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Petitionen

„Petitionen sind ein sehr guter Gradmesser“

Kersten Steinke

(DBT/SMNeumann)

Für Langschläfer ist die Arbeit im Petitionsausschuss eher nichts. Pünktlich um acht Uhr, gelegentlich auch noch eine halbe Stunde früher, tagt der Ausschuss jeweils mittwochs in den Sitzungswochen. Mit dem alten deutschen Sprichwort: „Morgenstund hat Gold im Mund“ hat das aber nichts zu tun, sagt die Vorsitzende des Ausschusses, Kersten Steinke (Die Linke). „Der Hintergrund ist, dass ja alle Mitglieder des Petitionsausschusses auch in anderen Ausschüssen sind, von denen viele um neun Uhr beginnen.“

Die frühe Anfangszeit ist nicht die einzige Besonderheit des Ausschusses: Er ist einer der vier Ausschüsse, die im Grundgesetz verankert sind. Dort heißt es in Artikel 17: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“

„Ein sehr guter Gradmesser“

Eine gute Regelung, findet Kersten Steinke. „Petitionen sind ein sehr guter Gradmesser, wo ein Gesetz nicht ausreichend durchdacht wurde.“ Schließlich würden nicht bei jedem Gesetz alle möglichen Implikationen berücksichtigt. „Manchmal stellt sich auch erst in der Anwendung eines Gesetzes heraus, dass dieses in einer bestimmten Art und Weise nicht zufriedenstellend ist“, sagt sie.

Wie schafft es nun eine Petition in die morgendliche Ausschusssitzung? „Nach einer Prüfung im Petitionsausschussdienst werden Stellungnahmen der betreffenden Bundesbehörde eingeholt“, erläutert die Ausschussvorsitzende. Im Normalfall werde die Akte von zwei Berichterstattern, „einer aus den Regierungsfraktionen und einer aus den Oppositionsfraktionen“, eingesehen und votiert. Schlussendlich würden alle Petitionen im Ausschuss abgestimmt.

TAB-Bericht zu elektronischen Petitionen

„Petitionen mit unterschiedlichen Voten von Berichterstattern werden gesondert aufgerufen und gegebenenfalls diskutiert“, sagt Steinke. „Stimmen die Voten überein, werden Petitionen über eine so genannte Sammelliste abgestimmt.“ Anders sei dies bei öffentlichen Petitionen. Diese würden im Petitionsausschuss grundsätzlich einzeln aufgerufen.

Die Frage, ob Petitionen grundsätzlich oder nur in Ausnahmefällen öffentlich behandelt werden sollten, beschäftigt den Ausschuss immer wieder. Zuletzt hatte ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zum Thema „Elektronische Petitionen und die Modernisierung des Petitionswesens in Europa“ gefordert, die öffentliche Petition von der Ausnahme zur Regel zu erklären.

Normale Sitzungen ohne Öffentlichkeit

Kersten Steinke sieht das skeptisch. „Ich bin sehr für Transparenz und Öffentlichkeit, aber für stetige öffentliche Sitzungen gibt es Grenzen.“ Nur ein Drittel aller Petitionen beträfen die Gesetzgebung. Die meisten Petitionen seien hingegen sehr persönliche Anliegen. Hier gebiete schon der Datenschutz und der Schutz der Persönlichkeitsrechte, dass die jeweiligen Petenten und deren Anliegen nicht in die Öffentlichkeit gelangen, urteilt Steinke.

Aus dem gleichen Grund sei auch die Öffentlichkeit bei den „normalen“ Ausschusssitzungen nicht zugelassen. Daran werde sich auch in „naher Zukunft“ nichts ändern, glaubt die Vorsitzende.

Live-Übertragung im Internet“

Zehn bis zwölf Petitionen pro Jahr behandelt der Ausschuss aber jetzt schon öffentlich. „Die Sitzungen werden live im Internet auf www.bundestag.de übertragen und dort für jeden zugänglich gespeichert“, erzählt Steinke. In diesem Zusammenhang verweist die Ausschussvorsitzende auf ein „Personalproblem“. „Öffentliche Petitionen und öffentliche Sitzungen benötigen einen personellen und zeitlichen Mehraufwand des Petitionsausschussdienstes, aber auch zusätzliche Sitzungen für die Abgeordneten, die noch Mitglied in anderen Fachausschüssen sind.“

Es stünden aber weder mehr Abgeordnete noch mehr Personal im Ausschussdienst zur Verfügung. „An dieser Stelle appelliere ich an meine Kolleginnen und Kollegen, uns mehr Personal zur Verfügung zu stellen“, sagt Kersten Steinke.

