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Parlament

Vor 45 Jahren: Bundestag beschließt Notstandsgesetze

Mehrere Männer in Anzug und Krawatte sitzen in drei Reihen hintereinander.
Menschen mit Transparenten stehen vor einer Glasfassade.
Menschen mit Transparenten marschieren im Pulk durch eine Straße. Drei Männer unterhalten sich am Rand des Zuges mit einer älteren Dame.
Männer ziehen mit Transparenten durch eine Straße. Darunter sind auch evangelische Geistliche.
Menschen ziehen im losen Pulk durch eine Straße. Auf einem länglichen Transparent ist das Wort Notstandsgesetz zu lesen.
Ein Mann mit Kopfbedeckung steht vor zahlreichen Mikrofonen.
Menschen ziehen im Pulk durch eine Straße. Voraus geht ihnen ein älterer Mann mit einem Stock in der Hand.
Zahlreiche Abgeordnete sitzen im Bonner Plenarsaal.
Willy Brandt steht am Rednerpult.
Helmut Schmidt steht am Rednerpult.
Ernst Benda, ein Mann mit Hornbrille und Seitenscheitel, steht am Rednerpult.
Walter Scheel, ein älterer Herr, steht am Rednerpult.
Kurt Georg Kiesinger sprechend am Rednerpult.

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Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, Außenminister Willy Brandt, Innenminister Ernst Benda, Finanzminister Franz-Josef Strauß, Wirtschaftsminister Karl Schiller (von rechts) in der Regierungsbank im Bundestag (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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30. Mai 1968: Studenten protestieren an der Freien Universität gegen die Notstandsgesetze. Diese sehen in Notstandszeiten eine Einschränkung der Grundrechte vor. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Gert Schütz)

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11. Mai 1968: Das Kuratorium ,Notstand der Demokratie' und die ,Kampagne für Demokratie und Abrüstung' organisieren einen Sternmarsch auf Bonn, um gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition zu protestieren. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Engelbert Reineke)

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Evangelische Pfarrer protestieren am 8. Mai 1968 gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Sternmarsch des Kuratoriums ,Notstand der Demokratie' und der ,Kampagne für Demokratie und Abrüstung' auf Bonn am 11. Mai 1968 (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Detlef Gräfingholt)

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Der Schriftsteller Heinrich Böll spricht am 11. Mai 1968 zu den Demonstranten. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Detlef Gräfingholt)

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Sternmarsch des Kuratoriums ,Notstand der Demokratie' und der ,Kampagne für Demokratie und Abrüstung' auf Bonn am 11. Mai 1968. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Ludwig Wegmann)

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30. Mai 1968: Nach der dritten Lesung können die Notstandsgesetze mit den Stimmen von CDU/CSU und einer Mehrheit der SPD verabschiedet werden. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Außenminister Willy Brandt bei seiner Rede im Plenum des Bundestages. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt spricht zu den Abgeordneten. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Bundesinnenminister Ernst Benda verteidigt die Notstandsgesetzgebung. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Walter Scheel, FDP-Parteivorsitzender und Bundestagsvizepräsident, während der Debatte über die Notstandsgesetzgebung. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

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Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger während seiner Rede zu den Notstandsgesetzen. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Jens Gathmann)

Es sei die „umstrittenste Gesetzesvorlage seit der Wehrverfassung“, schrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“, nachdem der Bundestag nach vierstündiger Debatte vor 45 Jahren, am 30. Mai 1968, mit dem 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes die Einführung einer Notstandsverfassung gebilligt hatte. Mit dieser Entscheidung setzten die Abgeordneten einen Schlusspunkt hinter zehn Jahre parlamentarischen Streits über die Frage, ob und wie der Staat, um in einer Krisensituation handlungsfähig zu bleiben, auch die bürgerlichen Grundrechte einschränken darf.

Notparlament als Ersatz für Bundestag und Bundesrat

Dem Verfassungstext wurde eine Notstandsverfassung beigefügt, um die Handlungsspielräume der Staatsorgane in einer Krisensituation zu erweitern – aber auch um die Grundrechte einzuschränken. Im Fall eines inneren oder äußeren Notstands kann seither ein „Notparlament“ als Ersatz für Bundestag und Bundesrat zusammentreten.

Die Bundeswehr darf außerdem zur „Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer“ – also auch gegen die eigene Bevölkerung – eingesetzt werden. Darüber hinaus können die Grundrechte jedes Einzelnen bei einem Ausnahmezustand beschnitten werden: Insbesondere das in Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Post- und Fernmeldegeheimnis ist davon betroffen.

Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze

Erste Pläne zur Einfügung einer Notstandsverfassung in das Grundgesetz gab es bereits 1958. Doch erst die Große Koalition besaß die für diese Grundgesetzänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

Mit den geplanten Notstandsgesetzen hatten CDU/CSU und SPD einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Insbesondere Studenten, Intellektuelle, die Gewerkschaften, aber auch die FDP waren dagegen. Sie fürchteten, dass die Grundgesetzänderung die noch relativ junge deutsche Demokratie gefährden würde und verwiesen auf die Erfahrungen mit Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der den Weg zur „Machtergreifung“ Hitlers geebnet hatte.

