Lammert würdigt große Verdienste Liselotte Funckes
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat die am Donnerstag, 2. August 2012, im Alter von 94 Jahren gestorbene frühere Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke (FDP) gewürdigt. „Mit ihrem politischen und parlamentarischen Engagement hat sich Liselotte Funcke große Verdienste erworben, um den Deutschen Bundestag, die Demokratie und Deutschland“, schreibt Lammert. Walter Scheel habe Funcke einmal „eine geborene Politikerin“ genannt, und das sei sie in der Tat gewesen, so der Bundestagspräsident.
In ihrer langen Karriere habe Liselotte Funcke viele verantwortungsvolle Aufgaben übernommen und sei vor allem eine engagierte Parlamentarierin gewesen, heißt es in dem Schreiben weiter. „Knapp drei Jahrzehnte war sie Abgeordnete — zunächst im Landtag von Nordrhein-Westfalen, später im Deutschen Bundestag, wo sie über fünf Wahlperioden ein Mandat hatte. Sie genoss unter den Kollegen hohe Reputation, was auch in ihrer Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages zum Ausdruck kam, ein Amt, das sie mit großer Souveränität und Würde ausübte.“
„Unbeirrte intellektuelle Redlichkeit“
Herbert Wehner habe einmal von „der Respektsperson“ gesprochen und Wolfgang Mischnick habe über Liselotte Funcke gesagt: „Das Bezwingende an ihr ist jene innere Sicherheit, mit der sie ihre Meinung mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich vertritt, aber auch ihre unbeinrrte intellektuelle Redlichkeit.“
Die Politikerin kam 1918 als Tochter eines Unternehmers in Hagen in Westfalen zur Welt und gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Mitbegründern der FDP. Schon 1950 zog die unverheiratete Diplom-Kauffrau für die FDP in den Düsseldorfer Landtag ein. An der Seite von Willy Weyer und Walter Scheel gehörte sie zu den Politikern, die im Jahr 1956 CDU-Ministerpräsident Karl Arnold stürzten und für die erste sozialliberale Koalition in Nordrhein-Westfalen sorgten.
Zehn Jahre Bundestagsvizepräsidentin
Im Jahr 1961 wechselte Funcke in den Bundestag. Ein Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit in Bonn war die Finanz- und die Steuerpolitik. 1966 wurde sie stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses, den sie ab 1972 als Vorsitzende leitete. Die Steuerreform und Novellierung der Körperschaftsteuer mit Wegfall der Doppelbesteuerung der Aktienerträge, die in der Folgezeit realisiert wurden, werden zu einem erheblichen Teil der Arbeit Funckes gutgeschrieben.
Mit Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahr 1969 wurde die FDP-Abgeordnete Vizepräsidentin des Bundestages. In diesem Amt verblieb sie zehn Jahre bis 1979. Auch in der FDP machte Liselotte Funcke Karriere: von 1977 bis 1982 war sie stellvertretende Parteivorsitzende.
Wirtschaftsministerin unter Johannes Rau
In der Presse wurde sie später als „Galionsfigur der sozialliberalen Ära“ bezeichnet. Liselotte Funcke erwarb sich viel Respekt, weil sie zu den wenigen Bonner Spitzenpolitikern gehörte, die sich während der Studentenunruhen im Mai 1968 in den Universitäten ans Mikrofon wagten.
1979 kehrte sie noch einmal in die nordrhein-westfälische Landespolitik zurück. Auf Wunsch ihrer Partei wurde sie Wirtschaftsministerin im Kabinett von Ministerpräsident Johannes Rau
(SPD). Mit dem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Landtagswahl 1980 endete Funckes landespolitische Karriere.
„Instinkt für Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit“
Einen Namen hat sich Funcke auch als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung gemacht. 1981 holte Hans-Dietrich Genscher die Frau, deren „gestochene Sachlichkeit“ schon den SPD-Politiker Herbert Wehner beeindruckt hatte und von der Walter Scheel sagte, sie bringe etwas für die Politik mit, „was uns Männern fehlt: den besonders feinen weiblichen Instinkt für Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit“ zurück nach Bonn, damit sie die Nachfolge von Heinz Kühn als Ausländerbeauftragte antrete.
Aus Protest gegen die „Bonner Wende“ ein Jahr später legte sie ihr Amt nieder, kam im November 1982 — inzwischen nur noch als Beisitzerin im FDP-Bundesvorstand — der Bitte von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nach, ihre Arbeit wiederaufzunehmen.
Dolmetscherin für die Probleme der Ausländer
In diesem Amt verstand sie sich als „Dolmetscherin für die Probleme der Ausländer“ und wurde mitunter respektvoll-dankbar „Mutter der Türken“ genannt. Sie sprach damals schon Themen an, die noch heute die Debatte beherrschen. So hob sie angesichts der absehbaren demografischen Probleme die positiven Effekte von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt hervor. Für ihren Einsatz als Ausländerbeauftragte erhielt sie Auszeichnungen aus der Türkei, aus Spanien, Italien und dem ehemaligen Jugoslawien.
Zum 15. Juli 1991 kündigte sie ihren Rücktritt an. FDP-Chef Dr. Philipp Rösler würdigte die liberale Politikerin: „Ihr Einsatz für ein kommunales Ausländerwahlrecht bleibt unvergessen“. Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner betonte in einer Mitteilung: „Mit ihrem jahrzehntelangen Einsatz für eine tolerante und faire Gesellschaft hat sie sich um unser Land verdient gemacht.“ (ah)