„Wir erreichen eine ganze Menge“

Ob eine Petition nun öffentlich behandelt wird oder nicht – es bleibt die Frage, inwiefern die Ministerien dem Votum der Abgeordneten folgen. Laut TAB-Bericht ist der Petitionsausschuss „relativ einfach erreichbar, gleichzeitig aber schwach in der Durchsetzung von Bürgerinteressen“. Wie kann also der Druck auf die Ministerien erhöht werden? Die Voten könnten nur Empfehlungen an die Bundesregierung sein, dämpft Kersten Steinke übertriebene Erwartungen.

Schließlich gebe es die Trennung von Legislative und Exekutive. Die Bewertung der TAB-Experten teilt sie gleichwohl nicht. „Auch wenn einige Petitionen zur Gesetzgebung nicht von der Regierung umgesetzt werden, erreichen wir doch eine ganze Menge. Oft gelangen diese Erfolge nicht unbedingt in die Medien“, sagt die Ausschussvorsitzende.

„Petitionen im Plenum beraten“

In einer anderen Frage stellt sich die Ausschussvorsitzende hinter die Anregung des TAB-Berichtes. Während ihrer Rede anlässlich der Übergabe des Jahresberichts an den Bundestagspräsidenten regte Steinke an, eine Stunde pro Sitzungswoche im Plenum des Deutschen Bundestages eingegangene Petitionen inhaltlich zu beraten.

„Ich bin nicht der Urheber des Vorschlages, denn dies stand schon in der Verfassung von 1848, und danach wurde gehandelt“, sagt sie. Die Fraktionen und Abgeordneten seien nun gefragt, sich mit der Achtundvierziger-Verfassung zu befassen. Ob der Bundestag ihrem Vorschlag folgt und den Umgang mit den Petitionen ändert, wird sich zeigen.

Internetplattform noch bürgerfreundlicher

Der Petitionsausschuss hat unlängst einige seiner Verfahrensgrundsätze geändert. „Wir haben die Fristen für die Mitzeichnung von öffentlichen Petitionen vereinheitlicht und die Quorumsfrist um eine Woche auf insgesamt vier Wochen verlängert“, sagte die Vorsitzende. Außerdem könne die Mitzeichnung - wenn die neue verbesserte Internetplattform Mitte 2012 online geht - anonym unter einem Synonym erfolgen. „Die Internetplattform wurde dadurch noch bürgerfreundlicher gestaltet“, urteilt Steinke.

Die Bürgerfreundlichkeit des Ausschusses zeigt sich im Übrigen noch auf andere Weise. Immer wieder, so fällt bei der Betrachtung der Arbeit des Ausschusses auf, gibt der Petitionsausschuss übereinstimmende Voten bei Themen ab, die eigentlich unter den Fraktionen umstritten sind. Sind die Ausschussmitglieder durch die Nähe zum Bürger möglicherweise sachorientierter als die Mitglieder anderer Ausschüsse?

„An der Masse der Probleme näher dran“

Es sei zumindest so, dass die Mitglieder des Petitionsausschusses an der Masse der Probleme der Bürgerinnen und Bürger näher dran sind. „Ich denke, dass bei allen Mitgliedern des Ausschusses trotz aller parteipolitischen Differenzen das Anliegen meistens im Vordergrund steht“, schätzt die Ausschussvorsitzende ein.

Gelegentlich kann ein solches Anliegen auch mal schneller geklärt werden als ursprünglich gedacht. Etwa wenn der Petitionsausschuss zu einem Ortstermin reist. „Das ist ein sehr erfolgreiches Instrument des Ausschusses“, sagt Kersten Steinke. Oft seien die Kontrahenten bei den Petitionen so eingefahren, dass der Ausschuss bei den Ortsterminen vermitteln und noch vor Ort Kompromisse aushandeln kann.

Zustimmung von bis zu 100.000 Beteiligten

Seit 2005 sitzt die Abgeordnete der Linksfraktion dem Ausschuss vor. Welche Petitionen sind ihr noch am deutlichsten in Erinnerung? „Das sind einerseits natürlich die großen bekannten Massenpetitionen wie die für ein NPD-Verbot, ein bedingungsloses Grundeinkommen, für eine Finanztransaktionssteuer und von den Heimkindern in der Nachkriegszeit, oder gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen die Sperrung von Internetseiten und gegen die Privatisierung von Seen“, sagt sie. Diese hätten zum Teil Zustimmungen von bis zu 100.000 Beteiligten und mehr erfahren.

Andererseits, so Steinke, sei ihr ein sehr tragischer Fall aus Thüringen erinnerlich, in dem eine krebskranke Frau mit herkömmlichen Schmerzmitteln austherapiert war und ihr nur noch ein auf Cannabis-Basis hergestelltes Mittel half. Mit vielen anderen Betroffenen habe die Frau viele Jahre um Anerkennung und Finanzierung des so genannten Dronabinols gekämpft. „Inzwischen sind zumindest der Vertrieb und die Herstellung in Deutschland erlaubt“, betont die Vorsitzende des Petitionsausschusses. (hau)

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