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Parlament

Bühnenmanagerin aus Friesland: Karin Evers-Meyer (SPD)

Karin Evers-Meyer, SPD

Karin Evers-Meyer, SPD (DBT/Nowak-Katz)

Sie hat fast jedes Amt innegehabt, das es in der Kommunalpolitik zu vergeben gibt: Karin Evers-Meyer (SPD) war Gemeinderätin, stellvertretende Bürgermeisterin, Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Landrätin und schließlich vier Jahre Mitglied des Niedersächsischen Landtags, als sie 2002 erstmals als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Friesland-Wilhelmshaven in den Bundestag einzog. Dort wurde die gebürtige Neuenburgerin Mitglied im Verteidigungsausschuss, dem sie bis heute angehört. Seit Dezember 2009 ist Evers-Meyer auch stellvertretende verteidigungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Das Amt jedoch, das ihr vielleicht am allermeisten am Herzen lag, übernahm sie 2005: Als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung war sie vier Jahre lang eine beharrliche Streiterin für die gesellschaftliche Inklusion behinderter Menschen.

„Ich wäre sicher nicht die, die ich heute bin, ohne meinen Sohn“, sagt Karin Evers-Meyer ernst und schaut einem direkt in die Augen. Die Brille hat sie abgenommen. Sie ruht in ihren Händen, die sie in den Schoß gelegt hat. „Die Aufgabe als Beauftragte für die Belange behinderter Menschen zumindest hätte ich nie ohne ihn übernommen“, fügt die 62-Jährige nach kurzem Nachdenken hinzu. Ohne ihn — damit meint sie den einen ihrer beiden Zwillingssöhne. Den, der aufgrund einer Geburtskomplikation so schwer behindert war, dass er bis zu seinem Tod vor zehn Jahren immer auf Hilfe und einen Rollstuhl angewiesen war.

Zwillinge krempelten ihr Leben um

Evers-Meyer ist 27, als sie ihre Söhne bekommt. Sie krempeln ihr Leben von einem auf den anderen Tag völlig um: „Einen größeren Bruch kann man sich eigentlich nicht vorstellen“, sagt Evers-Meyer mit entwaffnender Offenheit. Mit 19 ist sie nach Mittlerer Reife und Höherer Handelsschule aus Neuenburg nach Berlin gezogen — getrieben von unbändiger Neugier auf das Leben und einer guten Portion Abenteuerlust.

Damals, Ende der 1960er Jahre, ist die Hauptstadt in Ost und West geteilt, der Vietnamkrieg und die Studentenproteste halten Politik und Öffentlichkeit in Atem. „Und ich war mittendrin“, lacht Evers-Meyer und beginnt davon zu erzählen, wie es war, als sie damals mit nur einem Koffer Gepäck am Bahnhof Zoo aus dem Zug stieg, um an der Akademie der Künste zu arbeiten. „Wäre ich dort geblieben, wäre ich wohl heute Prokuristin.“ Doch es kommt anders: Sie lernt ihren späteren Mann kennen. Er ist angehender Ingenieur — und Friese, wie sie selbst.

Managerin der „Niederdeutschen Bühne“

Als die Zwillinge geboren werden, entscheidet das Paar, in die Heimat zurückzukehren. Dort gibt es nicht nur günstigen Wohnraum, sondern auch Arbeit und den Rückhalt der Familie. Doch die junge Karin ist unglücklich: „Nur Gefängnis ist schlimmer, habe ich immer gesagt“, erinnert sie sich. Eben noch berufstätig, in Berlin, unter Künstlern, findet sie sich allein mit den Kindern in einer „Reihenhaussiedlung“ in Zetel wieder: „Ohne Auto — ich konnte nicht mal einkaufen gehen, mit dem Zwillingswagen kam ich ja in keinen Laden rein.“

Doch sie ist keine, die sich unterkriegen lässt. Energie hat sie mehr als genug. Evers-Meyer übernimmt in Neuenburg das Management der „Niederdeutschen Bühne“, einem plattdeutschen Laien-Theater. Sie selbst beherrscht natürlich die alte Sprache der Hanse, kann übergangslos ins Plattdeutsche wechseln: „Joo, ick kan god platt schnacke...“ sagt sie rasch sie und erzählt dann wieder begeistert von der Bühne: „Ich hatte 120 Mitstreiter, eine eigene Werkstatt, Kostümbildner, Schauspieler. Es war viel Arbeit, aber es hat auch irrsinnig viel Spaß gemacht.“ Das Theater wird für sie zur Schule — auch für die spätere politische Arbeit: „Ich habe dort vor allem eines gelernt: zu motivieren und zu führen.“

Eine Frage der Gerechtigkeit

Ob Theater- oder Handballspielen, was auch immer Evers-Meyer in dieser Zeit tut, ihre Kinder sind dabei — auch ihr behinderter Sohn. „Ich habe ihn nie versteckt, immer mitgenommen.“ Noch ist vom Konzept der Inklusion, das Veränderungen unter anderem von Umwelt und Schulen fordert, um behinderten Menschen ein gleichberechtigtes Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, nicht die Rede. Trotzdem handelt sie intuitiv danach.

