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Parlament

Alleskönner mit Instinkt und Fingerspitzengefühl

Mitarbeiter Martin Delius, SPD-Abgeordnete Svenja Stadler in ihrem Büro

Mitarbeiter Martin Delius, SPD-Abgeordnete Svenja Stadler in ihrem Büro (DBT/Kummerow)

Sie wurden nicht gewählt, sitzen aber dennoch im Bundestag: Wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützen die Mitglieder des Bundestages bei der Wahrnehmung ihres Mandats. Konnten Abgeordnete noch bis in die 1960er-Jahre ihre Büroarbeit selbst oder allenfalls mithilfe einer Schreibkraft aus der Bundestagsverwaltung bewältigen, ist heute die parlamentarische Tätigkeit eines MdB ohne eigene Mitarbeiter kaum mehr denkbar.

Das Wichtige vom Unwichtigen trennen

Allein schon die Korrespondenz: Wenn Thomas Wierer morgens gegen acht Uhr zur Arbeit kommt, dann warten nicht selten 300 E-Mails, ein dicker Stapel Post und mehrere Presseschauen auf ihn. Diese gilt es zu sichten und zu ordnen, bevor sein Chef, der CDU-Abgeordnete Norbert Schindler, im Büro erscheint. „Aus der Flut an Informationen das Wichtige herauszufiltern gehört zu den Fähigkeiten, die ein Abgeordnetenmitarbeiter unbedingt benötigt“, sagt Wierer, der seit über 20 Jahren zusammen mit einer Kollegin das Bundestagsbüro Schindlers leitet.

1.700 wissenschaftliche Mitarbeiter

Damit ist Wierer einer von rund 1.700 wissenschaftlichen Mitarbeitern, die laut Statistik der Bundestagsverwaltung in den Büros der Parlamentarier in Berlin und im Wahlkreis tätig sind. „Mit wissenschaftlicher Arbeit wie an einer Universität ist die Tätigkeit im Abgeordnetenbüro nicht vergleichbar“, sagt Anna Alexandrakis. Die Bezeichnung sei deshalb etwas irreführend. Die Diplom-Pädagogin muss es wissen: Seit fast 25 Jahren ist sie in diesem Job, leitet 17 Jahren das Büro von Dr. Ernst Dieter Rossmann, der sich in der SPD-Fraktion schwerpunktmäßig mit den Themen Forschung und Bildung befasst. Doch auch der Begriff „Büroleiter“ decke das Tätigkeitsprofil eines Abgeordnetenmitarbeiters nicht vollständig ab – unterschlage er doch die fachlichen Kompetenzen.

Tatsächlich lassen sich inhaltliche und organisatorische Arbeit im Abgeordnetenbüro kaum voneinander trennen: Die Aufgaben von Referenten wie Wierer und Alexandrakis Aufgaben reichen von der Vorbereitung der Ausschuss- und Arbeitsgruppensitzungen bis zu normalen Bürotätigkeiten. Bei Bürgeranfragen aus dem Wahlkreis erledigen sie die Korrespondenz. Sie betreuen Besuchergruppen, schreiben Pressemitteilungen, pflegen Webseiten und Facebookprofile. Bei Bedarf wird auch getwittert.

„Der Chef muss sprechfähig sein“

Kommt eine Interviewanfrage zu einem fachfremden Thema, recherchieren sie den Sachverhalt und verfassen „Sprechzettel“. „Der Chef muss sprechfähig sein – jederzeit, in jeder Situation“, bringt Wierer die Aufgabe auf den Punkt. Für Schindler, der Mitglied im Finanzausschuss sowie im Landwirtschaftsausschuss ist, besorgt er Material, holt Stellungnahmen von Experten und Interessenverbänden ein. Meist schreibt er auch Reden, Anträge und Ausschussvorlagen für seinen Chef.

Ein erhebliches Arbeitspensum: „Ein normaler Acht- oder Neun-Stunden-Tag reicht meist nicht aus“, sagt Thomas Wierer, der als früherer Offizier Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr studiert hat. Gerade in Sitzungswochen sind es sogar Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tage, die Mitarbeiter eines Abgeordnetenbüros absolvieren. Und trotzdem finden Abgeordnetenmitarbeiter wie Wierer und Alexandrakis oft nur in sitzungsfreien Wochen die Zeit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten.

Beruf Alleskönner

Fachlich versierter Referent und gut organisierter Büroleiter, gewiefter Netzwerker und erfahren im Umgang mit Presse und Social Media: Die Arbeit im Abgeordnetenbüro erfordert Alleskönner. „Wir sind Allrounder“, bestätigt Alexandrakis. Wer den Job mache, müsse stets politisch auf dem Laufenden sein, fügt Wierer hinzu: „Ohne den Instinkt, welches Thema für den Abgeordneten wichtig werden könnte, geht es nicht.“ Das gelte auch für Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen.

