„Parlamentarier sollten nicht zu ichbezogen denken“
Der Alterspräsident des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU), empfiehlt jüngeren Abgeordneten, die jetzt neu in das Parlament einziehen, einen gezielten Austausch mit erfahrenen Kollegen. Der CDU-Politiker, der mit 77 Jahren in der neuen Wahlperiode wieder der älteste Abgeordnete ist, sagt in einem am Montag, 30. September 2013, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“, zwar müsse jeder Parlamentarier seinen Weg selber finden. Für ihn sei es zu Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn 1976 jedoch hilfreich gewesen, „mit erfahrenen Abgeordneten darüber zu sprechen, wie dieser ganze Apparat tickt“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Professor Riesenhuber, Glückwunsch zur Wiederwahl. Sie sind 77 Jahre alt und erneut der älteste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Damit fällt Ihnen zum zweiten Mal die Rolle als Alterspräsident zu. Freuen Sie sich oder ist dieses „Amt“ mehr Bürde als Würde?
Das ist nichts, was im operativen Geschäft die Welt verändert, aber ich freue mich darauf, den Bundestag zu eröffnen, die neue Sitzungsperiode zu beginnen. Ich freue mich auf den Austausch mit den Kollegen, die genau wissen: Der Riesenhuber hat nicht mehr die Absicht, Parlamentarischer Staatssekretär zu werden. Er steht nicht in Konkurrenz, und wir können völlig unbefangen miteinander umgehen. Das ist schon eine angenehme und entspannte Art, zusammenzuarbeiten. Auch dies ist sicherlich ein Vorzug des höheren Lebensalters.
Als Alterspräsident werden Sie am 22. Oktober die konstituierende Sitzung des Bundestages bis zur Wahl des Parlamentspräsidenten leiten. Es ist eine gute Tradition, dass der älteste Parlamentarier auch eine Eröffnungsrede hält. Welche Botschaften haben Sie denn diesmal für Ihre Kollegen im Gepäck?
Das weiß ich noch nicht. Ich habe bis zum Wahlsonntag noch Wahlkampf gemacht, nichts sonst. Ich fange jetzt erst so langsam an, darüber nachzudenken. Ich habe auch noch ein bisschen Zeit.
Manche meinen, der Wahlkampf wäre langweilig gewesen, die Wahl selbst war aber unzweifelhaft spannend. Beobachter sprechen gar von einer historischen Zäsur, weil die FDP erstmals in der Nachkriegsgeschichte nicht ins Parlament einzieht und Kanzlerin Merkel fast die absolute Mehrheit der Mandate geholt hätte. Was ist da passiert?
Das Erste ist: Im Verlauf der Zeit wurde der Wahlkampf immer weniger langweilig, weil immer deutlicher zum Ausdruck kam, dass in der Tat gewählt werden kann zwischen zwei klar unterscheidbaren Alternativentwürfen für Deutschland.
Um es am Beispiel der Steuerpolitik zu zeigen: Es ist schon ein elementarer Unterschied, ob man sagt, wir wollen die Steuern erhöhen, den Staatsanteil vergrößern – oder wir wollen die Steuern nicht erhöhen, bei der sogenannten kalten Progression sogar senken und damit die Freiräume zum Arbeiten und Wirtschaften vergrößern.
Die schwarz-gelbe Koalition war ja in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich. Wir haben zwischen Sparen und Investieren ein sehr präzises Gleichgewicht gehalten. Wir haben in Bildung und Forschung mehr als 13 Milliarden Euro zusätzlich investiert. Das hat ja offenkundig geholfen: Die Wirtschaft hat sich gut entwickelt, die Zahl der Arbeitsplätze ist auf einem Niveau wie noch nie. Der Gegenentwurf der bisherigen Oppositionsparteien setzt dagegen auf eine höhere Gestaltungsmacht des Staates.
Und die FDP?
Ich habe mit der FDP wirklich gerne zusammengearbeitet, und es tut mir leid, dass nun tüchtige Kolleginnen und Kollegen nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Bei der Haushaltskonsolidierung, bei der vorzeitigen Einhaltung der Schuldenbremse lagen wir mit der FDP durchaus auf einer Linie. Dass die Parteivorsitzende Angela Merkel jetzt fast eine absolute Mehrheit hat, ist dem Erfolg der letzten Jahre geschuldet, der klugen Art, in der sie in Europa die Krise gemanagt hat, und ihrer vertrauenswürdigen Persönlichkeit.
Der Koalitionspartner ist nun weg.
