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Parlament

„Das Protokoll verändert sich ständig“

Sybille Koch

(DBT/Sandra Schmid)

Er ist der zweite Mann im Staat: Der Bundestagspräsident. Doch als Vertretung für die Nummer Eins, den Bundespräsidenten, kommt er nicht in Frage. Die kann nur der Bundesratspräsident übernehmen, die Nummer Vier in der protokollarischen Rangfolge in Deutschland. Warum das so ist – und was es bei Ereignissen wie der Bundesversammlung am 18. März mit dem Protokoll auf sich hat, erklärt Sybille Koch, Leiterin des Protokolls beim Bundestag. Das Interview im Wortlaut:

Frau Koch, was ist das Protokoll eigentlich genau?

Das Protokoll beim Bundestag kümmert sich in erster Linie um das „Zeremoniell“ von Sonderveranstaltungen des Deutschen Bundestages, zum Beispiel Feier- und Gedenkveranstaltungen, Reden vor dem Plenum und eben die Bundesversammlung. Es ist aber auch zuständig für festliche Essen, Empfänge und eine Vielzahl weiterer Veranstaltungen des Bundestagspräsidenten. Das Protokoll sorgt für alle Details – auch die später unsichtbaren: Wer auf der Gästeliste steht, wer wann ankommt, wer auf welchem Platz sitzt oder wer nach wem eine Rede hält. Auch für Dolmetscher, Musik, Blumen oder so kleine Dinge wie das Glas Wasser für den Redner sorgt das Protokoll. Es gestaltet die Abläufe und Rahmenbedingungen so, dass es der Stellung des Bundestagspräsidenten als zweithöchstem Repräsentanten und der Würde des Hauses angemessen ist.

Sie sprechen es schon an: Der Bundestagspräsident steht in der protokollarischen Rangliste an zweiter Stelle – nach dem Bundespräsidenten, aber vor der Bundeskanzlerin, dem Bundesratspräsidenten und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Ist damit die Rangfolge vollständig?

Nein, sie geht weiter: Minister auf Bundesebene, Landtagspräsidenten, Ministerpräsidenten...die Rangfolge richtet sich aber immer auch nach dem Anlass und dem Gastgeber. Das Protokoll Inland beim Bundesministerium des Innern muss auf andere Kriterien achten als das diplomatische Protokoll des Auswärtigen Amtes oder das Protokoll beim Deutschen Bundestag.

Inwiefern?

Wenn sich der Innenminister beispielsweise um die Ausrichtung der Olympischen Spiele bemüht und Vertreter des Olympischen Komitees zu Gast hat, dann müssen diese natürlich als Erste und nicht als Letzte begrüßt werden. Die Veranstaltung bestimmt das Protokoll. Die offizielle Rangfolge wird anlassbezogen durchbrochen. Während das Protokoll des Auswärtigen Amts dabei vor allem internationale Gäste im Blick hat, achtet das Protokoll des Bundestags insbesondere darauf, dass die Bundestagsmitglieder gemäß ihrer Stellung im innerparlamentarischen Gefüge berücksichtigt werden, also die Bundestagsvizepräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden, die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer.

Nehmen wir die Bundesversammlung als Beispiel: Wie beeinflusst die Rangfolge Ihre Planung als Protokollchefin?

Sie wirkt sich insbesondere auf die Gästelisten und die Platzierungen aus. Auch bei der Vorfahrt, wenn die Gäste im Reichstagsgebäude ankommen, muss sie beachtet werden. Dabei gilt: Die, die am wichtigsten sind, werden natürlich am wenigsten lange warten gelassen.

Stimmt es, dass hierzulande protokollarische Ranglisten und Regeln nicht offiziell und verbindlich fixiert sind? Wie hat sich das Protokoll entwickelt?

Protokoll ist weitgehend ungeschrieben und wird mündlich überliefert. Vieles entspricht internationaler protokollarischer Übung, manches hat sich im Laufe der Zeit erst entwickelt. Protokoll ist aber immer fließend an den Bedürfnissen orientiert und verschließt sich – anders als oftmals unterstellt – auch gesellschaftlichen Veränderungen nicht.

Hat sich das Protokoll beim Bundestag in den letzten Jahrzehnten verändert?

Es verändert sich ständig, sogar von Bundestagspräsident zu Bundestagspräsident. Da es zugeschnitten ist auf die Person, fließen auch ihre Wünsche, Vorlieben und Neigungen mit in den protokollarischen Ablauf ein: Der eine bevorzugt zum Beispiel Empfänge, der andere festliche Essen, der dritte Gesprächsrunden. Aber auch gesellschaftlicher Comment hat Auswirkungen auf das Protokoll. Zur Zeit der Weimarer Republik ging man noch mit Zylinder und Stresemann ins Parlament – heute würde das natürlich niemand mehr tun. Die Kleiderordnung hat sich verändert, auch seit die Grünen in den Bundestag eingezogen sind.

Wie würden Sie das Protokoll in Deutschland beschreiben?

Protokoll ist hierzulande ein zurückgenommen agierendes, so wie sich überhaupt staatliches Zeremoniell in der Bundesrepublik Deutschland gerade im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich – um nur zwei Beispiele zu nennen – eher an Bescheidenheit und eleganter Nüchternheit denn an größerem Pomp orientiert. Das Protokoll des Bundestags richtet zudem ein besonderes Augenmerk auf die menschliche Seite. Es ist Rahmengeber – aber der Rahmen soll den Anlass nicht so dominieren, dass nicht auch menschlichen Bedürfnissen Raum gegeben werden kann. Es hilft niemandem, vom protokollarischen Rahmen erdrückt zu werden. Wir bemühen uns, bestimmte protokollarische Eckpfeiler zu beachten und können ansonsten flexibel agieren.

Wie zeigt sich das konkret?

Wir können zum Beispiel unorthodox platzieren – also nicht der eigentlichen Rangfolge entsprechend, sondern so, dass sich Gäste auch mal neben einem protokollarisch ungewohnten, aber doch interessanten Sitznachbarn wiederfinden. Die Platzierung ist eine hohe Kunst und trägt sehr zum Gelingen einer Veranstaltung bei, wenn alle sich gut aufgehoben fühlen. Auch ist es möglich, das Programm auf einen Gast persönlich zuzuschneiden. Es gibt viele Aspekte, mit denen man Beweglichkeit zeigen kann.

Ist das Protokoll hierzulande flexibler als anderswo?

Länder wie Japan, Frankreich oder Großbritannien haben sicher Protokolle mit weniger Flexibilität. Auch in Spanien ist das Protokoll sehr streng. Klassische Protokolle, wie das Japans, schreiben sogar bei Ein- und Auszügen den Grad der Verbeugung, die Schrittfolge oder den Abstand zur Person vor.

Noch eine Frage zur protokollarischen Rangliste: Warum vertritt eigentlich nicht die Nummer Zwei im Staat, der Bundestagspräsident, den Bundespräsidenten, wenn er verhindert ist oder – wie zuletzt Christian Wulff – vom Amt zurücktritt?

Das ist keine Frage des Protokolls; das regelt das Grundgesetz. In Artikel 57 bestimmt es den Bundesratspräsidenten als Vertreter des Bundespräsidenten – aus gutem Grund: Wäre der Bundestagspräsident Vertreter, so käme es zu einem Interessenkonflikt. Als stellvertretender Bundespräsident müsste der Bundestagspräsident quasi über sich selbst und die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen richten. Auch hätte er das Recht zur Auflösung des Parlaments – die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich also wohlbedacht für die bestehende Regelung entschieden. (sas)

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