„Das Verschweigen ist eine undurchdringbare Mauer“
Jedes fünfte Kind in Europa erlebt sexuelle Gewalt. 13.000 Fälle verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland. Die Dunkelziffer des Missbrauchs an Kindern ist weit höher. Es sind Zahlen, die erschrecken. Es ist ein Thema, das in der Gesellschaft noch immer tabuisiert wird. Im Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages kamen am Donnerstag, 14. März 2013, Parlamentarier und Interessengruppen aus aller Welt zusammen, um gemeinsam zu diskutieren. Die Teilnehmer gehören dem Netzwerk der Kontaktparlamentarier der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gegen Kindesmissbrauch an.
„Am Anfang eines Bewusstseinswandels“
„Die Hürde, darüber zu sprechen, ist groß. Das Verschweigen eine undurchdringbare Mauer“, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch, zu Beginn seines Vortrags. Zwar sei die Bereitschaft, sich dem Thema zu öffnen, meist hoch, doch noch immer stehe die Gesellschaft am Anfang ihres Bewusstseinswandels.
Es sei wichtig, dass die Ächtung des Missbrauchs gesellschaftliche Realität werde und die Kommunikation frei von falscher Scham und Peinlichkeit erfolgen könne, so der Beauftragte der Bundesregierung. Für die Opfer sexueller Gewalt habe die Bundesregierung eine telefonische Anlaufstelle eingerichtet. In den nächsten Wochen werde ein Online-Informations-und Hilfeportal freigeschaltet.
Mehr Beratungsangebote, bessere Schutzkonzepte
Seit Mai 2012 seien bisher 31.000 Briefe und Anrufe bei der Hilfestelle eingegangen. Doch noch immer gebe es viel zu tun: Die Beratungsangebote vor Ort seien unzureichend, die lokalen Hilfen müssten verbessert werden, zudem benötige man Schutzkonzepte in den Einrichtungen, nennt Rörig konkrete Maßnahmen in der Zukunft. „Da steht uns ein harter politischer Kampf bevor“, prophezeit er.
Anfang des Jahres startete der Bundesbeauftragte eine Kampagne – „kein Raum für Missbrauch“. Marlene Rupprecht (SPD) betont, dass es keinen Ort auf der Welt – auch nicht in Familien – geben dürfe, in dem Kinder vor Missbrauch nicht geschützt sind. Es sei die Pflicht der nationalen Parlamente, diesen Schutz sicherzustellen.
Dafür sollten nationale und internationale Strategien entwickelt werden. Denn man brauche eine Gesellschaft, in der Missbrauch nicht akzeptiert werde, so Rupprecht. Schließlich sind Kinder die Demokraten von morgen. Die Konventionen von Lanzarote zum besseren Schutz vor sexuellem Missbrauch müsse Deutschland endlich ratifizieren – dafür kämpfe sie weiter.
Vielzahl von Hemmnissen und Hindernissen
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert versichert, dass das Thema vom Deutschen Bundestag ernst genommen werde. Die mittlerweile zwölfte Konferenz zum Schutz von Kindern gegen sexuellen Missbrauch verdeutliche jedoch die Vielzahl von Hindernissen und Hemmnissen.
Lammert erinnert an ein Zitat Albert Einsteins, welches ein Leitspruch im Kampf gegen sexuellen Missbrauch sein könnte. „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt“, hat der große Forscher einmal gesagt. Der Parlamentspräsident stellt dazu mahnend fest: „Es gibt noch unglückliche Kinder auf Erden, und es gibt sie auch unglücklicherweise in Europa.“ (ldi/14.03.2013)