Zeuge: Ermittler sind falsche Wege gegangen
„Die Täter hätten wohl entdeckt werden können, wenn es zwischen den Behörden über Zuständigkeitsgrenzen hinweg einen besseren Informationsaustausch gegeben hätte“: Diese selbstkritische Bilanz zog Hartwig Möller am Donnerstag, 27. September 2012, vor dem Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD), der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin durchleuchten soll. Angesichts von „Fehleinschätzungen“ sei man bei der Aufklärungsarbeit „falsche Wege gegangen“, so der ehemalige Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Düsseldorfer Innenministerium.
Im Blick auf die Erschießung eines türkischen Kioskbesitzers in Dortmund 2006, auf das Attentat in einem Kölner Lebensmittelgeschäft mit einer verletzten Iranerin 2001 und besonders auf den Nagelbombenanschlag mit über 20 Verletzten in einem von vielen Türken bewohnten Kölner Viertel 2004 sagte der Zeuge, im Rückblick habe man die Überprüfung eines rechtsterroristischen Hintergrunds offenbar zu früh beendet „und nach anderen Erklärungen gesucht“. Allerdings hätten damals keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund der drei Attentate existiert, auch die „Quellen“ des Geheimdiensts hätten solche Informationen nicht geliefert.
Keine Kenntnis von Analyse des Verfassungsschutzes
Auf kritische Nachfragen mehrerer Abgeordneter räumte Möller ein, unter anderem von einer nach dem Attentat von 2004 erstellten Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz keine Kenntnis erlangt zu haben, wonach in Jena drei Bombenbauer aus dem rechtsextremen Milieu untergetaucht seien.
Die Namen der NSU-Mitglieder habe er erstmals nach dem Auffliegen des Trios Ende 2011 gesehen. Vielleicht hätte er sich seinerzeit anders verhalten, meinte der Zeuge, wenn er generell mehr erfahren hätte über das Wissen ostdeutscher Behörden zum rechtsextremen Spektrum. Möller kannte nach seinem Bekunden auch ein Flugblatt mit der Parole „Deutsche wehrt euch“ nicht, das 2004 in öffentlichen Verkehrsmitteln nach dem Anschlag gefunden worden war.
Ohne weitere Hinweise reiche das Auftauchen eines solchen Flugblatts für weitergehende Ermittlungen aber nicht aus, so der Zeuge. Er verteidigte die für das Kölner Attentat weitgehend zuständige Polizei, die trotz Prüfung der in diverse Richtungen führenden Hinweise aufgrund der seinerzeitigen Kenntnisse von einem kriminellen Motiv hinter dem Anschlag ausgegangen sei.
„Wichtige Informationen durch V-Leute“
Der FDP-Abgeordnete Serkan Tören vermutete, dass die unmittelbar nach dem Nagelbombenattentat von Innenminister Otto Schily geäußerte Einschätzung, das habe nichts mit Rechtsextremismus zu tun, offenbar die Ermittlungen beeinflusst habe. Dieser These widersprach Möller energisch. Mehrfach hinterfragten Parlamentarier den Nutzen von V-Leuten, die etwa zur Aufklärung des Kölner Falles von 2004 nichts beigetragen hätten.
Linken-Obfrau Petra Pau forderte, auch die V-Mann-Führer besser zu kontrollieren. Möller sagte, bei V-Leuten handele sich oft um „schillernde Figuren“, über diese „Quellen“ erhalte man jedoch „viele wichtige Informationen“. Unionssprecher Clemens Binninger betonte, geheimdienstliche und polizeiliche Fallanalysen hätten nach dem Anschlag von 2004 eigentlich Ermittlungen Richtung Rechtsterrorismus nahegelegt, doch seien diese Expertisen bei der Polizei entweder nicht angekommen oder dort falsch bewertet worden.
SPD-Obfrau Dr. Eva Högl erklärte, zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Sicherheitsinstanzen bedürfe es nicht nur neuer Vorschriften, sondern eines „Mentalitätswechsels“ in den Behörden. Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten Wolfgang Wieland leistete man sich eine „strukturelle Blindheit“, Polizei und Verfassungsschutz hätten „vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen“.
Eine heiße Spur zum Waffenhändler
Nach der Vernehmung Möllers setzte sich der Ausschuss mit der „Waffenspur“ auseinander, bei der die Polizei bis auf wenige Exemplare den Weg aller Ceska-83-Spezialpistolen, unter denen sich die bei neun der zehn Morde eingesetzte Tatwaffe befand, recherchiert hat.
Binninger monierte, es habe schon 2004 eine „heiße Spur“ zu einem Schweizer Waffenhändler gegeben, der letztlich auch die Tatwaffe an einen Schweizer verkauft hat, von dem sie dann zum NSU gelangt ist. Aber erst nach der Entdeckung des NSU sei alles ermittelt worden. Der CDU-Politiker bemängelte, dass man sich lange Zeit mit der unglaubwürdigen Auskunft des betreffenden Schweizer Käufers zufrieden gegeben habe, die später als Tatwaffe identifizierte Pistole nicht erworben zu haben.
Wie Binninger kritisierte Högl, dass das Bundeskriminalamt (BKA) in der Schweiz vorrangig nach türkischen Käufern einer bestimmten Munition und einer Ceska 83 gefahndet hat. Dazu entgegnete Werner Jung von der BKA-Ermittlungsgruppe „Ceska“ als erster von drei zur „Waffenspur“ geladenen Zeugen, dies habe dem damaligen Erkenntnisstand entsprochen.
Untersuchungsausschuss vernimmt Volker Bouffier
Mit dem Auftritt des hessischen Regierungschefs Volker Bouffier erlebt der Untersuchungsausschuss am Freitag, 28. September 2012, einen öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt. Der CDU-Politiker soll dem Gremium vor allem Auskunft geben über seine umstrittene Rolle als einstiger Innenminister bei der Aufklärung der Erschießung eines türkischen Internetcafé-Betreibers in Kassel im April 2006. (kos/27.09.2012)
Zeit:Freitag, 28. September, 12 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900
Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Unterausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.
Bild- und Tonberichterstatterkönnen sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.