Lammert erinnert an den ungarischen Volksaufstand vor 60 Jahren
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 10. November 2016, an den ungarischen Volksaufstand vor 60 Jahren erinnert. Die Ergänzung der heutigen Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte zur Situation in der Türkei gebe Anlass zu einem Hinweis auf dieses historische Ereignis, sagte Lammert.
„Bleibende Mahnung“
Vor genau 60 Jahren habe es in Budapest und anderen ungarischen Städten letzte Gefechte eines Volksaufstands gegeben, bei dem Bürger für Meinungs- und Pressefreiheit, für ein Mehrparteiensystem und für freie Wahlen kämpften, sagte Lammert. Die kommunistische Führung in Moskau habe im November 1956 das protestierende Volk durch Panzer brutal niederschlagen lassen. Daran zu erinnern, sei nicht nur von historischem Interesse, sondern von aktueller politischer Bedeutung.
Die Tausende Opfer des Ungarn-Aufstand sind nach den Worten Lammerts „bleibende Mahnung an alle, die im vereinten Europa heute in Freiheit leben, diese Freiheit nicht für eine Selbstverständlichkeit zu halten. Und sie verpflichten uns, denen beizustehen, für die staatliche Willkür noch immer oder wieder alltägliche Erfahrung ist.“
„Wir appellieren an das türkische Parlament“
„Deshalb schweigen wir nicht“, sagte der Bundestagspräsident, „wenn in der Türkei, die zu unseren Partnern zählt, Mitglied der Nato und des Europarates ist und Teil unserer Wertegemeinschaft werden will, die staatliche Rechtsordnung gebeugt und fortgesetzt Grundrechte mit Füßen getreten werden.“ Während 1956 in Ungarn die Armee einen Aufstand des Volkes blutig niedergeschlagen habe, sei in diesem Sommer in der Türkei ein Putsch des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung gescheitert – „am couragierten Widerstand der Bevölkerung, die seitdem erleben muss, wie die eigene Regierung mit Zensur, Massenentlassungen und Verhaftungen offensichtlich systematisch gegen jede Form politischer Opposition vorgeht“, fuhr Lammert fort.
„Wir verurteilen jedes Vorgehen, das die Beseitigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorantreibt, wir erklären unsere Solidarität mit allen aus politischen Gründen verhafteten Parlamentariern, Journalisten, Wissenschaftlern und Beamten und wir appellieren an das türkische Parlament, seine Verantwortung als Volksvertretung wahrzunehmen, damit die Türkei auf den Weg zu den demokratischen Standards zurückfindet, zu denen sie sich als Mitglied des Europarats ausdrücklich verpflichtet hat“, sagte Lammert.
„Ihnen gehört unsere Solidarität und Unterstützung“
Von bemerkenswerter Aktualität sei auch, dass der Ungarn-Aufstand 1956 die erste große Flüchtlingswelle in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg auslöste. Schätzungen zufolge sei damals 200.000 Ungarn die Flucht gelungen, das seien mehr als zwei Prozent der Bevölkerung gewesen. Sie hätten in europäischen und westlichen Gesellschaften die „echte Solidarität der freien Menschen“ erlebt, wie Konrad Adenauer in einer Sondersitzung vor dem Bundestag formuliert habe – „uns woran es gelegentlich in Europa, auch in Ungarn, zu erinnern gilt“, wie der Bundestagspräsident hinzufügte.
Damals hätten die Bundesbürger, von denen in ungleich schwierigerer Lage als gegenwärtig Tausende vorgelebt hätten, „was wir heute Willkommenskultur nennen“, erste Erfahrungen mit der massenhaften Anwendung des Rechts auf politisches Asyl gemacht. Dieses elementare Grundrecht gelte auch heute ausnahmslos für alle, die staatlicher Repression ausgesetzt sind, „wo auch immer“. Ihnen gehöre „unsere Solidarität und Unterstützung“, betonte Lammert. (vom/10.11.2016)