Kotting-Uhl: Bei der Elektromobilität sind die Japaner weiter
Trotz langjähriger Wachstumsschwäche, der Atomkatastrophe von Fukushima oder des Aufstiegs der asiatischen Konkurrenten China und Indien – Japan nimmt als drittgrößte Volkswirtschaft nach den USA und China weiterhin eine herausragende Stellung in der Weltwirtschaft ein. Für Deutschland ist Japan nach China wichtigster Wirtschafts- und Handelspartner in Asien. Seit über 150 Jahren unterhalten beide Länder diplomatische Beziehungen miteinander.
Delegationsreise in das Partnerland
Neben den Regierungen pflegen auch die beiden nationalen Parlamente offizielle Beziehungen. So hat der Deutsche Bundestag bereits 1966 eine Deutsch-Japanische Parlamentariergruppe eingerichtet, in Japan gibt es ein entsprechendes Gremium, die japanisch-deutsche parlamentarische Freundschaftsgruppe.
Während der deutschen Gruppe 20 Abgeordnete angehören, zählt sie bei den Japanern sogar 90 Mitglieder. Neben den zahlreichen Einzelterminen ihrer Mitglieder unternimmt die Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages pro Legislaturperiode eine Delegationsreise in das Partnerland; die jüngste davon, an der sechs Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien teilnahmen, fand Anfang Oktober 2016 statt.
Viele Gemeinsamkeiten
„Mit Japan verbindet uns eine enge, jahrzehntelange Freundschaft, es existieren umfassende wirtschaftliche Beziehungen“, unterstreicht Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende der Deutsch-Japanischen Parlamentariergruppe, warum die Beziehungen zu dem fernöstlichen Land so wertvoll sind.
Aber es komme noch etwas anderes hinzu: „Japan ist unter den asiatischen Ländern Deutschland am ähnlichsten. Beide Länder haben viele Gemeinsamkeiten, stehen aber auch vor ähnlichen Herausforderungen, von der Frage der Energieversorgung bis hin zu extrem niedrigen Geburtenraten.“
Energie, Verkehr, demografischer Wandel
Aus diesen Gemeinsamkeiten und dem hohen wechselseitigen Interesse als große, traditionsreiche Industrienationen, aber auch aus den fachlichen Schwerpunkten der Abgeordneten ergeben sich die Themen auf der Agenda der Parlamentariergruppe. So umfasste das Programm der Delegationsreise Gespräche über zukünftige Energie- und Verkehrskonzepte, die wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung Japans, die Bewältigung des demografischen Wandels und die Situation von Frauen in Politik und Wirtschaft.
Bei ihrem Besuch in Japan trafen die deutschen Abgeordneten dazu mit ihren dortigen Parlamentskollegen, einem Repräsentanten der Bank of Japan, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Gewerkschaften sowie Mitgliedern des neugeschaffenen deutsch-japanischen Kooperationsrates Energiewende zusammen. „Bei einem solchen Besuch wollen wir uns ein möglichst breites, aktuelles Bild des Landes machen“, sagt Sylvia Kotting-Uhl.
„Hybridtechnologie im großen Stil marktfähig gemacht“
Wie sehr der Austausch mit Japan auf wechselseitiger Neugier und gegenseitigem Lernen beruht, macht Kotting-Uhl an einigen Programmpunkten der Reise deutlich. So wollten die deutschen Abgeordneten in Japan mehr erfahren über aktuelle Mobilitätskonzepte und den Entwicklungsstand bei Elektromobilität und Hybridtechnologie. Neben der Besichtigung eines Werkes von Toyota informierten sie sich über die Entwicklung und Förderung von emissionsarmen Kraftfahrzeugen.
„Bei der Elektromobilität sind die Japaner weiter“, stellt Kotting-Uhl fest, und lobt die Innovationsbereitschaft der Gastgeber. „Als die Firma Bosch vor Jahren der Automobilindustrie die Hybridtechnologie anbot, winkten die deutschen Hersteller ab – Toyota hingegen griff zu.“ Die Japaner hätten diese Technik dann im großen Stil marktfähig gemacht.
„Umbau des Vekehrssektors wird konsequent gefördert“
Hinzu komme, dass der Staat entsprechende Förderinstrumente geschaffen habe, um derartige Fahrzeuge für den Endverbraucher erschwinglich zu machen und den Markteintritt dieser Produkte zu unterstützen. „Japan fördert den Umbau des Verkehrssektors konsequenter als wir.“
So werde der Kauf eines wasserstoffbetriebenen Autos in Japan mit bis zu 50 Prozent bezuschusst, sämtliche Förderinstrumente zusammengezählt. „Das ist vorbildlich. Dahin müssen wir hierzulande auch kommen, wenn wir es ernst meinen mit der Elektromobilität.“
Roboter in der Altenpflege?
Als weiteren Bereich, in dem Deutschland und Japan voneinander lernen könnten, und in dem auch die Parlamentarier sich austauschten, nennt Kotting-Uhl den Umgang mit dem demografischen Wandel. Die Japaner zeigten den Deutschen beim Besuch eines Seniorenheims, welche Möglichkeiten ein Einsatz der Robotertechnik in Zukunft in der Altenpflege bieten kann.
Gerade werde in einem Forschungsprojekt getestet, inwieweit die spielbegeisterten und an Automatisierung gewöhnten Japaner bereit seien, Roboter mit menschlichen Zügen auch als Gesellschafter und Zuhörer in der Altenpflege zu akzeptieren – für Kotting-Uhl eine eher abschreckende Vision.
