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Parlament

Thanasis Glavinas' Sicht der Fehler Griechenlands

Porträtbild Thanasis Glavinas

IPS-Stipendiat Thanasis Glavinas aus Griechenland (© DBT/Photothek/Köhler)

Das Leben eines Parlamentsabgeordneten kennt Thanasis Glavinas aus nächster Nähe. „Mein Vater saß lange Jahre für die sozialdemokratische Pasok im griechischen Parlament“, erzählt der 27-jährige Grieche. „Ich bin in einer sehr politischen Familie aufgewachsen“, sagt er. „Bei uns waren ständig Leute zu Gast und es wurde über Politik gesprochen. Täglich wurden vier, fünf Zeitungen gelesen, und mein Vater war ständig am Telefonieren. Das war schon ein interessantes Leben.“ Nun erwartet ihn eine nicht minder interessante Zeit. Thanasis Glavinas absolviert ein Praktikum im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) im Deutschen Bundestag. Ab 1. April arbeitet er im Büro von Burkhard Lischka (SPD) mit.

„Ich will kennenlernen, wie ein gutes Parlament arbeitet“

„Ich will hier kennenlernen, wie ein richtig gutes Parlament arbeitet“, sagt er. Im Bundestag, so viel hat er schon in den ersten IPS-Wochen mitbekommen, würden Gesetze zu konkreten Themen wie etwa dem Mindestlohn oder der Mietpreisbremse gemacht, und die Abgeordneten seien dann auch darauf fokussiert. „Bei uns stehen stattdessen immer die Finanzprobleme im Vordergrund. Da gibt es keine politischen Initiativen für Mieter, für Kultur oder für den Umweltschutz“, bedauert er.

Und so sind wir dann ganz schnell bei dem Thema, für das Griechenland - sehr zu seinem Bedauern - derzeit vor allem steht: Der Finanzkrise, die zur Eurokrise wurde. Thanasis Glavinas ist auf der einen Seite genervt von dem schlechten Image, das sein Heimatland derzeit hat. Auf der anderen Seite bemüht er sich auch zu erklären, wie es dazu kommen konnte. „Wir haben in der Vergangenheit sicherlich Fehler gemacht“, räumt er ein. Um dann hinzuzusetzen: „Aber nicht nur wir.“

„Die Zahlen waren gut“

Also schauen wir zurück. Wie war das 2001: Hat sich Griechenland damals mit falschen Zahlen in den Euro geschummelt, wie gerade in Deutschland immer wieder zu hören ist? Thanasis Glavinas glaubt das nicht. „Die Zahlen waren in Ordnung“, sagt er. Sowohl was die Inflation betraf, aber auch die Verschuldung und das Bruttosozialprodukt. Dies habe auch die EU-Kommission bestätigt. „Wir hatten vielleicht nicht die Infrastruktur, nicht die Wettbewerbsfähigkeit und nicht die Disziplin, um Mitglied zu werden – die Zahlen aber waren gut“, sagt er.

Der 27-Jährige versucht sich in die Lage des damaligen griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Simitis von der Pasok zu versetzen: „Er dachte 2000 wohl so ähnlich wie sein Vorgänger Konstantinos Karamanlis 1981, als es um den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft ging: Wir sind zwar noch nicht so weit, machen das aber trotzdem und lernen.“ Das Problem sei eher das gewesen, was danach kam. „Die folgenden Regierungen nach 2004 haben zu wenig getan, um die Mitgliedschaft im Euroraum zu bestätigen.“

„Der Bevölkerung nicht immer die Wahrheit gesagt“

In den Jahren 2009, spätestens 2010 wurde dann auch der griechischen Bevölkerung klar, dass etwas mit den Staatsfinanzen nicht stimmte. Die meisten hätten das für ein kleines, ein lösbares Problem gehalten, sagt er. „Dazu kommt, dass die griechischen Politiker der Bevölkerung nicht immer die Wahrheit über die Situation gesagt haben.“

Folge des griechischen Mega-Defizits: Die EU und vor allem Deutschland forderten das Land zum Sparen auf. „In der Folge haben wir einen Fehler gemacht“, sagt Thanasis Glavinas. Die Troika habe einige Richtlinien festgesetzt und so einen Weg aufgezeigt. „Die griechische Politik hat dann aber den einfachen Weg der horizontalen oder pauschalen Kürzungen gewählt. Es wurde nicht hinterfragt, wo kann gespart werden, wo auf keinen Fall. Stattdessen wurde etwa im Gesundheitswesen radikal gekürzt, was zu Problemen für viele ärmere Menschen führte“, kritisiert er.

