„Musik ist wichtiger als Nahrung“
„Stille Nacht, heilige Nacht“ – schallt es durch die Räume des Jakob-Kaiser-Hauses im Berliner Parlamentsviertel. Die Chorgemeinschaft des Deutschen Bundestages hat zum traditionellen Weihnachtskonzert geladen. Doch die besinnlichen Töne sind harte Arbeit. Bei der Generalprobe – einen Tag vor dem Auftritt – wird dies offensichtlich. Dirigent Zarko Bulajic ist mit vollem Körpereinsatz dabei. Gestenreich formt er die Stimmen. „Sehr schön, sehr schön, phänomenal. Aber bitte nicht so wild“, ruft er in den Raum. Die langen gelben Gardinen an den Fenstern, der schwarze Flügel in der Mitte vermittelt keinen prunkvoll-mächtigen Eindruck – ganz im Gegensatz zu den ausgefeilten Tönen.
Auftritte im Fernsehen und im Plenarsaal
Man merkt: Der Chor ist kein Feierabendverein, hier herrscht Professionalität. 2004 traten die Bundestagssänger bereits in der ARD auf, 2006 setzte man die „Krone der Volksmusik“ auf. 2007 nahmen die Mitglieder des Chors sogar kurzzeitig auf der Regierungsbank Platz – bei einem Konzert im Plenarsaal.
„Den Namen ,Chor des Deutschen Bundestages’ zu tragen ist eine besondere Verantwortung“, sagt Zarko Bulajic ganz stolz. 2001 hat er der Musikgemeinschaft der Bundesbehörde wieder neues Leben eingehaucht. Ein Männerchor der Verwaltung des Deutschen Bundestages existierte bereits seit 1951. Doch das musikalische Engagement kam zwischenzeitlich zum Erliegen.„Musik ist wichtiger als Nahrung“, lacht Dirigent Bulajic und ergänzt: „Über Musik kann man sich mitteilen und hinter die Noten blicken.“
Breit gefächertes Repertoire
Im hektischen Berliner Politikbetrieb ist dies manchmal besonders wichtig. Johanna Voß von der Fraktion Die Linke ist die einzige Abgeordnete des Parlaments im Chor, die auch musikalisch ihre Stimme erhebt. „Das Singen bedeutet für mich Abschalten, mit sich in Einklang kommen“, sagt die Abgeordnete. Es sei ein Ausdruck von Friedlichkeit und Friedfertigkeit.
„Es ist aber auch eine sportliche Angelegenheit“, so Sängerin Heide Golz. Denn nach den Proben spüre man jeden Muskel. Schließlich ist das Repertoire, welches die Chorsänger in ihren wöchentlichen Proben einstudieren, breit gefächert. Von Klassik über Modern bis hin zum Weihnachtslied.
Kontakt zum britischen Parlamentschor
Für das kommende Jahr plant der Chor etwas Neues. Derzeit stehe man im Kontakt mit dem britischen Parlamentschor – ein gemeinsames Konzert könnte in der Dresdner Frauenkirche stattfinden, erzählt Zarko Bulajic. Doch Genaueres darüber ist noch nicht zu erfahren, die Idee sei „noch zu frisch“.
„Für mich wäre es aber ein großer Traum, wenn alle Parlamentschöre der Europäischen Union ein gemeinsames Konzert geben würden“, so der Dirigent, der in der Kleiderkammer der Bundestagsverwaltung angestellt ist. Mit einem solchen Auftritt hätte man die Möglichkeit, andere Parlamente kennenzulernen: „Das ist für mich Europa.“
Streng, verrückt, freundlich, bekloppt
Eine Einheit der ganz besonderen Art haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages kurz vor Weihnachten geboten. Beim überfraktionellen Adventssingen stimmten sie gemeinsam Adventslieder an und sorgten für besinnliche Töne im sonst streitlustigen Parlament. Vor weihnachtlich dekorierter Kulisse und großem Tannenbaum offenbarten rund hundert Parlamentarier und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung ihr gesangliches Talent.
„Wir wünschen uns viele neue Leute“, lacht Dirigent Zarko Bulajic. Schließlich habe auch der Chor des Bundestages Nachwuchssorgen – wie so viele. „Wir sind zwar eine Familie, aber immer offen für neue Mitglieder. Es muss aber Liebe auf den ersten Blick sein“, so Bulajic. Denn: „Wir sind streng, verrückt, freundlich und gleichzeitig bekloppt. Wer sich bei uns einmal mit dem Gesangsvirus infiziert hat, bleibt. Gegen diesen Virus gibt es keine Heilung.“ (ldi/20.12.2012)