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Parlament

Soziologe aus Sachsen: Michael Leutert

Ein Mann in einem Anzug steht in einem Treppenaufgang

Michael Leutert (Die Linke) (DBT/photothek)

Von seinem Schreibtisch aus hat Michael Leutert sie immer im Blick: eine überdimensionale Weltkarte, auf der Orte mit bunten Stecknadeln markiert sind. „Die roten stehen  für UN-Missionen, die blauen für EU-Missionen“, erklärt der Abgeordnete der Fraktion Die Linke rasch, als er den fragenden Blick der Besucherin bemerkt. „Und die mit dem runden Kopf markieren alle Einsätze mit Bundeswehrbeteiligung. Ist es nicht frappierend, dass die meisten nur maximal 500 Kilometer von Europa entfernt sind? Dabei denken die Menschen immer, dass  alles so weit weg ist.“ 

Ressorts der internationalen Politik

Der 40-Jährige hat am Besprechungstisch in seinem Büro Platz genommen, seine Mitarbeiterin erinnert ihn noch schnell an den nächsten Termin, bevor sie die Tür schließt. Viel Zeit hat er dieser Tage nicht: Die Haushaltswoche nutzt der Abgeordnete aus Chemnitz auch für Gespräche mit den Staatssekretären der Ministerien, für die er als Haushaltsexperte seiner Fraktion zuständig ist.

Das sind neben dem Familienministerium vor allem Ressorts, die mit internationaler Politik zu tun haben: das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Entwicklungsministerium. Klar, dass Leutert schon deshalb gerne die Krisenherde auf seiner Weltkarte im Auge behält. 

„Falsches Signal“

Ob die Flüchtlingskatastrophe in Syrien oder das Rüstungsdebakel der Bundeswehr: Wenn der Linken-Abgeordnete wie gerade den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt prüft, sind solche Ereignisse selbstverständlich präsent: „Die Kosten für große Rüstungsvorhaben wie den Eurofighter, der jetzt mit neuen Mängel auffällt, sind völlig aus dem Ruder gelaufen.

Eigentlich wurden sie aufs Eis gelegt, trotzdem sollen die Ausgaben im kommenden Jahr weiterfließen. Das ist absurd“, moniert Leutert. Besonders missfällt ihm, dass dafür in anderen Ressorts beispielsweise bei der humanitären Hilfe gespart wird. Angesichts der aktuellen Konflikte ein Fehler: „Die zivile Außenpolitik braucht nicht weniger, sondern mehr Mittel.“

Umkämpfte Plätze im „Königsausschuss“

Seit seinem ersten Einzug in den Bundestag 2005 sitzt der Sachse mit den charakteristischen, tiefen Wangengrübchen bereits im renommierten Haushaltsausschuss, der traditionell als „Königsausschuss“ gilt. Hier wird entschieden, wie viel und wofür die Bundesregierung Geld ausgeben kann. Dementsprechend heiß umkämpft sind die Plätze.

„Aber nicht in meiner Fraktion“, widerspricht Leutert lachend. Tatsächlich kam er als Parlamentsneuling in das Gremium. Kopfschüttelnd  erinnert er sich an den schwierigen Start vor bald zehn Jahren: „Ich war sofort  Hauptberichterstatter für das Umweltministerium, außerdem noch Sprecher und Obmann im Menschenrechtsausschuss. Da bin richtig ich ins Schwimmen gekommen.“  Doch er bewährt sich:  „Gerade Finanzen haben mich einfach immer interessiert“, sagt er. „Schon innerhalb der Partei, im Stadtvorstand oder Kreisvorstand, habe ich mich immer um die Finanzen gekümmert.“

Mauerfall als „Bedrohung“

Zur PDS kam Leutert 1991, 1999 wurde er zum Vizevorsitzenden im sächsischen Landesverband gewählt. Dass es diese Partei und keine andere sein würde, war klar: „Als die Wende kam, war ich 15 Jahre alt – und von der DDR zu 100 Prozent überzeugt“, erinnert er sich. „Ich dachte, wir sind der bessere  deutsche Staat.“

Erst in seinem Soziologiestudium Jahre später habe er sich kritisch mit dem Scheitern der DDR auseiandersgesetzt, sagt er. „Den Mauerfall empfand ich zuerst als Bedrohung. Ich fürchtete, dass all das Negative, das in den Zeitungen über den Westen berichtet wurde, nun auch zu uns kommen würde: Arbeitslosigkeit, Drogen, Kriminalität.“

„Einmaleins der politischen Arbeit“

In seiner Heimatstadt Mittweida gründet er zunächst mit Freunden einen Jugendverein – und lernt insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem damaligen CDU-Bürgermeister der Stadt das „Einmaleins der politischen Arbeit“.

 „Ob wir nun den Film Hitlerjunge Salomon in Schulen zeigen oder einen autofreien Sonntag organisieren wollten, immer hat er uns Steine in den Weg gelegt“, erinnert er sich. „Sein Argument: Wir brauchen keine neue FDJ.“ Doch der Film wird gezeigt und der autofreie Sonntag kann stattfinden, entgegen aller Widerstände. Leutert kann beharrlich sein, wenn ihm etwas wichtig ist oder er sich ungerecht behandelt fühlt. 

Proteste und ihre Folgen

Selbst Auseinandersetzungen mit Polizei und Justiz scheut er dann nicht: 2006 zum Bespiel, als er aus Protest gegen die Verschärfung der Hartz-IV-Gesetze vor dem Reichstag – und damit im befriedeten Bezirk, wo ein striktes Demonstrationsverbot herrscht – gemeinsam mit anderen Abgeordneten der Linksfraktion ein Plakat enthüllt und anschließend als Einziger der Beteiligten das Bußgeld nicht bezahlt. „Ich fand das absurd. Wieso soll ich als Abgeordneter an meinem Arbeitsplatz nicht meine Meinung öffentlich sagen?“

Wegen seiner Beteiligung an einer friedlichen Blockade eines Neonazi-Aufmarschs in Dresden 2011 musste dann der zuständige Bundestagsausschuss Leuterts Immunität aufheben, damit die Polizei wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermitteln konnte. Auch dies eine absurde Situation für den Chemnitzer: „Hier wird friedlicher Protest kriminalisiert“, moniert er. Das Gerichtsverfahren endet schließlich im August 2014 mit einer Verwarnung.

Unbequeme Positionen

Unbequeme Positionen zu vertreten, scheut Leutert sich auch nicht in der eigenen Partei: So schließt er etwa militärische Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) nicht völlig aus.

Voraussetzung dafür müsse allerdings ein Mandat der der Vereinten Nationen, betont Leutert: „Der UN-Sicherheitsrat muss über die notwendigen Maßnahmen beschließen. Wenn das letztlich militärische sind, bin ich nicht dagegen. Ich glaube sogar, es gibt es in diesem Fall keine andere Option.“ Eine Haltung, die in seiner Partei umstritten ist.

Vereinte Nationen stärken

Doch der Abgeordneten fordert ein Umdenken: „Die Krisen und Konflikte, die wir heute weltweit beobachten, sind anders als früher. Es führen nicht mehr einzelne Staaten Krieg gegeneinander, sondern einzelne gesellschaftliche Gruppen.

Im Irak räumen gerade religiös verbrämte Kämpfer Andersgläubige auf schlimmste Art und Weise aus dem Weg – da können wir nicht zusehen.“ Es brauche mehr denn je die Vereinten Nationen als zentrale Instanz der Konfliktregulierung, so lautet Leuterts Forderung. Darauf will er auch in den anstehenden Haushaltsberatungen dringen. (sas/21.10.2014)

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