Geschichte

Bundestag behält Abschaffung der Todesstrafe bei

Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Bonn während einer Debatte im Jahr 1952.

Vor 70 Jahren debattierten die Abgeordneten im Bundestag in Bonn über zwei Anträge, die die Wiedereinführung der Todesstrafe zum Ziel hatten. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Vor 70 Jahren, am Donnerstag 2. Oktober 1952, scheiterte einer der letzten Versuche im Bundestag, die Todesstrafe wieder einzuführen. Artikel 102 des Grundgesetzes ist einfach und eindeutig: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Die Väter des Grundgesetzes hatten sich auch unter dem Eindruck der vielen Todesurteile in den Jahren der Naziherrschaft klar positioniert. Doch viele Bundestagsabgeordnete teilten diese Auffassung in den 50er Jahren nicht (mehr). Immer wieder tauchte das Thema auf der Tagesordnung des Parlamentes auf.

Zwei Anträge zur Wiedereinführung der Todesstrafe

Am 2. Oktober 1952 debattierten die Abgeordneten über zwei Anträge, die die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hatten. Die Fraktion der an der Regierung beteiligten Deutschen Partei (DP) forderte die Aufhebung des Artikels: „Der Artikel 102 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland wird aufgehoben“, lautete ihr Antrag (1/3679).

Einige Abgeordnete der Bayernpartei sowie der CSU gingen mit ihrem Antrag differenzierter vor. Sie wollten dem bestehenden Artikel 102 als Absatz 2 ergänzend anfügen: „Dies gilt nicht für die Verbrechen des Mordes und des Menschenraubes. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ (1/3702). In der Debatte sprach sich keine Fraktion geschlossen für die Todesstrafe aus. Selbst in der DP sowie der CDU/CSU fanden sich Gegner. Bei den Freien Demokraten gingen die Meinungen völlig auseinander. Die SPD-Fraktion und die KPD-Abgeordneten lehnten geschlossen beide Anträge zur Einführung der Todesstrafe ab.

„Hemmnis des Grundgesetzes“

In seiner Begründung des ersten Antrages berief sich Hans Ewers (DP) auf „bestes europäisch-abendländisches Gedankengut“. Er rechtfertigte den Vorstoß seiner Fraktion damit, dass die im Wahlbereich der DP erfolgten Sprengstoffmorde des arbeitslosen Attentäters Cedric E. Halacz „eine unerhörte Erregung“ hervorgerufen hätten, „weil dieser Mensch nicht, wie es sich gehört hätte, für diese Schandtat zum Tode verurteilt ist“. 

Ewers hob in seiner Rede deutlich den „Vergeltungsgesichtspunkt“ und den „Abschreckungscharakter“ der Todesstrafe hervor. Er ging davon aus, dass gerade jugendliche Kriminelle durch „eine Strafabschreckung sehr wohl zu packen“ seien. Ewers sah in Artikel 102 ein „Hemmnis des Grundgesetzes“, den seine Fraktion beseitigen wolle. Er frage, mit Bezug auf das „entsetzliche Hinrichtungsmorden des Dritten Reiches“, ob man hier einen alten deutschen Fehler wiederholt habe, „dass man immer von einem Extrem ins andere fällt“.

„Wandel in den Anschauungen der Öffentlichkeit“

Den zweiten Antrag stellte der Bamberger Abgeordnete Dr. Hermann Etzel (FU) vor. Die Föderalistische Union (FU) war eine Fraktion im ersten Deutschen Bundestag, die aus Abgeordneten von Bayernpartei und Zentrumspartei bestand. Etzel bezog sich auf eine bereits im Jahr 1950 gescheiterte Initiative, die Todesstrafe wieder einzuführen und begründete den erneuten Antrag auch mit dem Wandel „in den Anschauungen einer erschreckten Öffentlichkeit“, der durch sich „massenhaft häufende Morde und besondere Bestialität“ herbeigeführt worden sei.

Mit ihrem Antrag wollten die Abgeordneten, so Etzel, nur die Möglichkeit eröffnen, „die Todesstrafe bei den schwersten Gewaltverbrechen, denen des Mordes und des Menschenraubs, anzudrohen und auszusprechen.“ Er betonte ausdrücklich, dass lediglich Gewaltverbrechen, nicht aber Taten gegen „eine staatliche Grundordnung, gegen ein politisches System oder Regime“ mit dem Tode bestraft werden sollten.

„Todesstrafe als Abschreckung“

In der Aussprache beriefen sich die der Todesstrafe zustimmenden Bundestagsabgeordneten vor allem auf den Sühnegedanken sowie auf die Abschreckung der Todesstrafe. „Der Staat braucht die Todesstrafe als Abschreckung“, betonte der bayerische FU-Abgeordnete Franz Xaver Meitinger. „Eine noch so lange Zuchthausstrafe schreckt von neuen Verbrechen nicht ab, wohl aber die Todesstrafe.“.

Dr. Karl Weber (CSU/CSU) bekannte, dass es in seiner Fraktion keine einhellige und eindeutige Meinung zu dem zweiten Antrag gebe. „Einigkeit besteht allerdings bei uns darin, dass es nicht in Frage kommen kann, den Artikel 102 schlechthin aufzuheben.“ Eine andere Frage sei aber, so Weber, „ob nicht für gewisse rohe und abscheuliche Straftaten – so insbesondere Raubmord und Lustmord – die Todesstrafe angedroht werden sollte“. Dieser Fall würde von einer großen Zahl „meiner politischen Freunde“ bejahrt.

