezifische Regeln an die Hand zu geben, um Rechts- und Orientierungssicherheit zu schaffen. „Wo präzise Regelungen möglich sind, müssen sie auch getroffen werden“, lautete die resümierende Forderung des Hamburger Rechtsexperten an das Parlament.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Fragerunde, in der die Zuhörer zum Diskutieren aufgerufen waren. Dass es dabei durchaus kontrovers zugehen sollte, ließen bereits die Worte von Moderator Dr. Georg Paul Hefty, Politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, erahnen. Zu Beginn des Abends hatte er festgestellt, dass die Fragestellung nicht nur aktuell sei, sondern dass es sich zudem um ein in der Öffentlichkeit bislang unzureichend diskutiertes Thema handele.