Frauenquoten, Lohngerechtigkeit, Kinderbetreuung
Die Japaner wiederum interessiere, wie Deutschland mit dem demografischen Wandel umgeht. In Japan, das als Inselstaat nicht auf eine derartige Zuwanderung wie Deutschland bauen könne, sei das Thema der Alterung der Gesellschaft und des Fachkräftemangels mittlerweile derart brisant, dass es an keinem Sitzungstag des Parlaments fehle.
Die Japaner versuchten nun, die Erwerbsquote von Frauen zu erhöhen, die dort noch viel niedriger liege als in Deutschland, man debattiere über Quoten, Lohngerechtigkeit und Kinderbetreuung – und schaue dabei auf Deutschland, das auf diesem Gebiet weiter sei.
Fukushima und die deutsche Energiewende
Wenn man als deutsche Parlamentarier nach Japan komme oder Japaner in Deutschland empfange, spiele natürlich auch immer die Nuklearkatastrophe von Fukushima und der deutsche Atomausstieg eine Rolle, ein Doppelereignis, das Deutschland und Japan verbinde wie keine zwei anderen Länder, gibt Kotting-Uhl zu bedenken.
Zunächst hatte auch Japan geplant, ganz auf Atomenergie zu verzichten. Die Regierung von Premier Shinzo Abe nahm jedoch von diesem Vorhaben wieder Abstand – konnte allerdings erst drei der ursprünglich 54 Reaktoren wieder in Betrieb nehmen.
„Fukushima hat die japanische Gesellschaft verändert“
„Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat bei den Japanern zu einem Umdenken in Bezug auf die Kernenergie als Energieträger geführt“, sagt Kotting-Uhl. Für Ministerpräsident Abe, der die Revitalisierung der japanischen Wirtschaft zu seinem Hauptprojekt gemacht habe, sei die Kernenergie ein Rückgrat der Energieversorgung des Landes. Dies sähen jedoch viele Japaner kritisch.
Gegen die Wiedereinschaltung eines Reaktors hätten nun erstmals Bürger erfolgreich geklagt – ein für japanische Verhältnisse ganz und gar ungewöhnlicher Vorgang, so Japan-Kennerin Kotting-Uhl. Die Katastrophe von Fukushima und der Umgang der Behörden damit habe so auch die sehr konsensorientierte japanische Gesellschaft verändert.
Neugier und Skepsis gegenüber der deutschen Energiewende
Um aus der Katastrophe zu lernen und Wege für einen Neubeginn in der Energiepolitik aufzuzeigen, habe die Parlamentariergruppe den nun eingerichteten Deutsch-Japanischen Kooperationsrat Energiewende aus deutschen und japanischen Wissenschaftlern initiiert. Auch in diesem Bereich ist den Parlamentariern vor allem der Aspekt des Voneinander-Lernens wichtig.
Die deutsche Energiewende werde dabei von den Japanern mit Neugier und Skepsis verfolgt, sagt Kotting-Uhl. Die Deutschen könnten aber ihre Erfahrungen bei der Umstrukturierung der Energieversorgung einer ganzen Volkswirtschaft in die Waagschale werfen. Japan wiederum sein Know-how beim effizienten Einsatz technologischer Lösungen.
„Der Kontakt ist ein Wert an sich“
Die japanischen Gesprächspartner zeigten zudem immer wieder Interesse an der internationalen Konfliktbeilegung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ost-West-Konflikt durch die EU-Integration gelungen sei, sagt Kotting-Uhl. Japan, das mit all seinen Nachbarn auf irgendeine Weise im Streit liege und sich vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas bedrängt fühle, bewundere, wie Deutschland es geschafft hat, trotz des schweren Zerwürfnisses nach dem Zweiten Weltkrieg heute wieder mit all seinen Nachbarn in Frieden zu leben.
Über sämtliche Themenfelder hinweg betrachte Japan Deutschland als engen Partner und suche den Austausch. Offene Kritik und schulmeisterliches Auftreten sei dabei zwar nicht erwünscht, so Kotting-Uhl, gingen doch die Japaner äußerst respektvoll und höflich miteinander um. „Aber wenn die Japaner uns Fragen stellen, geben wir ihnen klare Antworten.“ Im Rahmen der Parlamentariergruppe könnten auch politisch sensible Fragen angesprochen werden. Beide Seiten profitierten enorm davon.
„Wichtiger Partner und Inspirationsquelle“
Für Deutschland sei Japan ein sehr wichtiger Partner und eine Inspirationsquelle. „Japan ist trotz seiner an traditionellen Werten orientierten Gesellschaft ein äußerst innovationsfreudiges und technologisch sehr aufgeschlossenes Land“, sagt die Vorsitzende der Parlamentariergruppe. „Der Kontakt ist ein Wert an sich. Vieles, über das wir gesprochen haben, fließt in den parlamentarischen Prozess ein.“
Dass dies bereits die Gründer der Bundesrepublik Deutschland erkannt haben, zeigt die Einrichtung einer Parlamentariergruppe anlässlich des Besuchs einer Delegation deutscher Abgeordneter in Tokio bereits im Jahre 1962. Den Vorsitz der am 11. Januar 1966 offiziell konstituierten Gruppe übernahm der damalige Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU/CSU). (ll 15.11.2016)