Parlament

Abgeordnete führen Orientierungs­debatte zur Organspende

Angesichts der seit Jahren viel zu niedrigen Organspenderzahlen haben die Abgeordneten des Bundestages über mögliche gesetzliche Änderungen beraten. In einer zweieinhalbstündigen ergebnisoffenen Orientierungsdebatte ging es am Mittwoch, 28. November 2018, im Bundestag um die Frage, wie in der Bevölkerung mehr Menschen dazu gebracht werden können, sich nach ihrem Tod als Organspender zur Verfügung zu stellen und damit Leben zu retten. In der Debatte sollten 38 Abgeordnete für jeweils vier Minuten zu Wort kommen, wobei der Fraktionszwang diesmal aufgehoben war. Noch liegen keine Gesetzentwürfe oder Gruppenanträge offiziell vor. Eine Entscheidung in der Sache wird im kommenden Jahr erwartet.

10.000 Patienten warten auf ein Spenderorgan

In Deutschland warten derzeit mehr als 10.000 Patienten auf ein Spenderorgan, darunter allein rund 8.000 Dialysepatienten auf eine Niere. 2017 wurden in Deutschland 3.385 Organe transplantiert, 618 nach einer Lebendspende, die übrigen postmortal. Transplantiert werden können Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Für Gewebespenden eignen sich ferner die Augenhornhaut, Knochen, Weichteilgewebe, Haut, die Eihaut der Fruchtblase (Amnion), Herzklappen und Blutgefäße.

Der Organspendenausweis dient dazu, die eigene Entscheidung bezüglich Organspenden rechtsverbindlich zu dokumentieren. Inhaber können darin einer Organentnahme oder der Entnahme bestimmter Organe nach dem Tod zustimmen oder auch einer Entnahme widersprechen. Zudem können Ausweisinhaber festlegen, dass eine andere Person die Entscheidung trifft.

Organspende international unterschiedlich geregelt

Die Organspende ist international unterschiedlich geregelt. In Deutschland gilt seit 2012 die sogenannte Entscheidungslösung. Ohne Zustimmung der betreffenden Person zu Lebzeiten ist eine Organentnahme nicht zulässig. Zugleich werden die Versicherten regelmäßig von den Krankenkassen über die Möglichkeit einer postmortalen Organspende informiert und mit Organspendenausweisen versorgt.

In zahlreichen anderen europäischen Ländern gilt die sogenannte Widerspruchslösung. Wer nicht will, dass nach seinem Tod Organe entnommen werden, muss dies zu Lebzeiten dokumentieren. Andernfalls können Organe entnommen werden. In einigen Ländern ist hier auch noch ein Einspruchsrecht der Angehörigen vorgesehen, falls die betreffende Person zu Lebzeiten keine Entscheidung dokumentiert hat. Die Bundesregierung will nun zunächst mit veränderten Abläufen in Krankenhäusern die Organspendenpraxis effektiver gestalten. Dies soll dazu beitragen, dass potenzielle Organspender besser erkannt werden. Dazu wird vor allem die Rolle des Transplantationsbeauftragten in Kliniken gestärkt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt sich wie andere Gesundheitspolitiker außerdem für die Widerspruchslösung ein.

Maag: Kliniken fehlt es an Zeit und Geld

In der Debatte deuteten sich mehrere Lösungswege an. Karin Maag (CDU/CSU) sagte, die Zahl der Menschen mit Organspendenausweis sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Zudem stünden 80 Prozent der Bevölkerung der Organspende positiv gegenüber. Die mangelnde Spendenbereitschaft sei somit nicht das Problem. Vielmehr fehle es in Kliniken an Zeit und Geld, um potenzielle Organspender zu identifizieren. Daher müssten zunächst die Strukturen verbessert werden, um die Kliniken fit zu machen für die Aufgabe. Die Bürger sollten verstärkt zur Spendenbereitschaft ermuntert werden. Dazu seien regelmäßige Informationen wichtig. Die Organspendenmedizin müsse überdies Thema in der ärztlichen Ausbildung sein.

Maag betonte, die Organspende sei eine bewusste und freiwillige Entscheidung, die weder erzwungen noch von der Gesellschaft erwartet werden dürfe. Hingegen führe die Widerspruchslösung in die falsche Richtung. Sie sei mit dem Selbstbestimmungsrecht unvereinbar. Daher sollte an der nötigen Zustimmung festgehalten werden.

Gehrke sieht Mängel in der Organisation und Betreuung

Axel Gehrke (AfD) erinnerte daran, wie großartig die Möglichkeiten in der modernen Transplantationsmedizin sind. Die Erfolge dieser Fachrichtung seien die helle Seite, eine dunkle Seite gebe es auch. Die Organentnahme sei eine Grauzone, sie passiere im Sterben. Es sei eine bewundernswerte Haltung, wenn Menschen sich bereit erklärten, ihre Organe zu spenden. Es sei aber fraglich, ob dies im Falle einer Widerspruchslösung so bliebe.

