Sachverständige plädieren für den Erhalt des Filmerbes
Filmwissenschaftler, Produzenten und Archivare fordern eine Aufstockung der finanziellen Mittel zur Digitalisierung und Rettung des deutschen Filmerbes. „Lasst uns mit dem Anfangen anfangen“, fasste Rainer Rother, Direktor der Stiftung Kinemathek, die Appelle der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am Mittwoch, 19. Oktober 2016, unter Vorsitz von Siegmund Ehrmann (SPD) über den Antrag der Fraktion Die Linke „Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten“ (18/8888) zusammen.
Diskussion über Bündnis für das Filmerbe
Das von Kulturstaatsministerin Professor Monika Grütters (CDU) als „Jahrhunderaufgabe“ bezeichnete Unterfangen kostet nach dem Gutachten „Ermittlung des Finanzbedarfs zum Erhalt des Filmischen Erbes“ der Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse Coopers 473,9 Millionen Euro. Um diese Kosten zu schultern, diskutieren Bundesregierung, Bundesländer und die Filmwirtschaft seit mehreren Jahren über ein Bündnis für das Filmerbe.
Zehn Millionen Euro sollen jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren für die Digitalisierung ausgegeben werden. Jeder der Partner soll ein Drittel der Kosten tragen. „Anschließend wissen wir, wie wir mit dem Rest der Bestände umgehen“, sagte Rother. Er machte auf das Ungleichgewicht der Ausgaben für die Filmförderung, für die die drei Partner 330 Millionen Euro jährlich aufbringen, und die Bewahrung des Filmerbes aufmerksam.
Geld aus unterschiedlichen Quellen
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2017 sind für die Digitalisierung eine Millionen Euro eingestellt. Von den Ländern haben bislang Berlin und Brandenburg ihren Anteil nach dem Königsteiner Schlüssel bereitgestellt, sie förderten im vergangenen Jahr Digitalisierungsvorhaben mit 450.000 Euro.
Die Filmförderungsanstalt unterstützt die Digitalisierung seit 2012 mit einer Million Euro jährlich, in diesem Jahr hat sie auf zwei Millionen aufgestockt. 15.000 Euro stehen je Film für eine Sicherung im 2K-Format bereit, die Rechteinhaber müssen einen Eigenanteil von 20 Prozent erbringen. Die Auswahl der Titel erfolgt nach drei gleichwertigen Kriterien, der kommerziellen Vermarktbarkeit des Films, filmkünstlerischen Gesichtspunkten und dem technischen Zustand des Originalmaterials.
Experten betonen die Dringlichkeit der Mittelerhöhung
Christine Grieb, Geschäftsführerin des Verbands der filmtechnischen Betriebe, unterstrich ebenso wie Alice Brauner, Geschäftsführerin der Berliner CCC Filmkunst GmbH, die Dringlichkeit der Erhöhung der finanziellen Mittel. Die professionellen Strukturen, das heißt das personelle Know-how und die technische Infrastruktur, würden verschwinden, wenn der Startschuss für das Bündnis nicht bald erfolgt. „Die Firmen sind in einer dramatischen wirtschaftlichen Situation, da der Markt ihre Leistungen ohne staatliche Unterstützung nicht abruft. Sie werden im kommenden Jahr schließen. Die Kapazitäten können nur mit hohem Aufwand wieder aufgebaut werden,“ führte Grieb aus.
Der Filmschatz von 250 Titeln der Produzentenlegende Artur Brauner ist akut gefährdet, darunter die Karl-May-Verfilmung „Im Reiche des Silbernen Löwen“. Seine Tochter Alice Brauner plädierte für die Digitalisierung im Format 4K Ultra HD. Für die digitale Überarbeitung des Filmklassikers „Es geschah am helllichten Tag“ mit Heinz Rühmann gab sie gerade 25.000 Euro aus. „Unter diesem technischen Standard ist eine kommerzielle Auswertung im Kino oder im Fernsehen kaum möglich“. Brauner forderte die öffentlich-rechtlichen Sender auf, das deutsche Filmerbe in die Hauptprogramme aufzunehmen.
Forderung nach Pflege analoger Kopien
Die Experten forderten unisono, auch die analogen Kopien zu pflegen. „Wir wollen auch alle Materialien dauerhaft im Originalzustand erhalten“, betonte Michael Hollmann, Direktor des Bundesarchivs, zu dessen Bestand 150.000 Titel in 1,2 Millionen Filmrollen gehören. Mit dem gegenwärtigen Etat des Bundesfilmarchivs könne er diese Doppelstrategie jedoch nicht umsetzen.
Die Schließung der eigenen Kopierwerke in Koblenz und Berlin-Hoppegarten ist bereits angekündigt, es sind die letzten am Traditionsstandort Deutschland. Bundesfilmarchiv und die Stiftung Deutsche Kinemathek hoffen, dass die Regierungsparteien ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen, die Zuweisungen für beide Institutionen zu erhöhen.
Antrag der Linken
Im Einzelnen verlangt Die Linke, bis spätestens Mitte 2017 eine gesamtstaatliche Strategie für die Digitalisierung des Filmerbes vorzulegen. Dabei sollen die Länder, die Filmwirtschaft und die Archive in die Abstimmung einbezogen werden. Die Fraktion erwartet auch belastbare Kostenkalkulationen für die unterschiedlichen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und der Langzeitarchivierung. Die Archive sollten in die Lage versetzt werden, die notwendigen Restaurierungen am Originalmaterial vornehmen zu können.
Das Filmerbe solle dabei barrierefrei zugänglich und nutzbar gemacht werden, heißt es in dem Antrag weiter. Filmkopierwerke sollten subventioniert werden, um ihren Bestand langfristig zu sichern. Auch das beim Bundesarchiv arbeitende bundeseigene Schwarz-weiß-Kopierwerk solle erhalten werden. Die Kosten sollten zu je einem Drittel vom Bund, des Ländern unter Einbeziehung der Sendeanstalten und von der Filmwirtschaft getragen werden. Die Linke empfiehlt, über eine zweckgebundene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhe von fünf Cent nachzudenken.
Begründet wird der Antrag mit dem „drohenden Verfall des analogen Filmmaterials“. Aktuell müsse mit Kosten von 30 Millionen Euro jährlich über einen Zeitraum von zunächst zehn Jahren gerechnet werden. (dok/vom/20.10.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Alice Brauner, Geschäftsführung, CCC Filmkunst GmbH
- Christine Grieb, Geschäftsführung, Verband Technischer Betriebe für Film - und Fernsehen e.V. (VTFF)
- Dr. Michael Hollmann, Präsident, Bundesarchiv
- Prof. em. Dr. Klaus Kreimeier, Kultur- und Medienwissenschaftler, Initiative „Filmerbe in Gefahr“
- Juliane Maria Lorenz, Präsidentin und Geschäftsführerin, Rainer Werner Fassbinder Foundation
- Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor, Stiftung Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen