Europarat-Parlament für Ende der Sozialkürzungen
Ein Ende rigider Kürzungen im Sozialbereich im Zuge staatlicher Sparpolitik, Steuererhöhungen für Besserverdienende, Impulse zur Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums, eine konsequentere Regulierung des Finanzsektors und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarats in einer Resolution zur internationalen Finanz- und Schuldenkrise. Der mit der klaren Mehrheit von 92 gegen 32 Stimmen während der Sommersession des Straßburger Abgeordnetenhauses am Mittwoch, 27. Juni 2012, verabschiedete Bericht, den der deutsche Abgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) im Auftrag des Sozialausschusses erstellt hat, verlangt zudem eine stärkere Einbeziehung der Parlamente in den 47 Mitgliedsnationen des Staatenbundes bei Entscheidung über die Konsequenzen der Krise.
Kritik von konservativen und liberalen Abgeordneten
Nach der von Kontroversen geprägten Plenardebatte im Palais de l’Europe, bei der vor allem konservative und liberale Abgeordnete Kritik an Hunkos Entwurf übten, zeigte sich der Linkspolitiker „sehr zufrieden“ über das Votum: Er sei zwar von einer Annahme seines Berichts ausgegangen, mit einer so deutlichen Mehrheit habe er jedoch nicht gerechnet. Nicht nur Sozialdemokraten und Linke, die zusammen keine Mehrheit im Europaratsparlament haben, hätten für die Resolution gestimmt, sondern auch rund die Hälfte der konservativen und liberalen Delegierten — und dies, obwohl deren Fraktionen zuvor ein Nein beschlossen hätten.
Bei der Plenardiskussion bezeichnete Hunko den Beschluss der Europaratsabgeordneten als „klares Signal“ an die Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten, Fehlentwicklungen bei der Politik der Haushaltskonsolidierung zu korrigieren. Es dürfe nicht sein, dass sozial schwache Gruppen etwa unter Älteren, Jugendlichen und Kindern die Hauptlasten der Krisenpolitik tragen müssten.
„Bankenkrise, keine Schuldenkrise“
Der deutsche Abgeordnete sieht in den internationalen Finanzproblemen „keine Schuldenkrise“, sondern eine „Bankenkrise“: In den Jahren vor Beginn der Krise im Jahr 2008 seien in Europa die Staatsschulden gesunken, die sich erst seither im Zuge staatlicher Hilfsprogramme für die Banken wieder erhöht hätten. Wegen der Bewältigung dieser Probleme würden jetzt vor allem „Sozialprogramme gestrichen“, kritisierte der Linkspolitiker.
In der vom Europaratsparlament verabschiedeten Resolution wird die Sorge geäußert, die Sparpolitik könne demokratische und soziale Rechte untergraben, und dies besonders bei den „am stärksten gefährdeten Bevölkerungsschichten“. Gefordert wird eine „tiefgreifende Neuorientierung der Sparprogramme“, die sich nicht mehr in erster Linie auf Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich etwa bei Renten, Gesundheitsleistungen, Familienhilfen oder bei der Unterstützung für Behinderte und Erwerbslose konzentrieren dürften.
Vision vom „europäischen Sozialmodell“
Die Abgeordneten des Staatenbunds machen sich für das „europäische Sozialmodell“ im Sinne einer „europäischen Vision“ stark. Eine solche Politik solle sich an der „sozialen Marktwirtschaft“ und nicht an einem „ungezügelten Wirtschaftsliberalismus“ orientieren.
Die Resolution appelliert an die Mitgliedsländer des Europarats, „energische Maßnahmen“ mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Erholung zu ergreifen, um die Chancen auf mehr Beschäftigung mit der Schaffung qualifizierter Jobs zu erhöhen. Die Politik der Etatkonsolidierung müsse um die Förderung eines nachhaltigen Wachstums ergänzt werden. Das Straßburger Parlament ruft dazu auf, jungen Leuten beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf mit speziellen Programmen zu helfen.
„Besserverdiener stärker besteuern“
Zur Bewältigung der staatlichen Haushaltsprobleme in Europa solle, wie es in dem Beschluss heißt, auch die Steuerpolitik beitragen: Plädiert wird für eine stärkere Besteuerung Besserverdienender und für eine effektivere Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Mit Beifall bedachte das Europaratsparlament die Rede des isländischen Wirtschaftsministers Steingrimur Sigfusson, der den Kurs seines Landes bei der Krisenbewältigung als Erfolg würdigte. Es habe zwar schmerzhafte Ausgabenkürzungen im Etat gegeben, doch habe man auch das progressive Steuersystem ausgeweitet und das Modell des nordischen Sozialstaats beibehalten. Sigfusson sprach sich gegen die „Privatisierung des sozialen Sektors“ aus, der das Prinzip des Gemeinwohls entgegenstehe. (kos)