Demokratie-Schnellkurs
Insgesamt 1.100 Schülerinnen und Schüler sind am Montag, 1. März 2010, zum Kindertag aus ganz Deutschland in den Bundestag gekommen. In 46 Schulklassen erkundeten die Sechs- bis Zwölfjährigen das Parlament. Anders als beim ersten Kindertag des Jahres am 11. Januar warteten diesmal Abgeordnete der am 27. Januar neu konstituierten Kinderkommission (KiKo) mit einem Novum auf die jungen Besucher: Erstmalig endeten die Führungen der Schulgruppen durch den Reichstag, die neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Besucherdienstes auch der SPD-Abgeordnete Swen Schulz eigens an seinem Geburtstag leitete, in den Räumen C 1 und C 2 auf der Besucherebene. Dort wechselten sich die KiKo-Mitglieder Diana Golze (Die Linke) und Marlene Rupprecht (SPD) ab und klärten die Kinder in einem Demokratie-Schnellkurs über ihre Rechte auf.
„Bei Gesetzen an die Kinder denken“
Hatten etwa die 25 Schülerinnen und Schüler aus der fünften Klasse der Berliner Comenius-Grundschule bei ihrem Rundgang noch über das Volumen des Reichstagsgebäudes, das 600 Einfamilienhäusern enstspricht, und über den 1.200 Quadratmeter großen Plenarsaal gestaunt, über den Beinamen „Fette Henne“ des zwei Tonnen schweren Bundesadlers gelacht oder die Installation der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer beäugt, bei der auf einer Stele digitale Leuchtschriftbänder mit Reden von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten aus der Zeit von 1871 bis 1992 von unten nach oben laufen, erfuhren sie von den KiKo-Abgeordneten Erstaunliches über ihre Rechte als Kinder.
Behutsam und in eingängigen Bildern erklärte etwa Marlene Rupprecht, die selbst 20 Jahre in Klassenzimmern gestanden und unterrichtet hatte, ihren jungen Zuhörern das Einmaleins des demokratischen Zusammenlebens - und welche Rolle darin auch die Kinder spielen: „Wir von der KiKo achten darauf, dass die Kollegen, die Gesetze machen, auch an die Kinder denken.“
„Wir nerven gerne“
Ziel der Kinder-Lobby ist auch die Industrie: So soll die Pharmabranche überzeugt werden, falls notwendig auch entgegen wirtschaftlichen Gesichtspunkten mehr Medikamente für Kleinstkinder zu produzieren. Das ist oft mühsam, doch für Rupprecht ohne Alternative: „Wir nerven gerne, damit es die Kinder in Deutschland gut haben.“
Dass sie sich mit ihren Anliegen an die Kommission wenden können, haben die meisten der anwesenden Schülergruppe gar nicht gewusst. Auch nicht, dass sie ein Recht auf Bildung sowie auf einen eigenen Namen haben - und seit 2001 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung: Eltern dürfen ihre Kinder nicht mehr schlagen.
Scheidemanns Balkon
Das hätte sich wohl auch Sozialdemokrat Philipp Scheidemann nicht träumen lassen, als er am 9. November 1918 die „Deutsche Republik“ ausrief. Der Balkon, auf dem er damals stand, ist ebenso fester Bestandteil des Rundgangs durch den Reichstag wie die Inschriften der sowjetischen Soldaten, das Tastmodell für blinde Menschen oder der Andachtsraum für die Abgeordneten.
Ein geschichtsträchtiger Rahmen für eine so moderne und neue Einrichtung, die die KiKo noch ist. Seit 1988 gibt es die Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder. Sie ist ein Unterausschuss des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie prüft, welche Auswirkungen Gesetze und Vorschriften für Kinder und Jugendliche haben und definiert die Rahmenbedingungen für das Leben der Kinder auf Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention. Die Kinderkommission besteht aus je einem Mitglied jeder Fraktion sowie einem Stellvertreter. Der Vorsitz wechselt turnusmäßig.