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Parlament

Fragestunde: Dağdelen erkundigt sich nach den al-Bakr-Ermittlungen

Im Anschluss an die Regierungsbefragung folgt in der Plenarsitzung am Mittwoch, 19. Oktober 2016, die Fragestunde. Sie beginnt voraussichtlich gegen 13.35 Uhr und soll zwei Stunden dauern. Vertreter der Bundesregierung beantworten Fragen der Abgeordneten (18/9971), die getrennt nach Ressortzuständigkeit aufgerufen werden.

Eine der Fragestellerinnen ist die Abgeordnete Sevim Daǧdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke. Seit dem Selbstmord des syrischen Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr am 12. Oktober in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Leipzig stehen die sächsischen Sicherheits- und Justizbehörden in der Kritik. Daǧdelen will von der Bundesregierung erfahren, ob diese ihre „Einschätzung“ teile, dass es eine „Fehlentscheidung des Generalbundesanwalts“ gewesen sei, die Ermittlungen nicht schon am 7. Oktober an sich zu ziehen. Die Bundesregierung wird die Frage schriftlich beantworten. Am Freitag, 21. Oktober, findet ab etwa 15 Uhr zu den Umständen der Verhaftung und des Todes al-Bakrs eine von den Grünen verlangte Aktuelle Stunde statt.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hatte am 10. Oktober bekannt gegeben, dass sie die Ermittlungen einen Tag vorher von der Staatsanwaltschaft Dresden übernommen habe. Zu spät, kritisiert Daǧdelen im Interview. Der Bundesanwalt hätte sich „sofort oder spätestens“ nach der gescheiterten Festnahme des Verdächtigen einschalten müssen. Warum er dies nicht getan habe, müsse ebenso geklärt werden wie die Frage, ob es sich zweifelsfrei um Suizid gehandelt habe, fordert die Bochumer Bundestagsabgeordnete. Das Interview im Wortlaut:


Frau Daǧdelen, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm, war eine Festnahme durch die Polizei einen Tag vorher gescheitert und al-Bakr auf der Flucht. Was wäre denn anders gelaufen, wenn der Generalbundesanwalt sich schon früher eingeschaltet hätte?

Ich möchte nicht spekulieren. Viel dringender zu klären wäre die Frage, warum die Generalbundesanwaltschaft die Übernahme des Verfahrens am Freitag vergangener Woche zunächst abgelehnt und den Fall erst am Sonntag übernommen hat. Warum hat der Generalbundesanwalt nicht spätestens nach dem gescheiterten Zugriff der Polizei am 8. Oktober das Heft des Handelns übernommen? Es bleibt zudem rätselhaft, warum der Verdächtige nicht nach Karlsruhe zur Vernehmung geflogen wurde. Die Erklärung, er hätte keine weiteren Aussagen machen wollen, ist nicht plausibel. Was wir im Moment wissen ist, dass am 6. Oktober US-amerikanische Geheimdienste den deutschen Behörden den entscheidenden Hinweis auf al-Bakr geliefert haben. Warum die Bundesanwaltschaft nicht sofort tätig wurde und dann offenbar nur halbherzig, ist unklar. Nicht nur die sächsischen Sicherheitsbehörden stehen zu Recht in der Kritik, auch die Bundesbehörden müssen sich Nachfragen gefallen lassen.

Inwiefern?

Es gibt Ungereimtheiten. Es gibt starke Hinweise, dass Dschaber al-Bakr – anders als in vielen Medien unterstellt – mit dem IS nichts zu tun hat, sondern sehr wahrscheinlich Verbindungen zu Ahrar al-Scham hatte. Das legen zumindest die Aussagen seines Bruders, wie auch seine Reisen nach Syrien nahe. Gerade die Provinz Idlib, in die er gereist sein soll, steht nicht unter der Kontrolle des IS, sondern anderer islamistischer Terrormilizen, wie etwa Ahrar al-Scham. Die Organisation steht dem IS in Sachen Menschenverachtung in nichts nach – dennoch liefert unser Nato-Partner Türkei Waffen. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht, gegenüber der Türkei auf Aufklärung zu dringen. Sollten sich die Hinweise zu Ahrar al-Scham bestätigen, gibt es einen Grund mehr, die enge Partnerschaft mit Erdogan auf den Prüfstand zu stellen.

Eine solche Verbindung al-Bakrs zu Ahrar al-Scham hat die Bundesanwaltschaft bislang nicht bestätigt. Aber es fehlen auch die Beweise für einen Bezug al-Bakrs zum IS.

