„Es geht zuerst um Recht und Gerechtigkeit“
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sieht in der Papst-Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. September ein wichtiges Signal, dass es in der Politik nicht um Macht und Geld, sondern zuerst um Recht und Gerechtigkeit geht. Die Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen zeigt sich im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ vom Montag, 26. September 2011, erfreut über das Lob des Papstes für die Ökologiebe- wegung. Das Interview im Wortlaut:
Wie bewerten Sie die Ansprache des Papstes vor dem Deutschen Bundestag?
Es hat mich sehr gefreut, dass der Papst die Ökologiebewegung so gelobt hat. Das zeigt, dass die Bewahrung der Schöpfung eine ganz große Aufgabe in Europa und der ganzen Welt ist. Ein wichtiges Signal war es auch, deutlich zu machen, dass es in der Politik nicht um Macht und Geld, sondern zuerst um Recht und Gerechtigkeit geht.
Viele Abgeordnete der Opposition von SPD über Bündnis 90/Die Grünen bis hin zur Linkspartei blieben der Papst-Rede fern. Was sagen Sie dazu?
Das war im Rahmen der Freiheit möglich und darüber muss sich niemand wirklich aufregen. Wir hatten auch schon andere Gäste im Hohen Haus, wo es weniger Diskussionen gab, aber die Visite mindestens genau so diskussionswürdig gewesen wäre. Ich möchte hier nur an den ,lupenreinen Demokraten´ Putin erinnern.
Viele von den ferngebliebenen Abgeordneten sahen durch den Papst-Auftritt im Bundestag die Trennung von Staat und Kirche verletzt. Hatten Sie damit keine Probleme?
Wir haben den Papst 2009 zum Jubiläum der Römischen Verträge als Staatsoberhaupt des Vatikans und nicht als Religionsführer eingeladen. Als Kirchenoberhaupt feierte er die Heilige Messe in Berlin und anderswo und traf sich mit Vertretern verschiedener Religionen. Der Papst hatte also sozusagen verschiedene Hüte auf dieser Reise auf, im Bundestag war er Staatschef.
Gleichwohl redete der Papst natürlich auch als Kirchen-Oberhaupt vor dem Bundestag. War das nicht ein Dammbruch, müssen nicht künftig auch Führer anderer Religionen vor dem Plenum reden dürfen?
Wenn die anderen Religionsführer zugleich Staatschefs wären, müssten sie auch eingeladen werden. Eine weitere Anmerkung dazu: Wollte man den Papst nicht im Parlament reden lassen, müsste man mir auch verbieten dort zu reden, denn ich bin auch Präses der Evangelischen Synode in Deutschland und damit faktisch auch in einer Doppelrolle. Ich rede aber natürlich im Bundestag als gewählte Abgeordnete.
In Ihrer Fraktion gibt es scharfe Papstkritiker. So warf Ihr Parteifreund Volker Beck Benedikt „Geschichtsvergessenheit“ wegen der angestrebten Aussöhnung mit den abtrünnigen Pius-Brüdern vor oder er sagte über den deutschen Papst mit Blick auf seinen Umgang mit Homosexuellen, Protestanten oder Muslimen, er sei „diplomatisch so geschickt“ wie George W. Bush. Was sagen Sie dazu?
Ich bin früher in der DDR für die freie Meinungsäußerung auf die Straße gegangen. Volker Beck hat seine Meinung zum Papst geäußert. Da mag jeder beurteilen, wie er darüber denkt. Ich finde es richtig, deutlich zu machen, dass es auch Kritik an der katholischen Kirche gibt. Auch an diesem Papst, auch an der Frage, wie er mit bestimmten Fragen, die das Leben von Menschen betreffen, umgeht. Schaut man sich die einzelnen Menschen in unserer Zeit an oder ist man Doktrinen verhaftet, die die katholische Kirche vor Jahrhunderten ausgegeben hat? Das betrifft etwa die Sexualmoral oder auch die wiederverheirateten Geschiedenen. Der Bundespräsident hat sich zu letzterem eingelassen und ist nicht als vehementer Papstkritiker bekannt.
Wie ist überhaupt die Relevanz von Christen bei den Grünen? Sind sie dort eine Minderheit?
