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Parlament

Deutsche und ungarische Abgeordnete kommu­ni­zieren in strittigen Fragen

Podiumsdiskussion in der ungarischen Botschaft: links Jens Ackermann (FDP), Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe

Podiumsdiskussion in der ungarischen Botschaft: links Jens Ackermann (FDP), Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe (DBT/Melde)

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und sein ungarischer Amtskollege László Kövér haben die freundschaftlichen und besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn gewürdigt. „Der Beitrag, den Ungarn für die Überwindung der deutschen Teilung und die Wiederherstellung der Einheit Europas geleistet hat, ist nicht nur im Gedächtnis der Deutschen fest verankert, sondern auch in der Seele unseres Landes“, sagte Lammert bei einem Treffen mit Kövér am Dienstag, 22. Mai 2012, in Berlin.

„Erster Stein aus der Mauer in Ungarn herausgebrochen“

Lammert erinnerte an einen Satz des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, der — im Rückblick auf die Öffnung des Eisernen Vorhangs durch Ungarn an der Grenze zu Österreich im Sommer 1989 — mehrfach gesagt hatte: „Der erste Stein aus der Berliner Mauer ist in Ungarn herausgebrochen worden.“

László Kövér nannte es ein „glückliches Schicksal“, dass sein Land an der Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas einen „entscheidenden Anteil“ haben konnte. Deutschland habe seinerseits sein Land entscheidend unterstützt auf dem Weg nach Europa. Heute sei Deutschland einer der wichtigsten Partner Ungarns.

Weg Ungarns in die EU geebnet

Anlass für den Besuch des ungarischen Parlamentspräsidenten in Berlin war das 20-jährige Jubiläum des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages. 1992 unterzeichneten der damalige Bundeskanzler Kohl und der ungarische Premier József Antall den gemeinsamen Vertrag „über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“.

Mit ihm verabredeten beide Länder eine enge, partnerschaftliche und dem besonderen Verhältnis beider Länder entsprechende Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Deutschland sicherte zu, Ungarns Weg in die Europäische Union zu ebnen. Seit 2004 ist das Land Mitglied der EU, bereits seit 1999 Mitglied der Nato.

Aktuelle Herausforderungen

Doch nicht nur ein Rückblick auf eine gelungene Zusammenarbeit,  sondern auch auf die aktuellen Herausforderungen standen beim Festakt in der ungarischen Botschaft in Berlin im Mittelpunkt.

Die Beziehungen Ungarns zur EU sind derzeit angespannt, mit einer Reihe von Gesetzen hat die mit einer Zweidrittelmehrheit regierende nationalkonservative Fidesz-Partei unter der Führung von Ministerpräsident Viktor Orbán Kritik in Brüssel und Europa gegen sich aufgebracht: Der Präsident der ungarischen Medienaufsicht werde direkt vom Regierungschef ernannt, eine unabhängige Berichterstattung somit gefährdet, die neue Verfassung aus dem Jahr 2011 rühre gar an der Unabhängigkeit von Verfassungsgericht und Zentralbank — so lauten die Vorwürfe, die auch in Deutschland erhoben worden und über die auch im Deutschen Bundestag diskutiert wurde.

Brüssel kündigte Klage gegen Ungarn an

In den Nachbarländern Ungarns, in denen teilweise ungarischsprachige Minderheiten leben, sorgte bereits 2010 ein neues ungarisches Staatsbürgerschaftsrecht für Unruhe, das Personen im Ausland die ungarische Staatsbürgerschaft ermöglicht, wenn sie diese einmal besaßen oder Vorfahren mit ungarischer Staatsbürgerschaft haben.

Ende April 2012 kündigte die EU-Kommission schließlich an, Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Mit Teilen seiner jüngsten Gesetze verstoße das Land gegen EU-Verträge, heißt es in Brüssel.

„Pakt mit dem Erbe der Diktatur aufgekündigt“

Parlamentspräsident Kövér, 1988 einer der Gründer des „Bunds Junger Demokraten“, wie sich Fidesz ursprünglich nannte, bat um Verständnis. Es sei eine „merkwürdige Fratze der Geschichte“, dass Ungarn zwar im Herzen Europas liege, aber in seiner langen Geschichte häufig an die politische Peripherie gedrängt worden sei — wie im 20. Jahrhundert, als sein Land über Jahrzehnte unter sowjetischer Besatzung gestanden habe.

