Zeuge bestätigt Kenntnis von Abhörmaßnahmen mit Bezug zu Verbündeten
Vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) hat ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) am Donnerstag, 10. November 2016, bestätigt, Kenntnis von Abhörmaßnahmen gegen Ziele mit Bezug zu verbündeten und befreundeten Staaten besessen zu haben. Der Zeuge T.P. ist seit 2007 in der Außenstelle Rheinhausen tätig, einem Horchposten nahe Freiburg, von wo aus vor allem satellitenbasierte Datenverkehre überwacht werden. Er war hier bis 2011 im Bereich Systemunterstützung eingesetzt und ist seither als Sachgebietsleiter „Produktion“ unter anderem für Nachrichtenbearbeitung zuständig. Derzeit nimmt T.P. nach eigenen Worten auch die Funktion des Dienststellenleiters wahr.
„Auch Aufträge mit EU-Bezug dabei“
Anders als in der bayerischen Außenstelle Bad Aibling hat die amerikanische National Security Agency (NSA) in Rheinhausen keinen Fuß in der Tür. Er wisse das zu schätzen, gab T.P. den Abgeordneten zu verstehen. Die Kooperation mit einem fremden Nachrichtendienst bringe unvermeidlich „Mehraufwand“ mit sich: „Es würde das Leben etwas schwerer machen.“
Rund die Hälfte der Selektoren, die bei der Fernmeldeüberwachung in Rheinhausen zum Einsatz kommen, sei in der Außenstelle selber generiert worden aus Resultaten laufender Abhörmaßnahmen. Die andere Hälfte werde aus der Zentrale in Pullach zugeliefert: „Wir kriegen auch Aufträge, da sind die Selektoren schon dran.“ Woher solche Aufträge kommen, sei in der Dienststelle nicht bekannt, berichtete der Zeuge und fügte auf Nachfrage nach kurzer Beratung mit seinem Anwalt hinzu: „Da waren auch Aufträge dabei mit EU-Bezug.“
„Uns war unklar, wo die Reise hinführte“
In der ersten Jahreshälfte 2014 seien in Rheinhausen die gegen befreundete Ziele gerichteten Suchmerkmale aus dem Verkehr gezogen worden. Im April jenes Jahres entstand in der Zentrale eine entsprechende schriftliche Weisung aus der Feder des Abteilungsleiters Technische Aufklärung Hartmut Pauland.
Sie habe Rheinhausen durch ein Versehen mit Verspätung erst im Juni erreicht. Die Außenstelle in Südbaden habe zunächst nicht auf dem Verteiler gestanden. Man sei dort aber vorgewarnt gewesen: „Uns war klar, wo die Reise hinführte.“ Einige Monate zuvor nämlich, etwa Ende 2013, sei der Außenstelle ein Weisungsentwurf des Unterabteilungsleiters D.B. mit der Bitte um Rückäußerung zugegangen.
„Selektoren nicht komplett löschbar“
Gewünscht worden sei ein sachkundiges Urteil aus Rheinhausen zu den möglichen Folgen der Umsetzung einer solchen Weisung, vor allem der Frage, in welchem Maße ein „Einbruch in der Erfassung“ zu erwarten sei. Nach einigen Diskussionen sei in der Außenstelle bereits vor Eintreffen der definitiven Weisung begonnen worden, politisch fragwürdige Suchmerkmale zu deaktivieren, berichtete der Zeuge. Er stellte klar, dass es in der Datenbank des BND nicht möglich sei, Selektoren komplett zu löschen. Man könne sie allenfalls mit einem Ungültigkeitsvermerk versehen.
Seit Sommer 2014 ist der gesamte Selektorenbestand des BND in einer zentralen Datenbank gespeichert. Wie der Zeuge berichtete, waren bis dahin die einzelnen Sachbearbeiter in den Außenstellen recht autonom in der Gestaltung ihrer Lauschprogramme: „Jeder Nachrichtenbearbeiter konnte den Selektor einstellen, von dem er meinte, dass er relevante Informationen liefern wird.“ Er habe als Sachgruppenleiter bei der Lektüre der ausgehenden Meldungen zwar auch von den genutzten Selektoren Kenntnis genommen, ihren Einsatz aber nicht zu genehmigen gehabt: „Bei Eigensteuerung musste nicht nachgefragt werden. Es gab keine Kontrollinstanz.“
„Die Erfassung ging insgesamt zurück“
Zuvor hatte ein weiterer BND-Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass die politischen Folgen der Snowden-Affäre die Effizienz der Arbeit seiner Behörde beeinträchtigt hätten. Seit spätestens Ende 2013 sei es das „Credo“ der Spitze des Hauses gewesen, dass die Aufarbeitung des Skandals Vorrang vor allen anderen Erwägungen hatte, sagte der Zeuge R.U. in seiner Vernehmung.
