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Geschichte

Norbert Lammert würdigt Altbundespräsident Scheel

Der frühere Bundespräsident Walter Scheel (FDP) beim Fest 20 Jahre Deutsche Einheit vor dem Reichstagsgebäude.

Altbundespräsident Walter Scheel (DBT/Nowak-Katz)

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat den am Mittwoch, 24. August 2016, im Alter von 97 Jahren verstorbenen Altbundespräsidenten Walter Scheel als einen „Politiker von Format“ gewürdigt, der alle Ebenen der parlamentarischen Arbeit kennengelernt habe – von der Kommune über den Landtag Nordrhein-Westfalens, den Deutschen Bundestag, dessen Vizepräsident er war, bis hin zum Europäischen Parlament. Ob als erster Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, als Außenminister der „Neuen Ostpolitik“ oder aber als im Volk überaus beliebter Bundespräsident – Walter Scheel habe stets „Türen geöffnet, Brücken gebaut“.

„Und so, wie der einzelne Mensch in seinem Streben nach Freiheit, Gleichheit und Glück für ihn immer im Mittelpunkt stand, ging er auch auf Menschen zu: offen, interessiert, ehrlich. Walter Scheel war ein Menschenfreund, ein glänzender Redner, weltgewandt, optimistisch, humorvoll und volksnah“, heißt es im Beileidsschreiben Lammerts an die Witwe Barbara Scheel. „Unser Land, um das er sich höchste Verdienste erworben hat, ist ihm zu großem Dank verpflichtet. Der Deutsche Bundestag wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.“ 

„Mister Bundesrepublik“

Scheel war fast 25 Jahre Abgeordneter, Bundestagsvizepräsident, mehrfach Bundesminister und schließlich Bundespräsident. Als solcher gehörte er zu den beliebtesten deutschen Politikern. Gemeinsam mit Willy Brandt (SPD) ebnete der langjährige FDP-Vorsitzende den Weg für die erste sozialliberale Koalition auf Bundesebene. Als Außenminister und Vizekanzler war er zudem an den Verhandlungen über die Ostverträge beteiligt.

„Willy Brandt konnte nur deshalb das Land verändern, weil er mit Walter Scheel einen kongenialen Partner hatte“, sagte der heutige Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier einmal über seinen Vorgänger im Auswärtigen Amt. Für den Zeithistoriker Prof. Dr. Arnulf Baring war der Liberale aufgrund der prägenden Weichenstellungen seines politischen Wirkens „Mister Bundesrepublik“. 

Von Solingen aus in den Bundestag

Politisch aktiv wurde der am 8. Juli 1919 als Sohn eines Stellmachers in Solingen geborene Walter Scheel 1946, als er der FDP beitrat. Im Zweiten Krieg hatte er in der Luftwaffe der Wehrmacht gedient. Nach seiner Rückkehr arbeitete Scheel, der Abitur und Banklehre absolviert hatte, als Geschäftsführer für verschiedene Industriefirmen. Später machte er sich als Wirtschaftsberater selbstständig. Von 1958 bis 1961 war er Geschäftsführer einer von ihm in Düsseldorf mitgegründeten Firma zur Beratung bei Unternehmensfusionen.

Parallel startete er seine Laufbahn als Politiker: So gehörte er von 1948 bis 1952 dem Stadtrat in seiner Heimatstadt Solingen, dann ab 1950 auch dem nordrhein-westfälischen Landtag an. 1953 zog er erstmals in den Bundestag ein. Zwei der insgesamt 21 Jahre als „MdB“, von 1967 bis 1969, fungierte Scheel auch Vizepräsident des Bundestages. Von 1956 bis 1961 war er zudem Abgeordneter des Europäischen Parlaments.

