Von russischen Graffitis und Abgeordneten-Telefonen
Victor hatte wirklich viel zu tun. Der Siebtklässler vom katholischen Sophie-Barat-Gymnasium in Hamburg-Rothenbaum notierte, fragte und notierte wieder. Kommt ja schließlich auch nicht jeden Tag vor, dass man an einer Führung durch das Reichstagsgebäude teilnimmt. Die 12- bis 13-jährigen Gymnasiasten nutzten am Montag, 18. Februar 2013, die Chance, die der mehrmals im Jahr stattfindende Kindertag im Bundestag bietet. Rede und Antwort stand ihnen dabei Besucherführerin Mona Katzenberger, die dafür sorgte, dass sich Victors Schreibblock füllte. Wieder zurück in Hamburg will er dann auf der Internetseite seiner Schule von den Erfahrungen berichten.
Nicht gerade schmeichelhaft für die Deutschen
Dann kann er darüber schreiben, dass sich in den Gängen des Reichstagsgebäudes „russische Graffitis“ an den Wänden befinden. Geschrieben von Soldaten der Roten Armee, die 1945 Berlin eingenommen haben. Die kyrillischen Schriftzeichen sind aber erst nach dem Umbau des Gebäudes durch den britischen Star-Architekten Sir Norman Foster im Jahre 1995 zum Vorschein gekommen, erzählt die Besucherführerin.
Foster habe die seinerzeit unter einer Wandverkleidung verborgenen – zu Kriegsende mit verrußten Holzstücken durch die sowjetischen Soldaten an die Wände gemalten Zeichen – im Interesse der Authentizität als Bestandteil der Wandgestaltung haben wollen, sagt Mona Katzenberger. „Das hat unter den deutschen Abgeordneten teilweise für Empörung gesorgt“, erzählt sie. Schließlich seien die Nachrichten der siegreichen Soldaten nicht gerade schmeichelhaft für die Deutschen gewesen. Geeinigt habe man sich schließlich, „neutrale Sachen, wie Namen oder Herkunftsorte, zu erhalten“.
Anatols Enkelin
Dazu zählt auch die mit einem Herz untermalte Liebesbotschaft des Soldaten Anatol an seine Frau Galina. Während einer Führung durch eine Kollegin, so erzählt die Besucherführerin, habe sich eine Russin als Enkelin der beiden zu erkennen gegeben. „Wenn das der Wahrheit entspricht, ist es doch eine schöne Geschichte“, findet Mona Katzenberger und die Schüler nicken.
Unbedingt vorkommen wird in Victors Text für die Schul-Homepage auch der Abstecher auf die Besuchertribüne des Plenarsaals. Dort prasselten die Fragen auf die Besucherführerin nur so ein. Was es denn mit den Telefonen auf sich habe, wollten die Schüler wissen, und warum nicht alle Abgeordnete auch Tische vor den Stühlen haben. Die großen Bildschirme an den Wänden zogen ebenso großes Interesse auf sich wie die Frage nach der Redezeit.
Was passiert, wenn einer nicht aufhört?
Die Besucherführerin hatte auf alles eine Antwort. Mit den Telefonen könnten die Abgeordneten während der Debatte mit ihren Büros telefonieren, sagt sie und widerlegt den Eindruck, im Plenarsaal gebe es eine Dreiklassensitzordnung. Vielmehr seien die fehlenden Tische in den hinteren Reihen dem mangelnden Platz geschuldet. Zudem gebe es auch keine feste Platzordnung. Und außerdem seien ohnehin nicht immer alle Abgeordneten gleichzeitig im Saal.
Was die Redezeiten angeht, so würden diese entsprechend der Größe der Fraktionen aufgeteilt. „Und was passiert, wenn einer nicht aufhört?“, will Benjamin wissen. Die Möglichkeiten des Sitzungsleiters reichten dann von einer Ermahnung an den Redner bis zum Abschalten des Mikrofons. „Das kommt aber nicht oft vor“, schränkt sie ein.
„So emotional sind die Deutschen nicht“
Apropos Sitzungsleiter... Hier hat die Besucherführerin eine Frage an die Hamburger Gymnasiasten. „Wer sitzt denn ganz in der Mitte auf dem Stuhl mit der höheren Lehne“, will sie wissen. Nachdenkliches Schweigen folgt, ehe sich die ersten mit einer Prognose vorwagen. „Angela Merkel?“ Falsch. „Joachim Gauck?“ Auch nicht richtig.
Von Norbert Lammert, dem Bundestagspräsidenten, haben die Schüler noch nicht gehört. „Er und seine Vizepräsidenten leiten die Sitzungen des Bundestages“, erklärt die Expertin. Ob es bei diesen Sitzungen auch mal Streit gibt, will ein Schüler wissen. Ein anderer verweist auf Schlägereien, die es im ukrainischen Parlament schon gegeben habe. Streit ja, Schlägereien nein, sagt Katzenberger. „So emotional sind wir Deutschen dann doch nicht“, fügt sie hinzu.
Nächster Kindertag in vier Wochen
Für Hobbyjournalist Victor und seine Schulklasse ist die Informationsstunde dann zu Ende. Das Angebot, zum Abschluss noch die Kuppel zu besuchen, wird begeistert angenommen. Für die Hamburger stand danach noch ein Besuch des Holocaust-Mahnmals auf der Tagesordnung. Und wenn es die Zeit zulassen sollte, auch noch der Genuss einer echten Berliner Currywurst.
Wer mit seiner Schulklasse ebenfalls den Bundestag besuchen möchte, kann das am Montag, 18. März 2013, wieder tun. Dann ist erneut Kindertag im Bundestag. Anmeldungen sind noch über den Besucherdienst möglich. (hau/18.02.2013)