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17.06.2020 Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit — Anhörung — hib 624/2020

Belastung durch hormonstörende Stoffe

Berlin: (hib/LBR) Die Belastung der menschlichen Gesundheit durch hormonstörende Chemikalien und der dadurch entstehende Handlungsbedarf wird von Experten sehr unterschiedlich eingeschätzt. Das zeigte sich bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit neun externen Sachverständigen über sogenannte endokrine Disruptoren.

Die Grünen hatten in einem Antrag (19/14831) einen nationalen Aktionsplan zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor hormonstörenden Chemikalien gefordert. Dieser solle darauf abzielen, die Belastung der Bevölkerung mit hormonstörenden Stoffen zu beenden, und Aufklärungskampagnen in mehreren Sprachen umfassen. Der Schutz der Bevölkerung solle auch dadurch verbessert werden, dass eine kontinuierlich aktualisierte Liste von identifizierten oder verdächtigen hormonstörenden Chemikalien „einfach zugänglich und verständlich verfügbar gemacht wird“, heißt es darin. Weiter fordern die Abgeordneten die Bundesregierung auf, Bisphenol A und per- und polyfluorierte Chemikalien in Lebensmittelbedarfsgegenständen zu verbieten und eine systematische Reduktionsstrategie für Pestizide und Biozide sowie ein Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden für die Privatanwendung zu erarbeiten und umzusetzen.

Philip Marx-Stölting vom Bundesamt für Risikobewertung (BfR) betonte, dass die Bewertung endokriner Disruptoren harmonisiert werden müsse. Das BfR unterstütze die EU-Kommission bei ihrem Vorgehen, zu einer regulationsübergreifenden Bewertung zu kommen. Diese solle dem Prinzip „Eine Substanz - Eine Bewertung“ entsprechen, sagte Marx-Stölting. Weiter müssten Risikofaktoren für Erkrankungen richtig eingeordnet werden. „Die gesundheitliche Risikobewertung von Chemikalien kann daher nicht auf endokrine Disruptoren reduziert werden“, sagte er. Er sprach sich weiter dafür aus, Gefährdungspotential und Exposition immer gemeinsam zu beurteilen.

Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) sagte, dass es auf der Ebene der Europäischen Union (EU) bereits sehr weitreichende Vorschriften für alle chemischen Stoffe gebe, die zu den „anspruchvollsten mit dem höchsten Schutzniveau weltweit“ zählten. Es gebe eine Reihe von Maßnahmen und der Prozess sei transparent gestaltet. Nationale Alleingänge führten zu Intransparenz und Verunsicherung, sagte Romanowski. Er plädierte weiter, im Rahmen der Risikobewertung stoffbezogene Schwellen- und Grenzwerte festzulegen unterhalb derer „keine schädliche Wirkung bei der Verwendung zu befürchten“ sei.

Daniel Dietrich (Universität Konstanz) sagte, die Begutachtung der einzelnen Gefährlichkeiten sei „das A und O um einzelne Bevölkerungsgruppen oder die Allgemeinheit zu schützen“. Der Antrag der Grünen stehe auf „wissenschaftlich schwachen Füßen“, da es keine Faktenlage gebe, die kausale Zusammenhänge der Erkrankung beim Menschen zeige. Der Antrag reguliere rein die Gefährlichkeit und nicht das Risiko. Nur ein europäisch harmonisierter Umgang könne zu einem tatsächlichen Schutz der Bevölkerung führen.

Dass es eine klare Gefährdung für die menschliche Gesundheit und auch die Umwelt durch hormonelle Stoffe gebe, betonte Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Diese bedrohten die Umwelt und die Biodiversität. Dies sei im Antrag nicht adressiert, sagte er. Insbesondere die Oberflächengewässer, in die Stoffe aus der Landwirtschaft und den Kläranlagen eintreten, müssten in den Blick genommen werden. Um die direkte Exposition von Tieren zu beenden, sollte nach dem Vorbild Frankreichs ein nationaler Aktionsplan sowie die Einführung einer vierten Klärstufe erfolgen, forderte Kloas.

