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Kultur und Geschichte

Die späte Erinnerung an die Opfer der Euthanasie

Welchen „Wert“ hat das Leben des Einzelnen? Diese zutiefst unmoralische Frage war in der Zeit der NS-Herrschaft Ausgangspunkt zur Ermordung von mehr als 300.000 Menschen mit Behinderungen oder Nervenkrankheiten, deren Leben aus Sicht der Nationalsozialisten nicht lebenswert war. Sie wurden in extra dazu errichteten Lagern und Anstalten vergast, mit Schlafmitteln getötet oder systematisch in den Hungertod getrieben.

Mit den Opfern – aber auch den Tätern dieser Vernichtungsstrategie beschäftigt sich die Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, die am Montag, 27. Januar 2014, von Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) und Schirmherr Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet wurde.

Schmidt: Der Bundestag ist der richtige Ort

Dabei betonte Schmidt, dass der Bundestag „der richtige Ort ist, um diese Ausstellung zu zeigen“. Schließlich müssten sich die Abgeordneten immer wieder mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um dafür zu sorgen, dass es nie wieder zu Verbrechen wie etwa den Euthanasie-Morden kommen kann.

„Ein Verbrechen an Menschen, nur weil deren Leben für weniger wert erachtet wurde“, wie Schmidt betonte. Die ehemalige Gesundheitsministerin machte deutlich, dass sie sich schon seit Langem und intensiv mit dem Thema beschäftigt habe. Und dennoch: „Wenn ich mir die Ausstellung ansehe, wird mir immer noch mulmig“, sagte sie.

„Das Schweigen in Gesellschaft und Familie“

Wie wichtig die Ausstellung aus Sicht der Angehörigen ehemaliger Opfer ist, erläuterte Barbara Stellring-Kesy. Über das Schicksal ihrer Großtante Irmgard Heiss, die Opfer der NS-Euthanasie geworden war, sei innerhalb der Familie mehr als 50 Jahre geschwiegen worden. „Ich freue mich, dass meine Großtante jetzt ins Leben zurück geholt und ihr ein Platz im Familiengedächtnis eingeräumt wird“, sagte Stellring-Kesy.

Ähnlich sah das Sigrid Falkenstein, deren Tante Anna Lehnkering 24-jährig in der Gaskammer von Grafeneck ermordet wurde. Eher zufällig auf das Schicksal ihrer Tante aufmerksam geworden, sei sie bestürzt gewesen über das Schweigen „in der Gesellschaft und in der Familie“.

Opfer sollen zu Wort kommen

Ziel der Ausstellung sei es gewesen, Opfer zu Wort kommen zu lassen, erklärte die Kuratorin Petra Lutz. Das geschieht durch Videoporträts, durch historische Fotos, die Abbildung von Briefen aus den Lagern, aber auch durch Kopien von Einweisungsbescheiden und gefälschten Sterbenachrichten an die Angehörigen. Nicht nur einigen Opfern – auch einigen Tätern wird Name und Gesicht gegeben.

So etwa dem Psychiater Valentin Falthauser, der als „Gutachter“ über Zwangssterilisationen und die Einweisung in die Todesanstalten entschied. Konsequenzen seines Tuns musste Falthauser auch nach Kriegsende nicht tragen. Zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, wurde er 1954 begnadigt, ohne in Haft gesessen zu haben.

Späte Aufarbeitung und Erinnerung

Auch diesem Teil der Geschichte – der mangelnden Aufarbeitung des NS-Euthanasieunrechts nach 1945 – widmet sich die Ausstellung. Sie zeigt, dass noch im Jahr 1961 einige der Nazi-Gutachter vor dem Bundestag als „Experten“ zum Thema Euthanasie befragt wurden und dabei ihr Vorgehen als gut und richtig einschätzen durften. Die tatsächliche Aufarbeitung und die öffentliche Erinnerung an die Opfer begann erst nach dem Jahr 1980.

Dass sich auch die Ärzteschaft dieser Aufarbeitung stellt, wird auch dadurch deutlich, dass es die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) war, die in Kooperation mit den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors und unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim Gauck die Ausstellung auf den Weg gebracht hat.

Projektleiter Prof. Dr. Frank Schneider, bis 2010 Präsident der DGPPN, verwies darauf, dass sich die Psychiatrie seit der Zeit der NS-Diktatur total gewandelt habe. Gleichwohl habe es bis ins Jahr 2010 gedauert, ehe sich die DGPPN dazu entscheiden konnte, zwei ehemalige Vorsitzende, die zu Ehrenpräsidenten erklärt worden waren, vor 1945 aber zu den Tätern gehört hätten, aus den Ehrenlisten zu streichen.

Bundestagsvizepräsidentin fordert Inklusion von Anfang an

Sie sei froh, dass sich die Ärzteverbände ihrer Verantwortung gestellt hätten, sagte Ulla Schmidt, die auch als Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe fungiert. Heute, so die Bundestagsvizepräsidentin weiter, gebe es zwar keine „systematische Verfolgung“ von Menschen mit Behinderung mehr. Gleichwohl seien noch immer Diskriminierungen festzustellen.

Mit Blick auf die in der UN-Behindertenrechtskonvention geforderte Teilhabe sagte Schmidt: „Auch in Deutschland werden tagtäglich Menschenrechte verletzt.“ Dennoch habe sich in den vergangenen Jahren vieles positiv entwickelt. Ihr Ziel für die Zukunft: „Wir brauchen Inklusion von Anfang an.“ Dann, so die Bundestagsvizepräsidentin, hätten menschenverachtende Ideen wie jene der Euthanasie keine Chance. (hau/27.01.2014)

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