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Parlament

Lammert begrüßt Karlsruher ESM-Urteil

Der Zweite Senat vor der Urteilsverkündung am 18. März

Der Zweite Senat vor der Urteilsverkündung am 18. März (pa/dpa)

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalvertrag begrüßt. Mit der Abweisung der Klagen gegen den ESM und den Fiskalvertrag betone und stärke das Bundesverfassungegericht den politischen Einschätzungsspielraum des Bundestages gerade auch bei Maßnahmen der Eurorettung, sagte Lammert. Die Karlsruher Entscheidung vom Dienstag, 18. März 2013, sei eine Bestätigung der Budgethoheit des Gesetzgebers bei allen Entscheidungen zum ESM. Das Gericht stelle klar, dass die Haushaltsautonomie des Parlaments hinreichend gewahrt sei.

„Begrüße Respekt vor der Rolle des Parlaments“

„Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussion um die richtige Balance der Zuständigkeiten von Legislative, Exekutive und Judikative erkenne das Bundesverfassungsgericht die besondere Einschätzungsprärogative des Bundestages an“, heißt es in der Erklärung Lammerts „Die Zurückhaltung des Gerichts in der politischen Einschätzung der jeweils vereinbarten Maßnahmen und seinen Respekt vor der Rolle des Parlaments begrüße ich ausdrücklich.“

Das Gericht habe schon bei der Eilentscheidung vom 12. September 2012 betont, dass vor allem der Deutsche Bundestag dazu berufen sei, politische Entscheidungen zu treffen, weil es als einziges Verfassungsorgan unmittelbar gewählt werde und deswegen über eine besonders starke Legitimation verfüge. Gerade im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Währungskrise habe das Bundesverfassungsgericht die besondere Verantwortung des Deutschen Bundestages erneut deutlich gemacht und gestärkt, betont der Bundestagspräsident.

„Das Ergebnis ist eindeutig“

Dem Urteil des Zweiten Senats zufolge muss haushaltsrechtlich sichergestellt werden, dass etwaige Abrufe von Kapital nach dem ESM-Vertrag „im Rahmen der vereinbarten Obergrenzen fristgerecht und vollständig erfüllt werden können“. Eine Aussetzung von Stimmrechten Deutschlands in den ESM-Gremien müsse zuverlässig ausgeschlossen bleiben.

„Das Ergebnis ist eindeutig“, sagte Bundesverfassungsgerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle in seiner Urteilsbegründung. Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren gegen die Errichtung des ESM, den Fiskalpakt, die nationalen Zustimmungs- und Begleitgesetze, das Zustimmungsgesetz zu Artikel 136 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, das europäische Zahlungsverkehrssystem Target2 und das sogenannte Sixpack (die 2011 in Kraft getretenen Reformen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts) seien teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Unzulässige Verfassungsbeschwerden

Unzulässig seien die Beschwerden, soweit sie unter Berufung auf Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes die formelle Verfassungswidrigkeit des ESM-Finanzierungsgesetzes, die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Plenum des Bundestages, seinen Ausschüssen und Untergliederungen sowie das fehlende Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit für besonders bedeutsame Maßnahmen rügen. Die Regelung besagt, dass die Abgeordneten des Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden.

Unzulässig seien die Verfassungsbeschwerden auch, soweit sie sich gegen Einrichtung und Durchführung des Target2-Systems wenden und verschiedene Unterlassungen deutscher Verfassungsorgane in Bezug darauf beanstanden. Die Beschwerdeführer hätten nicht aufgezeigt, so das Gericht, wie dadurch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages beeinträchtigt werden könnte.

„Rechtsverletzung nicht substantiiert dargelegt“

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen das sogenannte Sixpack und den Euro-Plus-Pakt in Deutschland wenden, seien sie ebenfalls unzulässig, heißt es weiter. Weder sei eine Entleerung des Wahlrechts durch Verlust unverzichtbarer Entscheidungsbefugnisse des Bundestages dargelegt worden noch ein etwaiger Anspruch auf Feststellung eines sogenannten Ultra-vires-Handelns der EU, also einer Überschreitung ihrer rechtlichen Befugnisse. Inwieweit der Euro-Plus-Pakt, der selbst keine Sanktionen vorsehe, dem Bundestag Kompetenzen entziehen könnte, die den Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes berühren, erschließe sich nicht.

Der Antrag der Fraktion Die Linke im Organstreitverfahren sei nur zulässig, soweit sie geltend mache, dass sich der Bundestag durch die angegriffenen Gesetze seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung „entäußere“. Die Fraktion habe die Möglichkeit einer Rechtsverletzung im Hinblick auf die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen Haushaltsausschuss und Plenum  des Bundestages im ESM-Finanzierungsgesetz „nicht substantiiert dargelegt“, argumentiert das Gericht.

„Nicht auf das Budgetrecht verzichten“

Im Übrigen seien die zulässigen Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren unbegründet. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, haushaltsrechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Kapitalabrufen nach dem ESM-Vertrag fristgerecht und vollständig nachkommen kann.

Der Gesetzgeber müsse „ausreichende Vorkehrungen“ treffen, um seine „Integrationsverantwortung“ dauerhaft erfüllen zu können. Vor allem dürfe er nicht auf sein Budgetrecht verzichten, auch nicht in einem „System intergouvernementalen Handelns“. Es komme entscheidend darauf an, dass der Bundestag der Ort bleibe, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten.

„Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus ablehnen“

Zwar sei es in erster Linie Sache des Bundestages selbst, darüber zu befinden, in welcher Gesamthöhe Gewährleistungssummen noch verantwortbar sind. Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folge jedoch, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen dürfe. Einmal in Gang gesetzt, wäre er seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen, stellen die Richter fest.

Nicht von vornherein demokratiewidrig sei es, den Haushaltsgesetzgeber auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik zu verpflichten. Grundsätzlich könnten auch wesentliche haushaltspolitische Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organsation übertragen oder entsprechende völkerrechtliche Verpflichtungen übernommen werden.

„Demokratischer Prozess muss offen bleiben“

Es sei in erster Linie Sache des Gesetzgebers, ob und in welchem Umfang dies sinnvoll sei. Das Bundesverfassungsgericht müsse jedoch sicherstellen, dass der demokratische Prozess offen bleibt, aufgrund anderer Mehrheitsentscheidungen andere rechtliche Bewertungen vorgenommen werden können und eine „irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen“ vermieden wird.

Der Senat habe bislang nicht entscheiden müssen, heißt es weiter, ob und inwieweit sich eine justiziable Begrenzung der Übernahme von Zahlungsvepflichtungen oder Haftungszusagen unmittelbar aus dem Demokratieprinzip  herleiten lässt. Eine Obergrenze könnte allenfalls überschritten sein, wenn sich die Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen so auswirkten, dass die Haushaltsautonomie – jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum – nicht nur eingeschränkt würde, sondern vollständig leerliefe. „Dies kommt nur bei einer evidenten Überschreitung äußerster Grenzen in Betracht“, schreibt das Gericht.

„Haushaltspolitische Verantwortung nicht beeinträchtigt“

Auch führe der Artikel 136 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht zum Verlust der Haushaltsautonomie des Bundestages. Den Staaten im Euro-Währungsgebiet wrde lediglich ermöglicht, einen Stabilitätsmechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen zu installieren. Das Bundesverfassungsgericht müsse die Entscheidung des Gesetzgebers, die Währungsunion um die Möglichkeit aktiver Stabilisierungsmaßnahmen zu ergänzen, auch insoweit respektieren, als Risiken für die Preisstabilität aufgrund dieser Entscheidung nicht ausgeschlossen werden können.

Die Bestimmungen des ESM-Vertrages hält das Gericht für vereinbar mit der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages. Aus der absoluten Höhe der eingegangenen Zahlungspflichten von derzeit 190,0248 Milliarden Euro lasse sich nicht ableiten, dass die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages beeinträchtigt sei: „Die diesbezügliche Einschätzung des Gesetzgebers ist jedenfalls nicht evident fehlerhaft und daher vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen.“

„Einzahlungen fristgerecht und vollständig sicherstellen“

Soweit eine der Höhe nach unbegrenzte Zahlungspflicht denkbar erscheine, werde die Gefahr einer solchen Auslegung durch die gemeinsame Erklärung der ESM-Mitglieder und die einseitige Erklärung der Bundesrepublik vom 27. September 2012 völkerrechtlich verbindlich ausgeschlossen. Für ESM-Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages betreffen, sei derzeit gesichert, dass sie nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in den ESM-Organen ergehen können.

Um eine Aussetzung der Stimmrechte Deutschlands aufgrund von Zahlungssäumigkeit zu vermeiden, müsse der Bundestag nicht nur den anfänglich einzuzahlenden Kapitalanteil im Haushalt bereitstellen, sondern er müsse „im gebotenen Umfang“ durchgehend sicherstellen, dass etwaige weitere Kapitalanteile „jederzeit fristgerecht und vollständig“ eingezahlt werden können. Der Bundestag habe im Verfahren erkärt, das Liquiditätsmanagement der Finanzagentur GmbH sei „hinreichend umsichtig und leistungsfähig, um fristgerechte Einzahlungen zu gewählreisten“; diese Einschätzung sei vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen, heißt es.

„Stimmrechtsaussetzung praktisch ausgeschlossen“

Haushaltsrechtlich sei derzeit sichergestellt, dass Deutschland sämtlichen relevanten Zahlungsaufforderungen des ESM bis zur Höhe des Anteils am genehmigten Stammkapital so rechtzeitig und umfassend nachkommen kann, dass eine Stimmrechtsaussetzung praktisch ausgeschlossen sei. „Für absehbare Zahlungspflichten sind Ansätze im Haushaltsplan vorzusehen; dies ergibt sich aus den Grundsätzen der Vollständigkeit und der Wahrheit des Haushalts“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Mit den verfassungsrechtichen Vorgaben vereinbar seien die Vorschriften über die Einbindung des Bundestages in die Entscheidungsprozesse des ESM. Die Mitwirkungsrechte erwiesen sich als ausreichend, die Informationsrechte genügten den Anforderungen des Artikels 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes (Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber Bundestag und Bundesrat). Auch unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation der Tätigkeit des ESM bestünden keine Bedenken gegen die Vertretung Deutschlands in dessen Gremien. Darüber hinaus räume der Fskalvertrag den EU-Organen keine Berfugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren (Aktenzeichen 2 BvR 1390 / 12, 2 BvR 1421 / 12, 2 BvR 1438 / 12, 2 BvR 1439 / 12, 2 BvR 1440 / 12, 2 BvR 1824 / 12, 2 BvE 6 / 12). (vom/18.03.2014)



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