Ulle Schauws: Schutz statt Zwang
Die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ulle Schauws, kritisiert das von der Bundesregierung vorgelegte Prostituiertenschutzgesetz als „kontraproduktiv“. Die angestrebte Regulierung der Prostitutionsstätten sei zwar richtig und werde von ihrer Fraktion unterstützt, aber der Entwurf sei nicht durch den Willen geprägt, die Menschen, die in diesem Beruf arbeiten, zu schützen, sagt Schauws in einem am Montag, 6. Juni 2016, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Das Interview im Wortlaut:
Frau Schauws, ist Prostitution ein Gewerbe wie jedes andere, Sexarbeit ein Beruf wie jeder andere?
Nein, es ist kein Beruf wie jeder andere. Und es ist ein noch immer stigmatisierter und tabuisierter Beruf. Aber es ist ein Beruf, der existiert und für den Rahmenbedingungen gelten müssen wie für jeden anderen Beruf. Deshalb muss das Prostituiertenschutzgesetz, das jetzt verabschiedet werden soll, auch halten, was der Name verspricht.
Mit dem Prostitutionsgesetz der rot-grünen Koalition von 2001 wurde die Prostitution aus der Illegalität geholt und den Prostituierten der Zugang zu den Sozialversicherungen ermöglicht. Doch das Gesetz, so monieren Kritiker, habe gleichzeitig zu einem sprunghaften Anstieg der Prostitution, auch der Zwangsprostitution, geführt. Teilen Sie diese Kritik?
Das damalige Gesetz stellte einen Kompromiss zwischen Grünen und der SPD dar. Wir konnten die zentralen Punkte des Gesetzes in der Koalition durchsetzen, wohlweislich, dass dies allerdings nicht ausreichen wird. Ich weise allerdings die Kritik der Unionsfraktion an uns zurück. Sie hatten elf Regierungsjahre Zeit, Verbesserungen am Gesetz vorzunehmen und hat nichts getan.
Wird der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zum Prostituiertenschutzgesetz der Koalition seinem Anspruch, die Prostituierten besser zu schützen, gerecht?
Nein, das wird er nicht. Die Regulierung der Prostitutionsstätten ist richtig und das befürworten wir auch. Aber in seiner Gesamtheit ist der Gesetzentwurf eben nicht durch den Willen geprägt, die Menschen, die in diesem Beruf arbeiten, zu schützen. Die Pflicht zur Anmeldung zwingt jeden und jede, unabhängig davon ob er oder sie nur gelegentlich oder regelmäßig mit Sexarbeit Geld verdient, sich bei den Behörden zu outen. Es gibt Beispiele, wo die Daten der Prostituierten nicht geschützt waren. Wenn Prostituierte deswegen mit Stigmatisierung und Diskriminierung rechnen müssen, werden sie sich nicht anmelden und geraten so erneut in die Illegalität. Das gilt auch im Fall der verpflichtenden jährlichen Gesundheitsberatung. Kein Architekt oder Rechtsanwalt würde hinnehmen, so bevormundet zu werden.
Es gibt aber doch auch andere Berufe, in denen eine medizinische Untersuchung vorgeschrieben ist.
Ja, aber in der Regel eben nur als Eingangsuntersuchung und nicht Jahr für Jahr. Prostituierte verkaufen schließlich keine Lebensmittel. Und es ist nachgewiesen, dass Prostituierte eben nicht häufiger von sexuell übertragbaren Krankheiten betroffen sind als andere Menschen. Es ist die Fortsetzung der Stigmatisierung, wenn dem gesamten Berufsstand unterstellt wird, dass dort nicht auf Gesundheit geachtet wird. Prostituierte wissen, wie wichtig ihre Gesundheit ist. Dass sie diese besser schützen können, sollte ihnen sehr einfach und ohne Zwang ermöglicht werden. Es liegt zudem auch in der Verantwortung des Freiers, sich entsprechend zu schützen. Jetzt soll zusätzlich die Kondompflicht eingeführt werden. Ich frage mich allerdings, wer das überprüfen soll. Insgesamt wird die Selbstbestimmung derer, die in dem Beruf arbeiten, durch dieses Gesetz ad absurdum geführt.
Weiß auch eine 18-Jährige in jedem Fall, was sie tut?