„Wir haben zwei Jahre verloren“

Die Krise Griechenlands führte auch zur Krise der sozialdemokratischen Pasok, deren Mitglied Thanasis Glavinas ist. 2009 erhielt die Partei 44 Prozent der Wählerstimmen. 2015 waren es noch 4,7 Prozent. Unglaubliche Verluste…

„Pasok hat 2009 allein die Regierung geführt und so die Verantwortung übernommen, die Krise zu bekämpfen“, versucht er sich mit einer Erklärung. Das sei sicher ein Fehler gewesen, schätzt er ein. Anderseits hätten sich die Konservativen damals dem Mitregieren verweigert, „weil sie gegen die Politik der Troika waren“. 2011 sei dann die konservative Nea Dimokratia in die Übergangsregierung eingetreten und habe die Troika-Politik übernommen. „So haben wir zwei Jahre verloren“, beklagt Thanasis Glavinas.

„Die konservativen Regierungen haben die Wirtschaft zerstört“

Ein zweiter Grund für den Absturz der Pasok ist seiner Ansicht nach in der Wählerstruktur zu finden. „Pasok wählen eher Arbeitnehmer aus den mittleren und unteren Schichten. Die sind jetzt aber am meisten von der Krise betroffen und sehen die Pasok daher als Verräter ihrer Interessen.“

Entscheidend für die Probleme des Landes, da ist sich das Pasok-Mitglied sicher, ist aber, „dass die konservativen Regierungen von 2004 bis 2009 bei uns die Wirtschaft völlig zerstört haben“. Die Verantwortung dafür hätten sie jedoch nicht übernommen. Schlimmer noch: „Bis heute wird kaum darüber gesprochen, dass in diesen wichtigen Jahren 2004 bis 2009 nichts dafür getan wurde, Griechenland krisensicher zu machen. Stattdessen wurde nur Geld ausgegeben“, beklagt er.

„Die Rente meiner Eltern ist gekürzt worden“

Heute hängt das Land am Tropf von EU und Internationalem Währungsfonds. Doch die Milliardenhilfen kommen bei der Bevölkerung nicht an. „Das ist in Zinszahlungen gegangen und bei den Banken verschwunden.“ Den Menschen aber gehe es von Monat zu Monat schlechter, sagt er und verweist auf die eigene Familie. „Die Rente meiner Eltern ist innerhalb eines Jahres um mehr als 50 Prozent gekürzt worden“, sagt Thanasis Glavinas.

Zugleich seien die Steuern – auch die Mehrwertsteuer - rapide angestiegen. Wie viele Griechen hätten auch seine Eltern ihr Leben stark verändern müssen. Aber auch die junge Generation ist betroffen. „Meine Schwester ist arbeitslos und auch viele, die wie ich Jura studiert haben, sind als über 25-Jährige auf ihre Eltern angewiesen, weil sie kaum etwas verdienen.“

„Ich hoffe, die Situation in Griechenland verbessert sich“

Thanasis Glavinas hat in Komotini, in der Region Thrakien, Jura studiert, den Master gemacht und auch für kurze Zeit als Rechtsanwalt in Saloniki gearbeitet. Derzeit macht er in Bonn einen zweiten Master (LL.M.) - Schwerpunkt Verfassungsrecht. „Ich hoffe natürlich, die Situation in Griechenland verbessert sich. Schließlich werde ich ja für den Staat arbeiten, wenn es denn dort Stellen gibt“, sagt er.

Wagen wir doch mal einen Blick in die Zukunft: Wird es den Euro seiner Ansicht nach auch im kommenden Jahr noch in Griechenland geben? „Ich denke schon, weil die anderen Länder Angst davor haben, dass Griechenland aus dem Euro aussteigt“, schätzt er die Lage ein. Es sei aber keine gute Basis, nur akzeptiert zu werden, weil Europa sonst ein noch größeres Problem mit der Instabilität in der Region bekommen könnte. „Mich nervt auch, dass unsere Regierung das Argument für sich nutzt“, sagt der 27-Jährige.

Mit der Regierung Tsipras nicht wirklich zufrieden 

Mit der Regierung von Premierminister Alexis Tsipras ist Thanasis Glavinas nicht wirklich zufrieden. „Er und sein Finanzminister fordern immer nur etwas von den anderen.“ Die EU solle das tun, Deutschland jenes machen. Aber mit keiner Silbe werde erwähnt, was im Land selber passieren soll, welche Reformen man anstreben wolle „Unsere Wirtschaft ist am Boden, nächsten Monat gibt es eventuell kein Geld mehr“, zeigt er die Brisanz der aktuellen Lage auf.

Sollte der Staat tatsächlich die Gehälter seiner Angestellten und Beamten und auch die Renten nicht mehr zahlen können, wäre das „der Höhepunkt“, sagt Thanasis Glavinas. „Ich vermag mir nicht vorzustellen, was dann passiert.“ Laut Berechnungen der EU-Kommission geht ab 8. April dem Land das Geld aus. Es bleibt also spannend im Leben des Thanasis Glavinas und auch in der Causa Griechenland. (hau/31.03.2015)