Auch in der FDP gingen die Meinungen auseinander. Der Abgeordnete Dr. Ludwig Schneider bekannte deutlich: „Ich selbst bin ein Anhänger der Wiedereinführung der Todesstrafe“. Er bezog sich als direkt gewählter Abgeordneter in seiner Argumentation auf den Willen seiner Gießener Wähler.

Dehler: Drei Thesen gegen die Todesstrafe

Die eindrucksvollste Rede gegen die Todesstrafe hielt rückblickend gesehen Dr. Thomas Dehler von der FDP. Er erntete mehrmals den zustimmenden Beifall der Sozialdemokraten, die normalerweise den Bundesjustizminister scharf kritisierten. Der FDP-Abgeordnete führte ausführlich alle Gründe und Erfahrungen an, die gegen die Todesstrafe sprechen. Er griff weit in die Geschichte zurück, sprach vom Mittelalter, öffentlichen Hinrichtungen, der Paulskirche sowie der Entwicklung nach 1933. „Sie wissen es ja alle“, wandte sich Dehler an die Abgeordneten. „In den Jahren 1933 bis 1945 sind in Deutschland rund 16.500 Todesurteile gefällt worden.“

Thomas Dehler (FDP)
Thomas Dehler (FDP)

(Bundespresseamt)

Ein weitverbreitetes Argument der Befürworter, die Menschen im Lande würden eine Einführung der Todesstrafe fordern, konterte Dehler: „Darf ich ein ketzerisches Wort sagen: Ich glaube, man verkennt das Wesen der Demokratie, wenn man glaubt, das Parlament sei der Exekutor der Volksüberzeugung. Ich meine, das Wesen der repräsentativen Demokratie ist ein anderes, es ist das der parlamentarischen Aristokratie. Die Parlamentarier haben die Pflicht und die Möglichkeit, aus einer größeren Einsicht, aus einem besseren Wissen zu handeln, als es der einzelne kann.“ Die Volksüberzeugung, so Dehler weiter, sei zu sehr abhängig von momentanen Stimmungen und Reizen. Zum Ende seines Debattenbeitrages stellte der FDP-Abgeordnete drei Thesen zur Diskussion auf:

  • „Die Abschreckung der Todesstrafe ist überaus zweifelhaft.“
  • „Der Sicherheitsgedanke kann nach meiner Meinung die Todesstrafe nicht rechtfertigen.“
  • „Die Gefahr von Justizirrtümern ist nicht auszuschließen.“

„Staat hat mit gutem Beispiel voranzugehen“

Der SPD-Abgeordnete Friedrich Wilhelm Wagner lobte ausdrücklich Dehlers Ausführungen: „Der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler hat heute eine ganz große Rede gehalten“, sagte er zu Beginn seines eigenen Debattenbeitrages. Er selbst ging unter anderem auf die Argumente des Vergeltungsgedankens sowie einer möglichen Abschreckung ein: „Ich frage die Anhänger der Todesstrafe eines: Hat es denn zu der Zeit, als die von ihnen so geliebte Todesstrafe noch Gesetz war, etwa in Deutschland keine Morde gegeben?“ Auch bezog er sich auf die Frage der Volksmeinung: „Der Staat hat mit gutem Beispiel und erzieherisch voranzugehen, wenn das Volk in seiner Masse folgen soll, nicht umgekehrt.“

Auch die SPD-Abgeordnete Emmy Meyer-Laule bezog sich auf die öffentliche Meinung. „Wir alle, die wir gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wissen um die Unpopularität unserer Einstellung.“  Wie andere Gegner der Todesstrafe, stellte sie zudem die Motive der Antragsteller in Frage und fragte, nach dem tieferen Grund der beiden Anträge.

Walter Fisch von der KPD griff die Deutsche Partei sogar direkt an, indem er sie als eine Partei bezeichnete, „die sich nicht scheut, ehemalige prominente Nazis an die Spitze ihrer Organisation zu stellen, die in Versammlungen den alten Nazistil wieder aufleben lässt und die Redner präsentiert, die sich mit Stolz auf ihre Vergangenheit in der glorreichen NSDAP berufen“. Er sah als „wahren Grund für die Wiedereinführung: Man will eine Anpassung, ja die Unterwerfung des Grundgesetzes unter die Wünsche fremder Militärs.“

Knappe Mehrheit gegen Ergänzung des Artikels 102 

Nach der Debatte wurde darüber abgestimmt, ob die Vorlagen an den Rechtsausschuss überwiesen werden sollten. Die Mehrheit der Abgeordneten war in beiden Fällen gegen eine Überweisung. Im Fall des Antrages, der eine Ergänzung des Grundgesetzartikels 102 vorsah, musste durch Hammelsprung entschieden werden. Das Ergebnis war knapp. 146 stimmten für eine Überweisung, 151 dagegen. Zwei Mitglieder des Hauses hatten sich enthalten.

Beide Anträge scheiterten erneut am Donnerstag, 30. Oktober 1952, in einer zweiter Beratung, die allerdings ohne Aussprache stattfand. Für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmten die DP, Teile der FDP, der FU und der CDU/CSU, während sich SPD und KP geschlossen dagegen aussprachen. Der Antrag der Deutschen Partei auf generelle Einführung der Todesstrafe wurde mit 216 gegen 103 bei 10 Enthaltungen und der Antrag der Föderalistischen Union, der die Einführung der Todesstrafe bei Mord und Menschenraub forderte, wurde mit 175 gegen 134 Stimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt. Damit waren diese Anträge endgültig erledigt. (ah)

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