Er fügte hinzu, es seien vor allem Mängel in der Organisation und Betreuung, die dazu führten, dass es zu wenig Spender gebe. Die Widerspruchslösung sei „voller Baustellen“ und werde sich auch vom Verdacht des Begehrens Dritter nicht lösen können.

Lauterbach bringt Widerspruchslösung ein

Für die erweiterte Widerspruchslösung plädierte Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), der darauf hinwies, dass auch viele Kinder auf ein rettendes Organ warteten. Er habe Erfahrungen gemacht mit Dialyse-Patienten, die wüssten, dass sie auf der Warteliste sterben könnten und durch die Dialyse zusätzlich gesundheitliche Risiken eingingen. Es gehe also auch darum, Leid zu lindern. Die Widerspruchslösung gelte in den meisten europäischen Ländern, einige Länder kämen auf erheblich mehr Organspender als Deutschland. 

Organisatorische Verbesserungen allein könnten nicht helfen. Es werde auch niemand zur Organspende gezwungen, vielmehr gehe es nur darum, dass jeder sich damit einmal befasse. Das sei auch ein Element der Selbstbestimmung. Wer nicht selbst spenden wolle, könne weiter Empfänger sein und habe keine Nachteile zu befürchten. Zudem sehe das Konzept vor, dass die Angehörigen gefragt würden, falls der potenzielle Organspender zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen habe. Dies sei ein „Sicherheitsnetz“, das vor Fehlern und Missbrauch schütze.

Spahn: Jeder kann in diese Situation kommen

Minister Spahn mahnte, jeder könne einmal in die Situation kommen, ein Spenderorgan zu brauchen. Ihn selbst treibe das Thema um als Minister und als Mensch, der Kontakt habe zu Patienten, die auf ein Organ warteten oder ein Organ geschenkt bekommen hätten. Die schon seit einiger Zeit laufende sachliche Debatte über Organspenden habe bereits eine höhere Spendenbereitschaft bewirkt. 

Spahn warb für die erweiterte Widerspruchslösung. Dabei könne jeder Mensch widersprechen, auch die Angehörigen noch. Dies sei zumutbar in einem Land, in dem so viele Menschen auf ein Organ warteten. Eine Organabgabepflicht werde es nicht geben, dies dürfe auch nicht so dargestellt werden.

Aschenberg-Dugnus setzt auf Selbstbestimmung

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) sprach sich vehement gegen die Widerspruchslösung aus, weil diese das Selbstbestimmungsrecht der Bürger missachte. Ein unterlassener Widerspruch könne nicht als Zustimmung gewertet werden. Dies würde den Grundsatz aushebeln, wonach jeder medizinischen Behandlung zugestimmt werden müsse.

Sie argumentierte, für den Datenschutz gebe es penible Pflichten, und ausgerechnet für die Organspende solle das nicht gelten. Das sei absurd. Es sei Ausdruck des Respektes vor der individuellen Entscheidung der Bürger, eine ausdrückliche Zustimmung vorauszusetzen. Daher sollte die Entscheidungslösung verbindlicher ausgestaltet werden, etwa beim Ausstellen von Dokumenten. Eine verpflichtende Entscheidungslösung wäre ein maßvoller Kompromiss.

Baerbock sieht Handlungsbedarf

Die Abgeordnete Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) betonte wie auch andere Redner, angesichts der Spenderzahlen bestehe Handlungsbedarf. Es müsse eine Lösung für das Problem gefunden werden, dass viele Menschen spenden wollten, aber nur wenige die Entscheidung bewusst getroffen und dokumentiert hätten. Sie fügte hinzu, es gebe eine historische und ethische Verantwortung mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht. Verbesserungen in den Krankenhäusern seien richtig, dies werde die Lücke aber nicht schließen. 

Die Widerspruchslösung könnte die eigentlich vorhandene Spendenbereitschaft zerstören, wenn Menschen gezwungen würden, aktiv nein zu sagen. Zustimmung sei besser als Widerspruch. Sie plädiere für eine verbindliche Abfrage der Spendenbereitschaft, etwa, wenn ein Personalausweis beantragt werde. Wenn die Leute den Ausweis dann abholten, könnten sie die Entscheidung dokumentieren oder mehr Zeit einfordern.