Der heute 47-Jährige war von Anfang 2010 bis Oktober 2015 Dienststellenleiter des Horchpostens in Bad Aibling, den der BND gemeinsam mit der amerikanischen National Security Agency (NSA) betreibt. Ende Oktober 2013 ordnete das Kanzleramt an, dass der BND die Ausspähung von Zielen mit Bezug zu Mitgliedsländern von EU und Nato umgehend einzustellen habe.
Die entsprechenden Suchmerkmale waren zu deaktivieren. Die Folge sei gewesen, dass „insgesamt die Erfassung zurückgegangen“ sei, berichtete R.U. Darüber sei auch im Kollegenkreis geredet worden. Die Ertragsminderung der Geheimdienstarbeit sei aber nach allgemein geltender Auffassung nur von nachgeordneter Bedeutung gewesen.
„Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern“
„Es war klar intern bei uns, dass zugunsten der Selektorenreduzierung und zugunsten des Untersuchungsausschusses und der parlamentarischen Anfragen, die kamen, dass das die oberste Priorität hatte, und wenn das Meldungsaufkommen zurückging, war das zu akzeptieren“, sagte der Zeuge. Dies sei der „Grundsatz“ und der erkennnbare Wunsch der Leitung des Hauses gewesen. Ohnehin seien die Mitarbeiter seiner Behörde seit Beginn der Snowden-Affäre im Sommer 2013 an sieben Tagen in der Woche in der Regel bis 20 Uhr im Dienst gewesen.
Wie und wann genau die Anordnung, die BND-eigenen Selektoren mit EU- und Nato-Bezug aus der Erfassung zu nehmen, zu seiner Kenntnis gelangt war, vermochte der Zeuge trotz wiederholter Nachfragen nicht mehr zu sagen: „Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern. Seit Juni 2013 sind Weisungen und Aufträge im Stundentakt bei uns eingegangen.“ Er vermute, es habe sich um eine mündliche Information aus der Zentrale in Pullach gehandelt, sagte R.U.: „Ich meine, dass da irgendwann auch ein schriftliches Papier dazu kam, ob im Entwurfsstadium oder offiziell, weiß ich nicht mehr.“
„Auf die Kollegen verlassen“
Er habe ohnehin als Dienststellenleiter die Anordnung nicht persönlich auszuführen gehabt. Er habe mindestens zweimal wöchentlich seine Sachgebietsleiter zu einer Besprechung versammelt und dabei alles mitgeteilt, was an Weisungen und Informationen aus der Zentrale eingegangen war. Die Sachgebietsleiter hätte ihre Gruppenleiter unterrichtet, und diese dann die jeweils zuständigen Mitarbeiter mit der Ausführung beauftragt.
Selber nochmals nachgefragt habe er nicht, sagte der Zeuge. Er habe sich auf seine Kollegen verlassen: „In den knapp sechs Jahren in Bad Aibling hatte ich nicht einmal ein Indiz, dass dort irgendwas, was wir in der Runde der Sachgebietsleiter besprochen hatten und aus der Zentrale als Anweisung kam, nicht umgesetzt wurde.“
„Weisung wurde korrekt ausgeführt“
Der Zeuge bestätigte, dass die Weisung und ihre Ausführung in Bad Aibling nicht schriftlich festgehalten wurden. Das sei nicht vorgeschrieben gewesen. Die Informationen aus der Zentrale seien ja auch in unterschiedlicher Form eingegangen, telefonisch, als Mail, schriftlich.
Selber konnte sich R.U. auch auf mehrfaches Nachfragen hin nur ungefähr an den Inhalt der Weisung erinnern. Er sei aber sicher, dass sie korrekt ausgeführt wurde. Sonst wären Rückfragen von Untergebenen gekommen. Dies sei nicht der Fall gewesen. (wid/11.11.2016)
Liste der geladenen Zeugen
R. U., Bundesnachrichtendienst
H. H., Bundesnachrichtendienst
N. N., Bundesnachrichtendienst