Arabellion - mit neuen Medien gegen alte Regime
Neue Medien – neue Macht? Welchen Anteil haben Facebook, Twitter und Co. an den Revolutionen in der arabischen Welt? Darüber diskutierten am Mittwoch, 19. September 2012, Journalisten und die 24 jungen arabischen Stipendiatinnen und Stipendiaten, die im Rahmen des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) derzeit zu Gast im Deutschen Bundestag sind. Dabei spielten auch die aktuelle Welle der Gewalt im Nahen Osten und das Mohammed-Schmähvideo eine entscheidende Rolle.
Sozialnetz als Fenster zur Welt
Die Follower folgten – im wörtlichen Sinn. Denn auf Twitter, in Blogs und Foren verbündeten sich 2011 Millionen arabische Menschen. Über das Internet mobilisierten sich die Demonstranten, sendeten mit selbstgedrehten Videos ihre Botschaften an die Welt, zeigten so die Gewalt im Nahen Osten hautnah. Oft gelten die Blogger als die Stimme der Revolution. „Das Sozialnetz war unser einziges Fenster, unsere Meinung mutig anzubringen“, sagt der ägyptische Stipendiat Ahmed Saleh über die Rolle der digitalen Medien im „arabischen Frühling“.
Dennoch brauche es mehr als die Macht der neuen Medien, stellte Prof. Dr. Carola Richter von der Freien Universität Berlin klar. „Es greift zu kurz, von einer Twitter-Revolution zu sprechen“, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin. Zudem sei dies eine sehr westlich zentrierte Sichtweise. „Facebook ist in der westlichen Welt entwickelt worden, und das soll nun die Revolution ermöglicht haben?“, zweifelte Richter.
„Revolutionen werden von Menschen gemacht“
„Revolutionen werden von Menschen gemacht“, fügte sie hinzu. Sie meinte damit die demonstrierenden jungen Leute auf den Straßen. Ohne Frage spielen die digitalen Medien bei den revolutionären Umbrüchen in der arabischen Welt eine große Rolle. Denn Youtube und andere digitale Netzwerke versorgen die Massenmedien mit Material, so Netzexperte Matthias Spielkamp. Doch ohne den Druck der alten Medien blieben die Forderungen der Internetgemeinschaft meist ungehört, ergänzte Professorin Richter. Gerade bei den Medien brauche der Umsturz noch Zeit.
Der Deutschland-Korrespondent der ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram, Mazen Hassan, sprach von einer „Selbstzensur im Kopf“ der Journalisten. Er erzählte von Freiheit in seinen Berichten nach dem Sturz der Mubarak-Regierung, aber auch von Zensur. Der neue Chefredakteur sei vom Militärrat wieder ausgetauscht worden: Wie es weitergeht? Man wisse es nicht. Fakt sei, man brauche ein neues Mediengesetz, klare Verhältnisse in der Finanzierung der Medien und ein demokratisches Selbstverständnis.
Matthias Spielkamp machte in der zweieinhalbstündigen Diskussionsrunde auch deutlich, dass bei den westlichen Medien ein Umdenken einsetzen müsse. Denn nur mit ausreichend Sachverstand über die arabische Welt könne man ein ausgewogenes, unabhängiges Bild zeichnen. „Wir erleben aber momentan eine Medienkrise. Stellen werden abgebaut, Gelder werden gekürzt. Die Ressourcen reichen ja schon für Themen in Deutschland nicht aus.“
„Eindeutig Volksverhetzung“
Journalistin Kristin Helberg erläuterte die Probleme der medialen Berichterstattung am Beispiel Syrien. Informationen seien hier nur über Regierungs- oder Oppositionsquellen zu erlangen. Die breite Masse der Syrer, die zu Hause sitze und schweige, komme in den Medien derzeit nicht zu Wort. Zwar würden täglich Tausende Videos über die Gewalt auf den Straßen hochgeladen, doch diese erforderten von den Medien hierzulande eine solide Einordnung.
Es sei also bei dem Bild, welches über die arabische Welt in den Medien gezeichnet werde, Fingerspitzengefühl gefragt – da war man sich einig. Und so kam am Mittwoch auch das Anti-Mohammed-Video in der Diskussionsrunde auf die Tagesordnung. „Der Film schürt Hass. Das ist keine Form, einen Dialog zu führen“, sagt der ägyptische Journalist Hassan deutlich. Der Film mit dem Titel „The Innocence of Muslim“ sei eindeutig Volksverhetzung, so Kristin Helberg.
„Freiheit verlangt Respekt“
Das Schmähvideo greife Muslime weltweit an, verhöhne die Religionsgeschichte des Islams. Die aktuelle Diskussion um ein Verbot der Aufführung in deutschen Kinos sei richtig, unterstrich Hassan. Doch wünsche er sich, dass die breite Mehrheit der Menschen hierzulande ein deutlicheres Zeichen setzt und gegen den Film demonstriert. Problematischer werde es jedoch, schob Netzexperte Matthias Spielkamp ein, wenn man den Film nicht verbietet und die Demonstrationen ausbleiben. Spielkamp: „Wir sind eigentlich in einer Situation, in der man nichts mehr richtig machen kann.“
Der Umgang mit dem Film in einer durch Freiheit gekennzeichneten Demokratie sorgte beim Forum für Diskussionsstoff. „Was bedeutet Freiheit? Freiheit verlangt auch Respekt“, warf ein arabischer Stipendiat in die Runde. In der arabischen Welt sind die Proteste gegen den Film in vollem Gange: Botschaften werden angezündet, Menschen getötet, es fließt wieder Blut auf den arabischen Straßen. Man könne den Menschen nicht das Demonstrieren verbieten, so die Journalistin Helberg – doch bitte ohne Gewalt und nicht pauschal gegen die westliche Welt. (ldi/fg/19.09.2012)