Ungarn habe nach dem Scheitern der Vorgängerregierung 2010 am Rande der politischen Pleite gestanden, die Aufkündigung des „Pakts mit dem Erbe der Diktatur“ sei unvermeidbar gewesen.

„Kritik beruht häufig auf Missverständnissen“

„Wir bitten um Verständnis, dass wir eine unglaubliche Arbeit leisten mussten“, sagte Kövér. Neben der neuen Verfassung, die das Parlament 2011 verabschiedete, habe die Regierungsfraktion Fidesz in den vergangenen zwei Jahren mehrere Hundert neue Gesetze verabschiedet. „Wir glauben, dass Ungarn nur mit diesem großen Opfer wieder auf die Beine kommt“, sagte Kövér. Häufig beruhe die Kritik im Ausland an der ungarischen Führung zudem auch auf Missverständnissen.

Norbert Lammert zitierte den ersten Artikel des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages, wonach beide Länder ein  Europa anstreben, in dem „Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Rechte der Minderheiten, sowie die Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geachtet werden“ und in dem die Grenzen „auch durch gegenseitiges Verständnis und den Abbau wirtschaftlicher und sozialer Unterschiede“ ihren trennenden Charakter verlieren.

„Einlösung des vertraglichen Versprechens“

Mit diesen Worten würden „Ansprüche gestellt“ und auch „die Möglichkeit wechselseitiger Nachfragen ausdrücklich eröffnet“, betonte Lammert. „Und davon haben wir in den letzten Jahren Gebrauch gemacht.“ Dies sei nichts anderes als „eine Einlösung des vertraglichen Versprechens, uns gemeinsamen Anstrengungen zu stellen, hinter die wir nicht zurückfallen“, sagte er.

Lammert dankte in diesem Zusammenhang dem ungarischen Botschafter und insbesondere den deutsch-ungarischen Parlamentariergruppen in Berlin und Budapest, die als „Kommunikationsagenturen“ in strittigen Fragen immer wieder die gemeinsame Aussprache suchten.

Verbindungen von deutschen und ungarischen Abgeordneten

Die Verbindungen der 23 Mitglieder der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe des Bundestages zu ungarischen Abgeordneten tragen dazu bei, dass zwischenstaatliche Beziehungen selbst in außenpolitischen Krisenzeiten stabil sind.

Es sind die informellen Kontakte, die zählen. Das weiß Jens Ackermann (FDP), seit 2009 Vorsitzender der Parlamentariergruppe, aus Erfahrung: Er hat erlebt, dass die Verbindungen der deutschen und ungarischen Parlamentarier geholfen haben, Konflikte zu entschärfen: „Wir wollen mit unserer Arbeit zur Versachlichung von Debatten beitragen und so ein Stück weit auch den Druck rausnehmen.“

„Es gibt keine Tabuthemen“

Dass aber Kritik nicht ausgespart wird, ist für den 36-jährigen Abgeordneten selbstverständlich: „Es gibt keine Tabuthemen.“ Ob die umstrittenen Mediengesetze, die Frage von Sondersteuern für ausländische Großunternehmer oder eben die Verfassungsreform, die nun zur EU-Klage geführt hat — jedes Mal hätten die Mitglieder der Gruppe das Gespräch gesucht, um auf solche kritische Punkte hinzuweisen, erklärt Ackermann.

„Natürlich haben wir den Ungarn geraten, sich mit den Europäern an einen Tisch zu setzen und die Gesetzesvorschriften, die nicht europarechtskonform sind, anzupassen.“ Entscheidend dafür, dass Kritik nicht auf taube Ohren stoße, sei die Art, wie sie geäußert werde, so Ackermann: „Der Ton macht die Musik.“ Kritik müsse „unter Freunden“ möglich sein. Das heiße aber auch, respektvoll mit dem Gegenüber umzugehen und ihn nicht zu verletzen.