Dass die Bundesanwaltschaft nun eingeräumt hat, es gebe bislang nicht ausreichend gerichtsverwertbare Bezüge, wundert mich nicht. Interessanter ist, ob es Beweise für die Verbindung zwischen al-Bakr und anderen islamistischen Terrororganisationen gibt, die von unseren Verbündeten unterstützt werden und die die Bundesregierung nicht als terroristische Vereinigung einstuft. Im Fall von Ahrar al-Scham weigert sie sich beharrlich – obwohl der Staatsschutzsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts gerade erst in einem Pilotprozess die Miliz zur terroristischen Vereinigung erklärt hat. Ich frage mich, ob das bei der Entscheidung der Bundesanwaltschaft eine Rolle gespielt hat.

Sie vermuten, dass der Generalbundesanwalt deshalb gezögert haben könnte, die Ermittlungen gegen Dschaber al-Bakr zu übernehmen?

Es wäre jedenfalls unerträglich, wenn man Rücksicht auf einen Nato-Partner genommen hat.

Welchen Vorteil hätte es gehabt, wenn die Bundesanwaltschaft schneller eingegriffen und al-Bakr ihm direkt überstellt worden wäre?

Das können wir natürlich im Nachhinein nicht mit Sicherheit sagen. Möglicherweise wäre aber bei einer frühzeitigen Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft die Festnahme al-Bakrs nicht misslungen. Vielleicht hätte die Generalbundesanwaltschaft aufgrund ihrer Erfahrung bei der Inhaftierung auch mehr Vorsicht walten lassen – und ausreichend Vorsorge getroffen, dass ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter sich nicht selbst töten kann. Wahrscheinlich hätte sie mehr Sensibilität für die Brisanz und die Umstände des Falls gehabt. Auch der Versuch einer Befragung durch die Bundesanwaltschaft wäre sinnvoll gewesen. Viele wichtige Informationen, die wir vom Beschuldigten hätten erhalten können, werden nun mit ihm begraben.

Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten in Niedersachsen fordert nun, Terrorverdächtige zentral – etwa beim Generalbundesanwalt – zu inhaftieren. Reguläre Gefängnisse seien „im Zweifel nicht geeignet“ für potenzielle Terroristen. Ist das sinnvoll?

Ich halte überhaupt nichts davon, ein deutsches Guantánamo zu schaffen. Es geht nicht um neue Gefängnisse, sondern um die Klärung der Frage, warum die Bundesanwaltschaft sich nicht eher und unzureichend eingeschaltet und weshalb der Bundesjustizminister nicht die Weisung dazu gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist es unredlich, nur von den Versäumnissen in Sachsen zu sprechen. Auch die Bundesbehörden, konkret das weisungsbefugte Bundesjustizministerium, hätten schneller und effizienter handeln müssen.

Sie nennen den Fall Dschaber al-Bakr einen „Schlag gegen das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in Deutschland“. Aber muss man nicht fairerweise festhalten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten im In- und Ausland funktioniert hat? Ein Anschlag wurde so immerhin vereitelt, der Verdächtige gefasst.

Ja und nein – denn bis al-Bakr inhaftiert war, herrschte überall große Unsicherheit. Man war fassungslos, wie es ihm überhaupt gelingen konnte, bei so viel Polizeipräsenz zu fliehen. Von der schweren Polizeiausrüstung, die die Verfolgung erschwert haben soll, bis zum fehlenden zweiten Ring von Einsatzkräften um das observierte Haus – es gab zu viele Pannen. Das war wahrhaftig keine Glanzleistung der Ermittler.

Der Ko-Vorsitzende Ihrer Fraktion, Dietmar Bartsch, hat den Verdacht geäußert, der Suizid al-Bakrs sei kein Zufall. Der Inhaftierte hätte Informationen liefern können, auch über die Arbeit der Polizei. Der Fall „stinke zum Himmel“. Befördern nicht gerade solche Unterstellungen ein Gefühl der Unsicherheit?

Es ist natürlich ein ungeheuerlicher Verdacht, wenn man hinterfragt, ob es tatsächlich Selbstmord war. Wir müssen aber ausschließen können, dass hier Geheimdienste ihre Hände im Spiel gehabt haben. Als Opposition ist es unsere Aufgabe die Vorgänge transparent zu machen. Deshalb fordern wir auch eine unabhängige Untersuchungskommission, die den Tod al-Bakrs aufklärt, auch um zweifelsfrei zu klären, wie al-Bakr ums Leben kam. Was wirklich zur Unsicherheit der Menschen beiträgt ist, dass ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter der Polizei, entkommt, dass er später in Haft eine Aussage ankündigt, dann aber plötzlich tot in seiner Zelle liegt. Das alles können die Menschen nicht nachvollziehen. Insofern ist es schon gerechtfertigt zu sagen, dass der Fall zum Himmel stinkt und aufgeklärt gehört.

(sas/18.10.2016)

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