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Parlament

„Wir sind der SPD sehr entgegengekommen“

Stefan Ruppert, FDP

Stefan Ruppert, FDP (© DBT/Schüring)

Der FDP-Wahlrechtsexperte Dr. Stefan Ruppert hält den Kompromiss der schwarz-gelben Koalition mit SPD und Grünen über eine Wahlrechtsreform für verfassungsfest. Er sei sich sicher, dass die nun geplante Neuregelung verfassungskonform ist, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete in einem am Montag, 17. Dezember 2012, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die Neuregelung ist notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine 2011 von der Koalition durchgesetzte Wahlrechtsreform im Juli dieses Jahres unter anderem deshalb als verfassungswidrig verworfen hatte, weil sie nicht wie von den Richtern 2008 gefordert das Phänomen des sogenannten negativen Stimmgewichts ausschloss. Das Interview im Wortlaut:


Herr Ruppert, erst ignoriert Schwarz-Gelb beim Thema Wahlrecht die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist für die Reform und drückt anschließend gegen die Opposition ein Wahlrecht durch, das prompt wieder von Karlsruhe kassiert wird. Nicht gerade ein Ruhmesblatt für die Koalition, oder?

Die Fristversäumnis stört mich auch. Es war eben innerhalb der sehr engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts schwierig, eine Lösung zu finden, bei der das bewährte Zwei-Stimmen-Wahlrecht erhalten bleibt und der Bundestag nicht vergrößert wird. Karlsruhe hat dann gesagt, unsere Lösung sei verfassungswidrig. Ich persönlich könnte mit dem alten Wahlrecht der Koalition, das keine Vergrößerung vorgesehen hat, immer noch leben und halte das Urteil zumindest in dem Punkt für zweifelhaft.

In einem Punkt hat das schwarz-gelbe Wahlrecht schon eine Vergrößerung in Kauf genommen, nämlich eine wachsende Zahl von Überhangmandaten, die zu anderen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag hätte führen können, als dem Zweitstimmenergebnis der Wahl entsprechen würde.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von 1997 gesagt, 30 Überhangmandate seien verfassungsgemäß. Es hat diese Rechtsprechung nun geändert und gesagt, 15 Überhangmandate seien verfassungsgemäß. Es hat das damit begründet, dass absehbar sei, dass die Zahl der Überhangmandate weiter steige. Das Gericht wusste also über den Ausgang der nächsten Bundestagswahl, was die Überhangmandate angeht, schon jetzt sehr gut Bescheid. Insofern bin ich ein bisschen am Zweifeln, weil es nach den derzeitigen Umfragen 2013 weniger Überhangmandate geben wird als 2009.

Jetzt haben sich Union und FDP mit SPD und Grünen auf ein neues Wahlrecht verständigt. Sind Sie sich sicher, dass die nun geplante Neuregelung verfassungskonform ist?

Ich bin mir sicher, dass sie verfassungskonform ist. Ich freue mich, dass wir einen Konsens mit der Opposition gefunden haben. Wir haben das auch beim alten Wahlrecht versucht, aber da war klar, dass die SPD dazu unterhalb des Vollausgleichs aller Überhangmandate nicht bereit war. Wir haben damals gesagt: Das ist uns eine zu starke Vergrößerung des Bundestages. Deswegen war damals der Kompromiss nicht möglich. Jetzt sind wir der SPD sehr entgegengekommen, allerdings um den Preis, dass der Bundestag größer wird.

Gekippt wurde die schwarz-gelbe Reform im Juli dieses Jahres von den Verfassungsrichtern unter anderem, weil sie nicht, wie vom Gericht 2008 gefordert, das Phänomen des „negativen Stimmgewichts“ ausschloss. Kritiker bemängeln nun, dass auch im neuen Modell das negative Stimmgewicht nicht völlig beseitigt sei.

Ich glaube, das negative Stimmgewicht ist beseitigt, und zwar vollständig. Allerdings ist damit nicht jeder inverse Effekt, also sozusagen erwartungswidrige Effekt beseitigt. Darauf habe ich immer hingewiesen. Die Opposition war aber der Meinung, dass das kein verfassungsmäßiges Problem sei. Wenn Sie als Wähler nach dem künftigen Wahlrecht dafür sorgen, dass Überhangmandate entstehen, entstehen dadurch in einem zweiten Schritt auch Ausgleichsmandate. Wenn man diesen Effekt, dass hinter den Stimmen für ein Überhangmandat eigentlich keine Stimmen für Ausgleichsmandate stehen, kritisieren will, kann man das mit guten Argumenten tun. Allerdings halte ich ihn nicht für verfassungswidrig und auch nicht für ein negatives Stimmgewicht, sondern für einen anderen Effekt.

