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Ernährung

„Kleinen Bauern eine Chance geben“

Friedrich Ostendorff, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Friedrich Ostendorff, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Büro Ostendorff/Claudia Siekarski)

Vom 20. bis 29. Januar 2012 findet in Berlin die „Internationale Grüne Woche“, die weltgrößte Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau statt. Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit einem halben Jahr stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Er kritisiert, dass im Agrarsektor nicht europäisch genug gedacht wird und erklärt, warum Landwirte mit immer mehr Bürokratie zurechtkommen müssen. Das Interview im Wortlaut:


Sie sind seit einem halben Jahr stellvertretender Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses. Am 20. Januar 2012 öffnet die Grüne Woche in Berlin wieder ihre Pforten. Welchen Stellenwert messen Sie ihr bei?

Die Grüne Woche ist die entscheidende Messe am Anfang des Jahres. Es treffen sich die nationalen, europäischen und weltweiten Agrarpolitiker und sie gibt die Orientierung für das Jahr vor. Insofern wird die Woche auch zeigen, dass die Debatte um die geplante EU-Agrarreform, die zwischen dem EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș und Deutschland sowie der deutschen Agrarwirtschaft momentan nicht sehr einvernehmlich geführt wird. Die Absicht des Kommissars, nur noch Geld für definierte Leistungen ausgeben zu wollen, die von gesellschaftlichem Interesse sind, ist ein moderner Ansatz. Statt wie derzeit von Deutschland favorisiert, diese Mittel für Subventionen und zur Förderung zur Steigerung der Produktion einzusetzen, will der Agrarkommissar, dass die Landwirtschaft mit ihren Produkten am Markt bestehen kann und nur von Steuermitteln profitiert, wenn Bauern die Natur und Kulturlandschaft erhalten. Diese Debatte auf der Grünen Woche zu verfolgen, wird interessant.

Das Partnerland ist in diesem Jahr Rumänien. Mit einer Gesamtfläche von fast 24 Millionen Hektar verfügt das Land über die viertgrößte Agrarkapazität der EU und zählt damit zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Ländern. Welches Interesse verfolgt die deutsche Agrarpolitik mit Blick in Richtung Osten?

Es gibt nicht DAS Interesse der deutschen Agrarpolitik, aber ein Interesse der momentanen schwarz-gelben Regierungskoalition ist, in diese Länder deutsche Agrargüter zu exportieren – wie zum Beispiel Schweine- und Geflügelfleisch. Das ist nicht Interesse grüner Agrarpolitik. Wir wollen in diesen Ländern der vorhandenen starken bäuerlichen Landwirtschaft eine Chance geben, ihre Betriebe in die Zukunft zu führen. Nur wird in der Landwirtschaftspolitik nicht genügend europäisch gedacht, denn Länder wie Rumänien und Polen sind in der Lage ihre heimischen Märkte selbst zu versorgen. Aber Länder, die nur aus nationalstaatlicher Sicht denken, zählen nicht zu den Motoren in solchen Fragen – leider gehört Deutschland momentan auch dazu und bremst.

Agrarpolitik ist ein Feld, das nicht nur von den Nationalstaaten bestimmt wird, sondern vornehmlich auf EU-Ebene stattfindet. Worin liegt Ihrer Ansicht nach darin die größte Chance?

Die Landwirtschaftspolitik ist eine der wenigen vergemeinschafteten Politikfelder in Europa und von überragender Bedeutung. Durch die EU-Erweiterung in Richtung Osten sind eine Reihe bedeutender Agrarländer wie Polen, Rumänien und Bulgarien hinzugekommen. Von daher spielt Agrarpolitik eine zentrale Rolle, wenn Europa zukunftsfähig gebaut werden soll. Die EU hat das Ziel, eine multifunktionale Landwirtschaft zu schaffen. Aus grüner Sicht gehören Nachhaltigkeit, Klimaschutz und der Erhalt biologischer Vielfalt dazu. Insofern ist die gemeinsame europaweite Agrarpolitik ein zentraler Baustein, weil diese Ziele nur mit einer angepassten Landwirtschaft erreicht werden können, um Antworten auf diese  Zukunftsfragen zu liefern.

Sie bewirtschaften zusammen mit ihrer Frau einen eigenen Hof. Die Landwirtschaft ist ein durch Gesetze und Vorgaben stark regulierter Sektor. Kommt es vor, dass sich ihre Ziele als Fachpolitiker und ihre praktischen Erfahrungen als Bauer widersprechen?

Meine Frau führt unseren Hof und ermahnt mich oft, dass sie bei der Arbeit förmlich in Bürokratie und Kontrollen erstickt. Ich sehe das als Landwirt natürlich auch, aber es ist leider so, dass Politik oft auf Skandale nur mit mehr Kontrollen reagieren kann. Vieles muss dokumentiert werden. Wenn aber Steuergeld eingesetzt wird, dann muss überprüft werden, wo und auf welche Weise es verblieben ist. Als Politiker kann ich nicht dagegen handeln. Sitze ich aber zu Hause am Schreibtisch, sehe ich, dass mehr und mehr Kontrollzettel darauf liegen. Das ist natürlich Quälerei, weil es nicht mit der Vorstellung vom bäuerlichen Dasein einhergeht, wenn gleichzeitig viel Arbeit auf dem Hof wartet. Die Landwirtschaft beklagt zurecht die Zunahme der Bürokratie. Aber in diesem Fall sehe ich immer beide Seiten.

Ihr Leitthema in vielen ihrer Bundestagsreden ist kurz gefasst: Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Wie könnte diese ökologische Agrarreform aussehen?

Viele Landwirte stehen vor der Frage, welche Perspektive sie noch haben und wie ihre Höfe in der Zukunft bestehen können. Der Markt für konventionell erzeugte Landwirtschaftsprodukte ist voll und unsicher. Der für biologische Produkte ist in Deutschland hingegen groß und wird durch die heimische Landwirtschaft nicht gedeckt. Damit Bauern die Umstellung gelingt, brauchen sie Unterstützung. Insofern ist eine moderne Agrarwirtschaft bäuerlich, die öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen in Anspruch nimmt. Dadurch kann die Belastung für die Umwelt reduziert werden. Das ist im Interesse aller.

Kann solch eine Reform gleichzeitig bestehen, während weltweit der Bedarf nach Lebensmitteln stetig wächst und Vorhersagen behaupten, dass dieser nur schwer zu befriedigen sein wird.

Das ist nur eine These. Der von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Weltagrarbericht zieht den Schluss, dass vor Ort die Möglichkeiten geschaffen werden müssen, Lebensmittel anzubauen. Das heißt zum Beispiel, dass nicht Ackerflächen in Ländern wie Äthiopien, Argentinien und Brasilien blockiert werden dürfen, damit Futtermittel für die Massentierproduktion in den Industrieländern bereitgestellt werden. So, wie es jetzt läuft, sind wir auf dem Irrweg. Diese wertvollen Flächen müssen die Menschen vor Ort versorgen.

(eis)

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