Für Evers-Meyer ist dies vor allem eine Frage der Gerechtigkeit. Gegen viele Widerstände setzt sie sich etwa dafür ein, dass ihre Söhne denselben Kindergarten und dieselbe Grundschule besuchen können. Ein mühsamer Kampf, doch sie setzt sich durch.

Zehn Jahre ehrenamtliche Landrätin

Von der Politik hat Evers-Meyer lange Abstand gehalten: „Mein Vater war Bürgermeister in Zetel, deswegen interessierte mich Politik als Jugendliche erst mal gar nicht.“ Doch im Alter von 29 Jahren tritt sie 1978 in die SPD ein. Ein Schlüsselmoment ist für sie die Rettung des alten Hankenhofs im Zentrum von Zetel. „Der Hof stand leer und sollte abgerissen werden“, erzählt Evers-Meyer. Zusammen mit anderen jungen Leuten organisiert sie ein Fest im alten Gemäuer. „Wir wollten den Leuten zeigen, was man alles dort machen kann.“ Mit Erfolg: Der Hankenhof wird nicht abgerissen und dient heute als Dorfgemeinschaftshaus.  

1986 wird Evers-Meyer in den Kreistag des Landkreises Friesland gewählt, wo sie von 1990 bis 1994 Fraktionsvorsitzende ist. Als der Landrat zum Regierungspräsidenten aufsteigt, ist es Evers-Meyer, die 1994 seine Nachfolgerin wird. Fast zehn Jahre ist sie daraufhin ehrenamtlich als Landrätin tätig. Ein Fulltime-Job. Für ihre freiberufliche Arbeit als Autorin und Produzentin von Industriefilmen, die sie sich aufgebaut hat, bleibt immer weniger Zeit — zumal Evers-Meyer zu dieser Zeit auch ihr Abitur nachholt.

Per Direktmandat in den Bundestag

Sie muss sich entscheiden und wählt die Politik: Seit 1996 ist Evers-Meyer bereits Ratsfrau in der Gemeinde Zetel, 1998 zieht sie auch als Abgeordnete in den Niedersächsischen Landtag ein. Ihre politische Karriere nimmt Fahrt auf. Bis zu dem Tag im Jahr 2002, als ihr Sohn in seinem Rollstuhl tödlich verunglückt. Dieser Schicksalsschlag lässt Evers-Meyer alles in Frage stellen — auch ihre Zukunft in der Politik. Eigentlich plant sie im selben Jahr für den Bundestag zu kandidieren, doch sie zögert. Schließlich entscheidet sie sich bewusst weiterzumachen. „Für mich, aber auch für ihn“, betont Evers-Meyer. Wie sehr ihre Arbeit in seinem Sinne sein würde, weiß sie da noch nicht.

Bei der Wahl 2002 gelingt ihr per Direktmandat der Sprung in den Bundestag. Auch einen Sitz im Verteidigungsausschuss erhält sie. Für Evers-Meyer, in deren Wahlkreis der Bundeswehr- und Marinestützpunkt Wilhelmshaven gehört, ein Muss. Bundesweit bekannt wird Evers-Meyer drei Jahre später: 2005, die Große Koalition hat die Arbeit aufgenommen, tritt Karl Hermann Haack (SPD), der bisherige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung  nicht wieder an. Er schlägt stattdessen Karin Evers-Meyer vor. Haack schätzt sie als durchsetzungsstarke Kollegin — vor allem aber kennt er die Geschichte ihres Sohnes und weiß, dass ihr diese die notwendige Glaubwürdigkeit für das Amt geben wird.

„Inklusion gehört umgesetzt, sofort!“

Fragt man sie heute, was der wichtigste Erfolg aus ihrer Zeit als Beauftragter für die Belange behinderter Menschen ist, braucht Karin Evers-Meyer nicht lange zu überlegen: „Die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2007 war ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftlichen Inklusion behinderter Menschen.“

Dass die Umsetzung seitdem nur langsam vorankommt, ärgert sie sehr, man merkt es ihr an: „Inklusive Schulen sind gut für alle Kinder, nicht nur für die behinderten“, sagt sie mit Nachdruck. Dass diese in Deutschland in der Regel Förderschulen besuchten und meist in Behindertenwohnheimen betreut würden, sei ausgrenzend und diskriminierend. „Kein Wunder, dass wir so ein merkwürdiges Verhältnis zu behinderten Menschen haben. Wir kommen so ja kaum in Kontakt mit ihnen!“ Evers-Meyer schätzt Ausgleich und Kompromiss. Grundüberzeugungen jedoch sind für sie nicht verhandelbar. Deshalb lässt sie daran auch keinen Zweifel: „Inklusion gehört umgesetzt, sofort!“  (sas)

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