Donauraum-Strategie und Tourismuspolitik

Seit 1987, als sich zum ersten Mal eine Deutsch-Ungarische Parlamentariergruppe im Bundestag konstituierte, hat sich so eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt. Die Themen, über die sich die Parlamentarier austauschen, reichen von der Gesundheits- bis hin zur Tourismuspolitik. Auch die Förderung von Städtepartnerschaften spielt eine wichtige Rolle — ebenso wie die Zusammenarbeit im Rahmen der europäischen Donauraum-Strategie, die darauf zielt, Politik und Akteure in den 14 Anrainerstaaten der Donau besser zu koordinieren.

Für einen regelmäßigen Austausch zwischen den deutschen Parlamentariern und ihren ungarischen Kollegen ist damit gesorgt: „Einmal pro Sitzungswoche ist Ungarn Thema“, sagt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Auch wenn E-Mails und Telefonate den Austausch von Informationen zwischen den Parlamentariern in Berlin und Budapest sichern, so sind es doch in erster Linie die Treffen, die Vertrauen schaffen und Beziehungen wachsen lassen. „Ohne den persönlichen Kontakt geht gar nichts“, ist auch Ackermann der Meinung.

Der persönliche Kontakt entscheidet

Aus diesem Grund suchen er und die Mitglieder der Gruppe, wann immer es sich anbietet, den Kontakt  — sei es, wenn ungarische Minister oder Mitglieder einzelner Ausschüssen des ungarischen Parlaments im Bundestag zu Gast sind oder wenn die ungarische Botschaft zu Veranstaltungen lädt. Einen besonderen Stellenwert jedoch hat die Delegationsreise, die die Parlamentariergruppe einmal in der Legislaturperiode nach Ungarn führt. Zuletzt waren die Abgeordneten unter Ackermanns Vorsitz im vergangenen Mai vier Tage in Budapest.

Der persönliche Kontakt ermöglicht es auch, dass die Parlamentarier untereinander Informationen austauschen. Manches wird im informellen Gesprächen thematisiert, das offiziell nie zur Sprache käme. In gewisser Hinsicht seien die Kontakte der Parlamentarier für ihn „ein Art Frühwarnsystem“, sagt Ackermann. „Man spürt schnell, wenn sich etwas verändert.“ So habe er bemerkt, dass sich bei den ungarischen Parlamentariern die Einsicht durchgesetzt hat, dass viele der heute umstrittenen Gesetze zu Beginn der Legislaturperiode überhastet verabschiedet worden seien: „Sie haben erkannt, dass sie versäumt haben, die eigene Bevölkerung mitzunehmen und die geplanten Maßnahmen auch den europäischen Partnern zu erklären. Das versuchen sie nun nachzuholen.“

Die deutsch-ungarischen Beziehungen pflegen

Aber die Deutschen hatten ebenfalls etwas nachzuholen: „Auch wenn heute der Kontakt wieder eng ist, in den vergangenen Legislaturperioden sind unsere Beziehungen zu Ungarn etwas eingeschlafen“, sagt Ackermann selbstkritisch. „Ungarn ist ein guter Freund — aber manchmal neigt man dazu, gute Freunde für selbstverständlich zu nehmen und sich zu wenig um sie zu kümmern.“ Die Folge: Die Kontakte zwischen Berlin und Budapest wurden seltener, die Zahl der Mitglieder in der Parlamentariergruppe sank kontinuierlich.

Es wurde höchste Zeit, wieder in das deutsch-ungarische Verhältnis zu investieren: Als Ackermann 2009 den Vorsitz übernahm, war es so auch eines seiner Ziele, die eingeschlafenen Beziehungen wieder zu beleben. „Wir wollten den Kontakt ankurbeln und auch inhaltlich intensivieren.“ Ein Anliegen, das auf Gegenseitigkeit beruht, hat Ackermann festgestellt: „Seit etwa einem Jahr habe ich den Eindruck, dass auch die Ungarn gemerkt haben, dass man gute Freunde pflegen muss.“

An einer Podiumsdiskussion in der ungarischen Botschaft nahmen neben Jens Ackermann auch Andor Nagy, Vorsitzender der Ungarisch-Deutschen Freundschaftsgruppe, sein Stellvertreter Vilmos Szabó, der ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe und CDU-Abgeordnete Reinhard Freiherr von Schorlemer und der Journalist Alfred Eichhorn als Moderator teil. (ahe/sas)

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