Nein. In der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sind Christinnen und Christen zum Beispiel keine Minderheit. Das Wort von Menschen, die christlich engagiert sind, spielt in der Partei eine wichtige Rolle. Wir haben Menschen bei den Grünen, die in kirchlichen Funktionen sind wie ich selbst oder Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann, der im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ist. Aber es gibt immer eine klare Trennung.
Was bedeutete für Sie als führende Protestantin die Visite des Papstes in Deutschland?
Benedikt XVI. hat das Land Martin Luthers besucht, auch Mitteldeutschland, auch das Erfurter Augustinerkloster, wo Luther Mönch war. Das war ein Signal, auch weil der Papst bei der Reise-Vorbereitung gesagt hat, er wolle sich für diese Punkte mehr Zeit nehmen. Auch dass wir im Augustinerkloster einen gemeinsamen Gottesdienst gefeiert haben, war ein bedeutendes Signal des Papstes.
Wie haben Sie die Präsenz des Papstes in Ihrer thüringischen Heimat und in Ihrem Wahlkreis im Raum Erfurt und Weimar wahrgenommen? Die Gegend ist ja bestenfalls protestantisch geprägt, in weiten Teilen ganz unkirchlich.
Wie in Berlin gehört auch die Mehrheit der Thüringer keiner christlichen Kirche oder anderen Religion an. Es war ein besonderes Zeichen, dass der Papst in diese Region ging. Mit dem Besuch des katholisch geprägten Eichsfelds hat er gewürdigt, dass Menschen der DDR-Diktatur widerstanden haben. Auch das Augustinerkloster war ein Ort der Bürgerrechtsbewegung, wo die Kirche den Aktivisten ein Dach bot. Das habe ich dort auch beim Treffen mit dem Papst verdeutlicht. In meiner Begrüßung habe ich darauf hingewiesen, dass das Wort Christi, die Worte der Heiligen Schrift, das Wort Martin Luthers, der niemandem untertan ist, uns in der DDR im Kampf gegen die Diktatur geholfen hat. Es hat uns Mut gemacht weiter zu widerstehen und zu wissen, es gibt etwas Größeres als den Staat, die Stasi und das ganze ungerechte Regime.
Sehen Sie durch den Besuch des Papstes an Stätten der Reformation Impulse für die Ökumene?
Beide Kirchen wollen gemeinsam gehen mit Blick auf das 500-jährige Reformationsjubiläum im Jahr 2017. Das Jahr 2017 ist für die Protestanten weltweit ein besonderes Datum. Wir hoffen, diesen Weg auch ökumenisch gehen zu können.
Sie haben mit dem Papst im Erfurter Augustinerkloster einen Wort-Gottesdienst gefeiert, wo Sie als Laiin und als Frau die Begrüßungsworte sprachen. Was hat Ihnen das bedeutet?
Wir wollten deutlich machen, dass es bei uns ganz selbstverständlich ist, dass Laien geistlich sprechen und auch Frauen es tun. Dabei fiel die Wahl auf meine Person. Das war insofern eher eine Ehre, die ich für meine Kirche wahrgenommen habe als gegenüber dem Papst. Ich habe ihn im Gottesdienst auch nicht mit seinem offiziellen Titel ,Seine Heiligkeit´angesprochen. Das habe ich draußen bei der Begegnung getan. Im Gottesdienst aber waren wir alle eins vor dem Herrn.
Wie sehen Sie als protestantische Christin die geistige Befindlichkeit in Deutschland im Jahr des Papstbesuchs?
Ich war in diesem Jahr auch Kirchentagspräsidentin. Nach Dresden sind sehr viele Menschen gekommen und haben über ihren Glauben geredet und sich dazu bekannt. Das gab es durch den Papstbesuch jetzt zum zweiten Mal in Deutschland. Immerhin haben sich so einige Hunderttausend Menschen zum christlichen Glauben bekannt. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen nach Orientierung fragen. Sie wollen wissen, wo sie sich beheimaten können, in welchen Themenbereichen sie auch Zuversicht finden können. Die Kirchen stehen jetzt vor der Frage, ob sie eine Tür öffnen können, durch die die Suchenden gehen können, oder ob sie selbst mehr Fragen als Antworten haben.
(jbi/kru)