Ganz wichtig auch: Flexibilität. Sich schnell in Themen einarbeiten oder sich auf neue Situationen einstellen zu können, gehöre zu den Grundvoraussetzungen für den Job. „Will man gerade einen ruhigeren Nachmittag in der sitzungsfreien Woche nutzen, um etwas inhaltlich zu arbeiten – dann klingelt das Telefon und es kommt eine Presseanfrage: Bitte Stellungnahme zur Cyberattacke im Bundestag, bitte in zwei Stunden ein Statement“, sagt Alexandrakis und lacht. „Dann war‘s das mit der Planung.“ Eigentlich lasse sich kaum etwas sicher planen, jeder Tag sei anders.

„Es wird nie langweilig“

Doch genau diese Abwechslung schätzt sie: „Es wird nie langweilig. Es gibt immer wieder neue Themen, die man bearbeitet, man lernt jeden Tag dazu. Das ist der große Reiz.“ Natürlich sei ein Interesse an Politik für den Job elementar. Politik studiert zu haben dagegen nicht: Auch wenn Politologen neben Juristen unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter stark vertreten sind – das Studienfach sei nicht das Entscheidende, haben Wierer und Alexandrakis beobachtet.

Ohnehin steigen die meisten über ein Praktikum oder als studentischer Mitarbeiter ein. „In überregionalen Medien ausgeschrieben werden Jobs als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Abgeordneten selten“, sagt Alexandrakis. Die Büros scheuten die Flut der Bewerbungen. „Sie haben ja keine Personalabteilung und kein Assessment-Center.“ Ihre Mitarbeiter fänden Parlamentarier daher eher unter den Engagierten an der Parteibasis, über Empfehlungen sowie fraktionsinterne Ausschreibungen und Jobbörsen.

Hohes Maß an politischer Nähe

Erfahrene Mitarbeiter sind für Abgeordnete – insbesondere für Parlamentsneulinge – unbezahlbar. Sie sind mit den Mechanismen des Parlamentsbetriebs vertraut und auch als Berater bei der Entscheidungsfindung gefragt: „Über manche Positionen diskutieren wir stundenlang – zum Beispiel der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Ich war damals dafür, mein Chef hat als einer der wenigen in der Union immer dagegen gestimmt.“

Diese Besonderheit des Arbeitsverhältnisses erfordere zwar nicht unbedingt die gleiche Parteizugehörigkeit, aber zumindest ein hohes Maß an politischer Nähe zwischen dem Abgeordneten und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern: „Man sollte schon auf Parteilinie sein – sonst ist die Arbeit für beide Seiten unbefriedigend und das Vertrauen leidet darunter“, stellt Alexandrakis klar.

„Wie ein Schutzschild“

So entwickelt sich zwischen Abgeordneten und Mitarbeitern meist ein enges Vertrauensverhältnis. Sie beraten ihn, halten ihm den Rücken frei, schirmen ihn wenn nötig auch nach außen ab. „Wie ein Schutzschild“, sagt Wierer. Diese politische Nähe und Loyalität jedoch erschweren einen Jobwechsel. Für einen Abgeordneten einer anderen Partei zu arbeiten – undenkbar: „Deswegen hatten es die wissenschaftlichen Mitarbeiter von FDP-Abgeordneten nach dem Ausscheiden der Partei aus dem Bundestag auch so schwer“, so Wierer.

Als Angestellte des Abgeordneten endet das befristete Arbeitsverhältnis, wenn dessen Mandat endet: Das kann alle vier Jahre nach der Wahl sein – zudem wenn der Abgeordnete sein Mandat vorzeitig zurückgibt oder verstirbt. Aufgrund dieser Unsicherheit ist für manche die Tätigkeit nur ein Job auf Zeit. Die dabei erworbenen Kenntnisse gelten als gutes Sprungbrett für eine Karriere in größeren Unternehmen, Verbänden oder Politikberatungen.

Startschuss für eine politische Karriere

Immer wieder treten wissenschaftliche Mitarbeiter auch aus dem Schatten ihres Chefs heraus und starten eine eigene parlamentarische Laufbahn: So etwa Cansel Kiziltepe (SPD), die als Mitarbeiterin Ottmar Schreiners das politische Geschäft kennenlernte und sich dann selbst erfolgreich um ein Mandat bewarb. Seit 2013 sitzt sie im Bundestag. Bekannt ist das Beispiel Dr. Klaus Kinkels (FDP), der seinen früheren Chef Hans-Dietrich Genscher sogar als Bundesaußenminister beerbte.

Wierer und Alexandrakis jedoch würden ihre Arbeit nicht eintauschen: Die Vielseitigkeit der Aufgaben, die Einflussmöglichkeiten und die flachen Hierarchien schätzen beide zu sehr. Trotz der befristeten Arbeitsverträge – für sie ist und bleibt es ein Traumjob. Damit sind die beiden nicht allein: „Ich habe den Eindruck, dass mehr Mitarbeiter länger bleiben“, sagt Alexandrakis. „Langsam setzt sich die Einstellung durch, dass der Job nicht nur ein Sprungbrett ist, sondern eine langfristige Berufung – wenn nur die Befristung nicht wäre.“ (sas/22.08.2016)

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