Jetzt, wo der Staub des Wahlkampfes sich so langsam setzt, müssen wir schauen, wo wir ohne die FDP Schnittmengen finden mit den zwei möglichen Koalitionspartnern, also den Sozialdemokraten oder den Grünen, und dann entscheiden, mit wem wir gehen wollen.
Sie gehen in ihre elfte Legislaturperiode. Können Sie sich noch erinnern, wie es war, als Sie 1976 erstmals im Bundestag Platz nahmen, damals ja noch in Bonn?
Das Verblüffendste damals war: Ich habe mir die Kollegen angeschaut und erwartet, da müsste irgendwas Gemeinsames sein, das die politischen Menschen prägt. Aber das waren völlig verschiedene Leute, nach Alter, nach beruflicher Herkunft, nach Lebensentwürfen, Interessenschwerpunkten, nach Familienstand; und alle waren in dieser einen Gemeinschaft. Das fand ich eindrucksvoll, und das hat seine Faszination bis heute nicht verloren. Da ist eine enorme Vielfalt und Spannung im Parlament, aber zugleich sind wir Abgeordnete in dem Wissen beisammen, dass wir gemeinsam die Probleme für Deutschland zu lösen haben.
Vor 20 Jahren waren Sie Bundesminister für Forschung und Technologie. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute sehen, wie aus dem Parlament heraus getwittert wird und eine Welt ohne Google und Smartphones unvorstellbar erscheint?
Das ist an sich eine schöne Erweiterung der Möglichkeiten. Die Grenze ist dann erreicht, wenn in einer Sitzung jemand, mit dem man sich besprechen sollte, seine Mails checkt oder Neuigkeiten an den Aktienmärkten abfragt.
Die jüngsten Abgeordneten, die in das Bundesparlament einziehen, sind Jahrgang 1987, also gerade 26 Jahre alt. Haben Sie für die ein paar Ratschläge?
Jeder muss natürlich seinen Weg selber finden. Aber damals fand ich es hilfreich, mit erfahrenen Abgeordneten darüber zu sprechen, wie dieser ganze Apparat eigentlich tickt. Wie findet man seine Themen, wie findet man Kollegen, mit denen man gemeinsam Anträge ausarbeiten kann, wie entwickelt man sein Profil? Es macht durchaus Sinn, das Gespräch mit Leuten zu führen, die schon in den Strukturen zu Hause sind.
Werden Sie von jüngeren Abgeordneten denn auch schon mal beiseite genommen und nach ihrer parlamentarischen Erfahrung befragt?
Ich werde oft angesprochen. Umgekehrt schaue ich, welche neuen Kollegen interessant sind, ob jemand Unternehmungsgeist und Biss hat und ein Thema, das ihn treibt. Und wenn sich daraus ergibt, dass man etwas zusammen macht, ist das ein Vergnügen. Ich bin aber kein Filmproduzent auf der Suche nach neuen Stars.
Was muss denn aus Ihrer Sicht ein Parlamentarier an Kerneigenschaften mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Er oder sie sollte schon redlich und geradlinig sein und auch standfest. Parlamentarier sollten grundsätzlich teamfähig sein. Außerdem sollten sie die Fähigkeit haben, mit Menschen umzugehen, aber das haben sie ja spätestens auf dem Weg zum Mandat gelernt. Und sie müssen ein Thema haben, für das sie politisch kämpfen wollen. In den Bundestag zu gehen, nur um im Bundestag zu sein, das reicht nicht aus.
Umgekehrt gefragt: Was ist für einen Parlamentarier eher schädlich?
Parlamentarier sollten nicht zu ichbezogen denken. Es kann auch hinderlich sein, wenn man sich zu sehr von der Euphorie des hohen Mandats tragen und die Sachbezogenheit dabei vermissen lässt. Nötig sind sicher Selbstbewusstsein und zugleich Respekt im Umgang mit allen Menschen, ob nun mit Unternehmern, Kleintierzüchtern, Rentnern oder Professoren.
Viele Ihrer Kollegen, die schon lange im Parlament saßen, traten nicht mehr zur Wahl an. Manche deuteten an, Politik könne süchtig machen. Wann reicht es Ihnen?
Die Arbeit macht mir unverändert Freude, einerseits im Wahlkreis, andererseits im Parlament, wo man jedes Jahr neue Themen, neue Herausforderungen hat und mit tüchtigen und klugen Leuten zusammenkommt. Bis heute trägt mich mein Wahlkreis in großer Freundschaft, und meine Frau hat gesagt: Vier Jahre mache ich es noch mit.
(kos/30.09.2013)