Beim „Sternmarsch auf Bonn“ am 11. Mai 1968 demonstrieren so Zehntausende weitgehend friedlich gegen das Gesetzesvorhaben, doch insgesamt war das politische Klima bereits seit Monaten aufgeheizt: Am 11. April 1968 war der Studentenführer Rudi Dutschke auf offener Straße angeschossen worden. Die Auseinandersetzungen der außerparlamentarischen Opposition (APO) mit der Staatsmacht waren daraufhin immer gewaltsamer geworden.

Vierstündiges Wortgefecht im Plenum

Als die Abgeordneten schließlich am 30. Mai 1968 zur dritten Lesung und namentlichen Abstimmung über die Notstandsgesetze im Parlament zusammenkamen, glich das Bonner Bundestagsgebäude so eher einer Festung. Aus Sorge vor weiteren Demonstrationen waren schon Tage vorher Einheiten der Bereitschaftspolizei mit Absperrgittern und Wasserwerfern bereitgestellt worden.

Doch die erwarteten Proteste vor dem Parlament blieben aus. In zahlreichen anderen Universitätsstädten kam es allerdings zu Blockaden, Besetzungen und Demonstrationen. Und auch im Plenum bahnte sich ein hitziges Wortgefecht zwischen schwarz-roter Regierungskoalition und FDP an.

„Grundrecht zum Schutz der Grundrechte wahren“

Die Kritik der Liberalen konzentrierte sich auf den Ausschluss des Rechtsweges beim Abhörgesetz. Insbesondere Hans-Dietrich Genscher wandte sich vehement gegen die geplanten Post- und Telefonkontrollen.

So sollte es keine Möglichkeit für einen zu Unrecht Überwachten geben, gegen solche Maßnahmen gerichtlich vorzugehen. Das aber sei eine „unverzichtbare Garantie für die Beachtung der Grundrechte“, so Genscher. Das „Grundrecht zum Schutz der Grundrechte“ müsse gewahrt bleiben – im „Interesse des Vertrauens der Bürger in den Staat“ sowie im „Interesse einer freiheitlichen verfassungspolitischen Entwicklung“.

„Rechte des Parlaments nicht eingeschränkt“

Zudem bemängelte der Abgeordnete Karl Moersch, das Parlament würde mit den Notstandgesetzen auf einen Teil seiner Rechte verzichten. Das Handeln der Regierung müsse im Krisenfall nachträglich parlamentarisch legitimiert werden, so der FDP-Politiker.

Den Vorwurf, die Notstandsgesetze schränkten die Rechte des Parlaments ein, wies Bundesinnenminister Ernst Benda (CDU) jedoch zurück: Die Rechte blieben in vollem Umfang erhalten und würden sogar noch erweitert.

„Die Stunde der Bewährung des Parlaments“

Auch Bundesaußenminister Willy Brandt (SPD) bekräftigte: „Der Notstandsfall darf eben nicht die Stunde der Exekutive, er muss die Stunde der Bewährung des Parlaments und des mündigen Bürgers sein.“ Brandt bezeichnete die Notstandgesetze als „erforderliche Vorsorgegesetzgebung“, bei der man nur über das „Wie“, nicht über das „Ob“ streiten könne.

Damit fand er sich auf einer Linie mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), der die Gesetze als „notwendige Ergänzung des Grundgesetzes aus seinem Geist und Sinn“ bezeichnete. Wer „mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken“, so warnte wiederum Brandt, werde ihn „auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden“. Dies sei ganz wörtlich gemeint.

Große Mehrheit für Grundgesetzänderung

Doch sowohl in der CDU/CDU-Fraktion als auch in der SPD gab es Gegenstimmen. Während einige Unionsabgeordnete die Gesetzesvorlage im Vorfeld der Entscheidung als zu „zu weich“ kritisiert hatten, nannte der Sozialdemokrat Hans Matthöfer in der Debatte die darin enthaltenen Grundrechtseinschränkungen „nicht gerechtfertigt“.

Er kündigte an, das Gesetz abzulehnen. Damit war er nicht allein: In der anschließenden namentlichen Abstimmung votierten insgesamt 100 stimmberechtigte Parlamentarier (sowie ein Berliner Abgeordneter) gegen die Notstandgesetze.

„Notparlament kann zusammentreten“

Da aber 384 stimmberechtigte Abgeordnete (sowie 20 Berliner Parlamentarier) mit „Ja“ gestimmt hatten, war die Einführung der Notstandsverfassung damit beschlossen. Es war ein eindeutiges Ergebnis: 53 Stimmen über der erforderlichen Zweidrittelmehrheit.

Die Notstandsgesetze sind seit dem 28. Juni 1968 in Kraft – und damit nun seit fast 45 Jahren gültig. Angewendet werden mussten sie zum Glück jedoch noch nie. (sas/28.05.2013)

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