Rücktritt anlässlich der „Spiegel-Affäre“

Fahrt nahm Scheels politische Karriere auf, als Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) ihn 1961 in dessen viertes Kabinett berief und ihm die Leitung des neu geschaffenen Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit übertrug. Haltung bewies der junge Minister ein Jahr später anlässlich der „Spiegel-Affäre“: Mehrere Journalisten, darunter Spiegel-Chef Rudolf Augstein, wurden nach einem kritischen Artikel wegen angeblichen Landesverrats verhaftet. Scheel und die vier anderen Minister der FDP traten aus Protest  zurück und nahmen erst wieder am Kabinettstisch Platz, nachdem der für die Verhaftung der Redakteure verantwortliche Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) sein Amt aufgegeben hatte.

Auch unter Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU), der nach Adenauers Rücktritt im Oktober 1963 die Regierungsgeschäfte übernahm, behielt Scheel sein Amt. Drei Jahre später allerdings, im Oktober 1966, trat Scheel erneut gemeinsam mit den anderen FDP-Ministern zurück. Grund war dieses Mal ein Streit über Steuererhöhungen zur Deckung des Bundeshaushalts 1967, die die Liberalen nicht mittragen wollten. Der Rücktritt der FDP-Minister führte schließlich zum Bruch der Koalition aus CDU/CSU und FDP.

Architekt der sozialliberalen Koalition

In der Zeit der Großen Koalition avancierte Scheel 1968, der seit 1956 zum Vorstand der Bundes-FDP gehörte, zum Vorsitzenden der Freien Demokraten. Hatte er Mitte der 1950er-Jahre bereits zum Kreis der liberalen „Jungtürken“ gehört, die gegen die CDU-Herrschaft in Bund und Land rebellierten, näherte sich die FDP nun unter seiner Führung der SPD an. So stimmten die liberalen Wahlmänner und Wahlfrauen im März 1969 bei der Wahl von Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten geschlossen für den Sozialdemokraten. Dass er diesen in seiner Partei durchsetzen konnte, bezeichnete Scheel selbst später als einen seiner größten Erfolge als FDP-Vorsitzender.

Es war zudem einer der Schritte, mit denen Scheel, den politische Beobachter als äußerst gewieft beschrieben, die Weichen stellte für die Regierungszusammenarbeit zwischen FDP und SPD, in der Scheel unter Willy Brandt Außenminister und Vizekanzler wurde. Nicht umsonst gilt der Liberale bis heute als Architekt der ersten sozialliberalen Koalition auf Bundesebene – eine Bezeichnung, die Conrad Ahlers, Spiegel-Journalist und späterer Sprecher der Regierung Brandt/Scheel, prägte.

Vertreter der Entspannungspolitik

Den Höhepunkt der Macht erreichte Scheel in seiner Zeit als Außenminister von 1969 bis 1974. Im Rahmen der von Willy Brandt vorangetriebenen Entspannungspolitik machte er sich für eine Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern stark. Die ersten „Ostverträge“ konnten 1970 unterzeichnet werden, mit denen die Bundesrepublik Deutschland ihre Beziehungen zur Sowjetunion und zu Polen normalisierte und einen gegenseitigen Gewaltverzicht vereinbarte.

Für diese neue Ostpolitik erntete die Regierung Brandt/Scheel international viel Lob – innenpolitisch jedoch war sie heftig umstritten. Die Union leistete vehementen Widerstand, versuchte gar – wenn auch erfolglos –  im April 1972 den Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen.

Eindringliches Werben für die Ratifizierung der Ostverträge

Dass der Bundestag die Ratifizierungsgesetze zum Moskauer und Warschauer Vertrag  im Mai 1972 schließlich beschloss, war auch ein Erfolg des glänzenden Rhetorikers Scheel, der im Plenum eindringlich für die Ostverträge geworben hatte: Ohne die darin fixierte Gewaltverzichtserklärung und „Beachtung der Realitäten“ werde es auch keine Öffnung der „Wege von und nach Berlin“ geben, so der Außenminister im Hinblick auf das noch zu verhandelnde Viermächte-Abkommen, das Besucherverkehr und Zugangswege sichern sollte.