Auch der Chemiker Klaus Günter Steinhäuser sah „dringenden Handlungsbedarf“ zur Verbesserung des Schutzes von Mensch und Umwelt. Es sei in den vergangenen 25 Jahren viel dazu gelernt worden, doch sei das Tempo der Regulierung schleppend. Den französischen Aktionsplan sehe er als bedeutsam, „damit Bürger mehr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates gewinnen“, sagte er. Steinhäuser verwies darauf, dass die Vielzahl der möglichen Wechselwirkungen auch zu einer Vielzahl an Wirkmechanismen führe. Er sprach sich dafür aus, auch Stoffe mit Verdacht auf eine hormonelle Wirkung und „wo wissenschaftlich vertretbar, auch ganze Stoffgruppen“ einzustufen.

Gunter Kuhnle (University of Reading) begrüßte die Intention des Antrags, verwies aber darauf, dass es zahlreiche andere Faktoren wie etwa die Ernährung und den Lebensstil gebe, die für eine höhere Inzidenz bei Krankheiten wie etwa Krebs hindeuteten. „Der Vorschlag, einen gefahrenbasierter Bewertungsansatz einem risikoorientierten Ansatz vorzuziehen, halte ich für nicht realistisch, da es ohne Exposition kein Risiko gibt“, sagte Kuhnle. Er verwies weiter auf die Stoffgruppe der Phytoöstrogene, die ähnlich wie endokrine Disruptoren die geschlechtliche Entwicklung beeinflussen könnten. Es sei wichtig, eine neue Risikobewertung insbesondere für das Kindesalter vorzunehmen.

Dass endokrin wirkende Schadstoffe das menschliche und tierische Hormonsystem direkt, aber auch über indirekte Effekte beeinträchtigen können, erklärte Gerrit Schüürmann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH Leipzig (UFZ). Dabei gelte es, Gemeinsamkeiten zu finden. Da es „relevante Kombinationswirkungen“ gebe, griffen einzelne Testsysteme oft zu kurz und auch indirekte Effekte müssten erforscht werden, sagte er. Schüürmann sprach sich für ein integriertes Test- und Bewertungssystem aus.

Manfred Santen (Greenpeace) plädierte dafür, nicht auf die EU zu warten, sondern dem Beispiel Frankreichs zu folgen und einen nationalen Aktionsplan zur Beendigung des Einsatzes solcher Chemikalien vorzulegen. Er verwies darauf, dass für die Bewertung von endokrinen Disruptoren in Lebensmitteln, Kosmetika und Verbrauchsgegenständen auch die Gefährdung von Menschen und Umwelt in Ländern des Globalen Südens berücksichtigt werden müsse. „Deponien und Produktionsstätten in diesen Ländern entsprechen oftmals nicht den Standards, die wir hier haben“, sagte Santen. Es ergebe zudem keinen Sinn, Einzelsubstanzen zu regulieren, vielmehr müsse das Risiko ganzer Stoffgruppen in den Fokus genommen werden.

Auch Andreas Kortenkamp (Brunel University London) sagte, dass Deutschland „erheblichen Nachholbedarf“ habe, was Aktionspläne und nationale Strategien angehe. Eine Störung der hormonellen Signalwege könne zu lang anhaltenden und irreversiblen Effekten etwa für die männliche Fruchtbarkeit und die Hirnentwicklung führen. „Bei Männern in Nordamerika, Europa und Australien hat die Spermienzahl in den letzten Jahrzehnten um circa 50 Prozent abgenommen und weltweit nimmt die Hodenkrebsinzidenz zu“, berichtete Kortenkamp. Nötig sei, das humane Biomonitoring auszuweiten, um Trends der aktuellen Chemikalienbelastung zu verfolgen.

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