Sind Abgeordnete mit Ausgleichsmandat dann eigentlich noch unmittelbar gewählt, wie es das Grundgesetz verlangt?

Ja, ich finde, das ist so. Hält man das Prinzip hoch, dass die Zweitstimme absolut über das Kräfteverhältnis der Fraktionen untereinander entscheidet, muss man Ausgleichsmandate billigen und gut finden. Und ich finde, das Verhältniswahlrecht ist ein hohes Gut.

Die Ausgleichsmandate bekommen aber Parteien, denen die Wähler eben nicht die Erststimme gegeben haben. Wird der Wählerwille damit nicht in sein Gegenteil verkehrt?

Denen der Wähler nicht seine Erst-, wohl aber seine Zweitstimme gegeben hat. Und die Zweitstimme ist die entscheidende Stimme. Sie wird mit diesem Wahlrecht nochmal aufgewertet.

Sie haben es ja schon angesprochen: Durch die Ausgleichsmandate droht der Bundestag ganz schön aufgebläht zu werden...

Wenn der Bundestag tatsächlich stark anwachsen würde, müssten wir in der nächsten Legislaturperiode nachbessern, sei es hinsichtlich der Zahl der Wahlkreise, sei es vielleicht mit einer Art „atmendem Deckel“ bei den Ausgleichmandaten – dass man also sagt: Für ein Überhangmandat dürfen nicht mehr als soundso viele Ausgleichmandate anfallen. Allerdings hat das auch Probleme, wie wir aus dem Wahlgesetz von Schleswig-Holstein wissen, in dem genau diese Kappung stand, was in die Verfassungswidrigkeit geführt hat.

Als Alternative haben Sie auf die Zahl der Wahlkreise verwiesen: Bei weniger, aber größeren Wahlkreisen sinkt die Zahl der Parlamentarier. Ist aber nicht zu befürchten, dass bei einer Vergrößerung der Wahlkreise Abgeordnete monieren, sich dann immer weniger um den einzelnen Bürger kümmern zu können? Und umgekehrt eine mangelnde Bürgernähe der Politik beklagt wird?

Doch, das ist zu befürchten. Deswegen würde das nur in Betracht kommen, wenn die Vergrößerung des Bundestages so stark wäre, dass man gegensteuern muss. Prinzipiell bedeuten weniger Wahlkreise oder auch ein Ein-Stimmen-Wahlrecht, eine reine Verhältniswahl, erst mal weniger Demokratie für den Bürger: Er hat dann nicht mehr zwei Stimmen, sondern nur noch eine, und damit weniger Einflussmöglichkeiten. Außerdem: In dünner besiedelten Gebieten entstehen dann natürlich schon sehr große Wahlkreise, in denen es schwierig wird, dass ein einzelner Abgeordneter seinen Bürgern noch als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Der unmittelbare Kontakt mit den Wählern im Wahlkreis ist aber wichtig.

Das Stimmensplitting, die Aufteilung von Erst- und Zweitstimme auf verschiedene Parteien, begünstigt die Entstehung von Überhangmandaten. Macht deren Neutralisierung durch Ausgleichmandate solch taktisches Wählerverhalten sinnlos?

Nein, überhaupt nicht. Dann wäre das bisher ja nur in Gebieten wie Baden-Württemberg oder Sachsen sinnvoll gewesen, in denen regelmäßig Überhangmandate entstanden. Die Menschen haben aber auch in allen anderen Ländern sehr bewusst mit Erst- und Zweitstimme hantiert und beispielsweise als FDP-Wähler ihre Erststimme der CDU gegeben. Für den Wähler bietet das mehr Optionsmöglichkeiten.

Andererseits führt unser personalisiertes Verhältniswahlrecht mit Erst- und Zweitstimme zu all den komplizierten Problemen wie Überhangmandaten und negativem Stimmgewicht, die dem Bürger kaum zu erklären sind. Bei einem reinen Mehrheits- oder reinen Verhältniswahlrecht wäre das anders.

Wie das Zwei-Stimmen-Wahlrecht funktioniert, ist in Deutschland breit kommuniziert. Wie dann genau die Stimmenverteilung mit 16 Landeslisten und so weiter im Detail funktioniert, wissen in der Tat nur wenige. Aber die Funktionsweise des Zwei-Stimmen-Wahlrechts und seine politische Dimension verstehen die Leute schon. Natürlich kann man sagen: Ein Ein-Stimmen-Wahlrecht ist noch einfacher. Das stimmt. Aber es ist auch weniger Demokratie.

(sto/17.12.2012)

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