Gegenfrage: Wissen es ältere denn? Das Problem sind ja nicht die Beratungen oder Untersuchungen, sondern die Tatsache, dass sie verpflichtend erfolgen sollen und nicht freiwillig. Das ist völlig kontraproduktiv. Die Beratung von Prostituierten ist in der Praxis, das zeigen die Erfahrungen und das sagen auch alle Expertinnen und Experten, meistens nur dann erfolgreich, wenn sie auf freiwilliger Basis erfolgt. Ich habe mit vielen Prostituierten sowohl in Bordellen als auch auf dem Straßenstrich gesprochen und bekam dies immer wieder bestätigt. Gerade viele Frauen aus Osteuropa meiden aufgrund ihrer Sozialisation und schlechten Erfahrungen in ihren Heimatländern den Kontakt zu Behörden.
Kann die Pflichtberatung aber nicht auch Schutz gegenüber einem Bordellbetreiber oder einem Zuhälter bieten, der Prostituierte unter Zwang oder unwürdigen Bedingungen arbeiten lässt?
Die Argumentation kann ich zwar nachvollziehen. Aber die Rückmeldungen aus den Beratungsstellen sprechen eine eindeutig andere Sprache. Gerade Prostituierte, die unter Zwang arbeiten müssen, werden in einem verpflichtenden Beratungsgespräch eben nicht offen über ihre Situation reden, sondern behaupten, es sei alles in Ordnung. Ich war selbst über Jahre im Beratungswesen tätig und weiß, dass es sehr lange dauert, bis sich die nötige Vertrauensbasis gebildet hat, damit Frauen offen über ihre Situation und erlittenes Unrecht reden. Es ist eine Illusion zu glauben, dass dies in einer kurzen Pflichtberatung bei einer Behörde geschehen wird.
Die Unionsfraktion wollte eine Altersgrenze von 21 Jahren für Sexarbeit einführen. Wäre dies nicht sinnvoll? Immerhin kennen auch andere Berufe und das Jugendstrafrecht diese Altersgrenze, da mit ihr ein höherer Reifegrad verbunden wird.
Nein, definitiv nicht. Das ist genau die Form von Bevormundung, die ich ablehne. Wenn wir eine vernünftige Beratung und Aufklärung über die Realitäten in der Prostitution hätten, dann müssten wir auch nicht mehr über weitere Altersbegrenzung jenseits der Volljährigkeit diskutieren. Das wäre der richtige Weg. Es gibt nur ganz wenige Berufe, etwa im Personentransport, bei denen eine solche Altersgrenze gilt, weil eine große Anzahl anderer Menschen gefährdet werden könnten. Die aber zu vergleichen mit der Entscheidung einer Volljährigen, womit sie ihr Geld verdienen möchte und was sie mit ihrem Körper macht, finde ich abstrus. Aus meiner Sicht will die Union Kontrolle über die Prostitution ausüben. Einige Unionspolitiker würden sie wahrscheinlich am liebsten ganz verbieten. Dabei haben wir in Schweden gesehen, dass ein Verbot der Prostitution beziehungsweise die Bestrafung von Freiern zu Verdrängung und Illegalität führen und somit zu mehr Schutzlosigkeit.
Bislang hat es keine Gesetzgebung – ganz gleich ob liberal oder restriktiv – geschafft, die negativen Begleiterscheinungen von Prostitution in den Griff zu bekommen. Lässt sich per Gesetz überhaupt eine „saubere“ Form der Prostitution etablieren?
Je ernsthafter und ehrlicher wir über den Schutz von Prostituierten nachdenken und auch das dafür benötigte Geld investieren, desto höher ist die Chance. Wenn aber Prostitution in die Grauzone oder Illegalität gedrängt wird, dann wird es nicht gelingen. Deshalb unterstützen wir auch ausdrücklich die Teile des Gesetzes, die Auflagen für das Betreiben eines Bordells vorschreibt. Das haben wir bereits im Januar in einem Antrag gefordert.
Der Umgang mit Prostitution wird auch unter Feministinnen sehr kontrovers diskutiert. Es gibt den Ansatz zu sagen, Prostitution stellt in jedem Fall einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar und muss verboten werden...
Theoretisch kann man alles verbieten, was man nicht in der Welt haben möchte. Ich bin als Feministin, an dieser Stelle pragmatisch. Es gibt Prostitution und als Politikerin muss ich mich dieser Realität stellen. Es muss vor allem darum gehen, den Frauen und Männern in diesem Gewerbe den bestmöglichen Schutz zu bieten.
(aw/06.06.2016)