Transplantationsregister nachdrücklich befürwortet
Gesundheitsexperten befürworten nachdrücklich die Errichtung eines zentralen Transplantationsregisters, befürchten jedoch, das Projekt könnte durch eine lückenhafte Datenerfassung gefährdet werden. Auch der Bundesrat verweist auf diese Schwachstelle. Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/8209) zufolge dürfen die Daten der Organempfänger und der lebenden Organspender nur dann an das Zentralregister übermittelt und dort dauerhaft gespeichert werden, wenn Spender und Empfänger vorher eingewilligt haben. Sachverständige halten diese Regelung für verfehlt, wie am Mittwoch, 1. Juni 2016, eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) ergab und auch aus den schriftlichen Stellungnahmen der Experten deutlich wird.
,,Erste Ergebnisse des Registern in etwa zehn Jahren„
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) wies darauf hin, dass laut Transplantationsgesetz (TPG) die Spenderorgane nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht vergeben werden. Mangels valider Daten könnten jedoch die meisten Organe bisher nur nach Dringlichkeit vermittelt werden.
Die geplante Regelung, wonach die Patienten einer Datenerfassung zustimmen müssen, wirke sich negativ aus. Eine verpflichtende Datenerhebung oder eine Widerspruchslösung wären sachgerechter. Die Bundesregierung wolle auch nicht auf die in der Vergangenheit erhobenen Daten zurückgreifen. Damit seien erste Ergebnisse des Registers erst in etwa zehn Jahren zu erwarten.
,,Auf die Einwilligungslösung verzichten“
Auch das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA) plädierte für eine verpflichtende Datenübermittlung. Selbst wenn Patienten über die Bedeutung und Tragweite der Einwilligung aufgeklärt würden, könnten sie sich dem Entwurf zufolge für die Transplantation und gegen die Datenübermittlung entscheiden. Ebenso denkbar wäre, dass ein Patient nach einer Transplantation seine Einwilligung zur Datenübermittlung wieder zurückziehe. Wegen der geringen Fallzahlen könnten schon wenige fehlende Daten die Ergebnisse beeinflussen.
Nach Ansicht des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist aufgrund der zu erwartenden Datenlücken ,,nicht damit zu rechnen, dass das Transplantationsregister einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Qualitätssicherung leisten kann„. Es sollten daher Möglichkeiten zur Nutzung vorhandener Daten geschaffen und auf die Einwilligungslösung verzichtet werden, zumal nur pseudonymisierte Daten verwendet würden. Ein Sprecher des Spitzenverbandes merkte in der Anhörung an, im Steuerrecht wäre eine Einwilligungslösung gleichzusetzen mit dem sofortigen Staatsbankrott.
,,Moralische Verpflichtung gegenüber Organspendern“
Ähnlich argumentierte die Stiftung Eurotransplant, die Spenderorgane in mehreren europäischen Ländern vermittelt. Nach Ansicht der Stiftung besteht ,,eine moralische Verpflichtung„ gegenüber Organspendern, dass die Organempfänger einverstanden sein müssen, ihre Daten (und die Daten des Spenderorgans) zur Verfügung zu stellen, um die Zuteilung weiterentwickeln zu können.
Ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) erinnerte in der Anhörung an die rund 100.000 Dialysepatienten in Deutschland, von denen viele auf eine neue Spenderniere warten. Es gebe nicht nur einen großen Organmangel, sondern auch einen Mangel an spezifischen Daten, eine ,,große Systemlücke“. Es sei daher sinnvoll, Transplantationsregister und Dialyseregister zu verknüpfen und damit auch Altdaten gezielt auszuwerten.
,,Bei der Einwilligungsregelung bleiben„
Ein Sprecher der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) schilderte die Dramatik aus seiner Sicht und ergänzte, die Organvermittlung ähnele der Aufgabe des Kapitäns auf der Titanic, der entscheiden müsse, wer noch einen Platz im Rettungsboot bekomme.
Die Stiftung Datenschutz plädierte dafür, bei der Einwilligungsregelung zu bleiben. Zwar könnte das Ziel einer kompletten Erfassung aller potenziellen Spender und Empfänger in Gefahr geraten, wenn viele Betroffene ihre Einwilligung nicht gäben. Damit sei nach dem verpflichtenden Aufklärungsgespräch aber nicht zu rechnen, zumal die Einwilligung ja ,,für eine gute Sache“ gegeben werde, wie ein Sprecher in der Anhörung betonte.
,,Höchstmögliche Datenqualität unabdingbar„
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die Errichtung eines zentralen Registers für sinnvoll, forderte jedoch eine grundlegende Überarbeitung des Transplantationsgesetzes. So müssten die Verteilungskriterien gesetzlich konkreter gefasst und so demokratisch legitimiert werden. Die Verantwortung für das Transplantationssystem müsse an eine staatliche Institution übertragen und dürfe nicht erneut der Selbstverwaltung überlassen werden.
Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte hingegen, dass an die Selbstverwaltungslösung angeknüpft werde. Ferner sei die ,,höchstmögliche Datenqualität“ unabdingbar, weil nur so Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen sei. Die verfügbaren Daten müssten ,,vollständig, korrekt und plausibel„ sein.
Mehr als 10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan
Derzeit werden die Daten zur Transplantationsmedizin dezentral gespeichert. Während des Verfahrens werden nach unterschiedlichen Vorgaben Daten zum Organspender, zum Spenderorgan, zum Organempfänger, zum Vermittlungsverfahren sowie zur Transplantation, Behandlung und Nachsorge des Empfängers und des lebenden Spenders gespeichert.
Mit dem neuen Gesetz sollen die Daten an einer Stelle zusammengeführt und überprüft werden. Derzeit warten mehr als 10.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Nach Skandalen mit manipulierten Wartelisten an einigen deutschen Kliniken soll auch das Vertrauen in die Organspende wieder gestärkt werden. (pk/01.06.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände:
- AOK-Bundesverband
- AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)
- BKK Dachverband e. V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW)
- Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS)
- Bundesärztekammer (BÄK)
- Bundesverband der Organtransplantierten e. V. (BDO)
- Bundesverband Niere e. V.
- Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa)
- Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Das zweite Leben – Nierenlebendspende
- Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)
- Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
- Deutsche Leberhilfe e. V.
- Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO)
- Deutsche Stiftung Patientenschutz
- Deutsche Transplantationsgesellschaft e. V. (DTG)
- Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.
- Eurotransplant International Foundation
- Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
- Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
- IKK e. V. - Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V.
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) L
- Lebertransplantierte Deutschland e. V.
- Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS)
- Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD)
- Stiftung Lebendspende
- Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF)
- Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)
- Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV
- Verband der Universitätsklinika Deutschlands e. V. (VUD)
- Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e. V. (VDAB)
- Verband Organtransplantierter Deutschlands e. V. (VOD)
Einzelsachverständige:
- Dr. Axel Rahmel
- Frederick Richter
- Dr. Undine Samuel
- N. N.
- N. N.
- N. N.
- N. N.