Vor allem wandte Scheel sich gegen den Vorwurf, mit kommunistischen Ländern dürfe nicht verhandelt werden: „Die Dinge sind zu ernst, um sie in überkommene Schablonen des Antikommunismus hineinzuzwängen!“

Für zwei Tage Kanzler und Präsident

Scheel blieb auch nach der erfolgreich gewonnenen Bundestagswahl 1972 Außenminister. Er war der erste FDP-Politiker an der Spitze des Auswärtigen Amtes, das sich daraufhin bis 1998 zu einer liberalen Domäne entwickelte. Als Brandt im Zuge der Enttarnung eines Referenten im Bundeskanzleramt als DDR-Spion im Mai 1974 zurücktrat, übernahm Scheel bis zur Wahl Helmut Schmidts zum neuen Bundeskanzler am 16. Mai die Amtsgeschäfte.

Er selbst wurde bereits am 15. Mai 1974 von der Bundesversammlung zum Nachfolger Heinemanns als Bundespräsident gewählt. Damit war der Liberale mit dem markanten Gesicht der einzige Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik, der für zwei Tage Kanzler und Präsident in einem war.

Mit Würde und Weltläufigkeit

Seine Amtszeit als vierter Bundespräsident von 1974 bis 1979 war überschattet vom Terror der Roten Armee Fraktion (RAF). Außenpolitisch setzte Scheel die Entspannungspolitik fort. Nachdem er als erster deutscher Außenminister 1972 Israel besucht und 1972 diplomatische Beziehungen zu China mit einem Besuch in Peking aufgenommen hatte, reiste er als erster Bundespräsident  1975 in die Sowjetunion. Dem als Bonvivant bekannten Liberalen gelang es, das Amt mit „staatsmännischer Würde und lockerer Weltläufigkeit“ zu führen. Er habe  „den Deutschen gezeigt, dass man Politik auf sehr kultivierte Weise machen kann“, schrieb einmal die Pariser Zeitung „Le Monde“.

Zugleich pflegte Scheel die Nähe zum Volk. In seinen Reden setzte er sich für mehr soziale Mitwirkungsrechte der Bürger ein. Gerade auch an junge Menschen appellierte er, sich stärker für das Gemeinwohl zu engagieren. Auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit verzichtete Scheel allerdings, als sich in der Bundesversammlung eine Mehrheit für den Kandidaten der CDU/CSU, Prof. Dr. Karl Carstens, abzeichnete.

„Hoch auf dem gelben Wagen“

Große Popularität erlangte Scheel jedoch nicht nur als Politiker und Staatsoberhaupt, sondern auch als Sänger: 1973 nahm der weithin für seine Heiterkeit geschätzte Musikliebhaber  zugunsten der „Aktion Sorgenkind“ mit dem Düsseldorfer Männergesangsverein das Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ auf und landete damit einen Hit. Eine goldene Schallplatte sowie eine Platin-Schallplatte wurden Scheel als Auszeichnung verliehen. Das Lied wurde sein Markenzeichen.

Nach seiner Amtszeit blieb Scheel gesellschaftlich aktiv und engagierte sich in einer Vielzahl von Ehrenämtern und Gremien. So war er als Ehrenvorsitzender der FDP ein gefragter Ratgeber seiner Partei, von 1979 bis 1990 stand er dem Kuratorium der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung vor. Seine rege Vortrags- und Interviewtätigkeit setzte Scheel bis ins hohe Alter fort. Geehrt wurde er unter anderem 1971 mit dem Theodor-Heuss-Preis, 1973 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und 1977 mit dem Karlspreis. Scheel war seit 1988 in dritter Ehe mit seiner Frau Barbara (geborene Wiese) verheiratet. Zuletzt lebte der an Demenz erkrankte Altbundespräsident  in einem Pflegeheim in Bad Krozingen bei Freiburg. (sas/24.08.2016)

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