Kipping will wiederkehrende Abfrage

Katja Kipping (Die Linke) sagte, es sei gut, dass in der Debatte auch nachdenkliche Stimmen zu Wort kämen, es gehe schließlich auch um ethische Fragen und staatliche Zugriffsrechte. Sie selbst habe einen Organspendenausweis und finde es tröstlich, helfen zu können. 

Eine informierte Einwilligung würde durch die Widerspruchslösung jedoch durchbrochen. Sie schließe sich daher dem Modell der verbindlichen wiederkehrenden Abfrage an.

Podolay setzt Einwilligung voraus

Paul Viktor Podolay (AfD) erinnerte an die schwierigen Anfänge der Transplantationsmedizin und die damit verbundenen Zweifel. Er habe selbst eine der ersten Herz-Transplantationen in den 1960er-Jahren erlebt. Inzwischen sei aus dem medizinischen Neuland ein riesiger Wirtschaftszweig geworden. 

Er appellierte an die Bevölkerung, sich gesund zu ernähren. Insbesondere Kinder sollten zu einer gesunden Lebensweise ermuntert werden. Seiner Ansicht nach wäre es nicht legitim, ohne eine Einwilligung Organe zu entnehmen. Das wäre eine staatliche Grenzüberschreitung. Jeder Mensch müsse das selbst entscheiden.

Griese: Spendencharakter nicht gefährden

Auch Kerstin Griese (SPD) warb dafür, den Spendencharakter nicht zu gefährden. Eine Organspende könne nicht vom Gesetzgeber verordnet werden. Das wäre dann keine Spende mehr, sondern eine Abgabe. Die Organspende sei aber ein Geschenk. Der Gesetzgeber dürfe jedoch zu einer Entscheidung auffordern. Sie sei daher für eine verpflichtende Entscheidungslösung. 

Sie selbst habe einen Organspendenausweis ausgefüllt, weil sie von der Organspende des damaligen SPD-Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier (SPD) an seine Frau so beeindruckt gewesen sei. Steinmeier hatte seiner Frau eine Niere gespendet. Man müsse sich aber auch eingestehen dürfen, dass eine Entscheidung noch nicht möglich sei.

Helling-Plahr ist für verpflichtende Entscheidungslösung

Katrin Helling-Plahr (FDP) betonte, die Politik sei gefordert, sich der Herausforderung zu stellen. Die Widerspruchslösung wäre an sich gut vertretbar, aber ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Daher sollte der mildere Weg gegangen werden mit der verpflichtenden Entscheidungslösung. 

Es sei den Bürgern zuzumuten, eine Erklärung zur Organspende abzugeben, zumal diese Entscheidung Leben retten könne. Überdies müssten in einem zentralen Organspendenregister alle Entscheidungen dokumentiert werden. Dies sei „die beste vertrauensbildende Maßnahme“. Organspendenausweise könnten ja auch verloren gehen.

Sitte: Widerspruchslösung bevormundet nicht

Aus Sicht der Patienten argumentierte Dr. Petra Sitte (Die Linke). Die Menschen, die auf ein Organ warteten, führten ein eingeschränktes Leben. Es sei deswegen verantwortbar und keine Zumutung, den Widerspruch dokumentieren zu müssen. 

Die Zumutung sehe sie eher bei den Wartenden. Bei einer Entscheidungslösung seien die Chancen auf Erfolg geringer. Die Widerspruchslösung sei aus ihrer Sicht keine Bevormundung.

Kappert-Gonther: Gute Organisation ist Schlüssel zum Erfolg

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) berichtete, dass sie als Jugendliche erlebt habe, wie ein Kind bei einem Unfall gestorben sei und die Eltern entscheiden sollten, ob die Organe gespendet werden könnten. Sie trage ihren Organspendenausweis nun schon seit Jahrzehnten und habe gelernt, dass auch alte Leute noch mit ihren Organen Leben retten könnten. Das Thema gehe also alle an. Viele Menschen wollten damit nicht konfrontiert werden, weil es letztlich um die Beschäftigung mit dem eigenen Tod gehe. Es gehe aber eben auch um das Leben. 

Sie fügte hinzu, in Spanien sei die gute Organisation der Schlüssel zum Erfolg und zur Verankerung in der medizinischen Ausbildung. Faktisch werde dort die Zustimmungslösung praktiziert. Sie betonte, es müsse „moralisch gleichwertig“ sein, ob jemand sich für oder gegen eine Organspende entscheide. Und jeder Bürger müsse seine Entscheidung jederzeit ändern können. Zu einer freien und selbstbestimmten Entscheidung gehöre auch das Recht, nicht zu entscheiden.

Gröhe: Organspende setzt Freiwilligkeit voraus

Der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU/CSU) sagte, wer schon einmal mit Menschen gesprochen habe, die auf ein Organ warteten, werde die Hoffnung, die Verzweiflung und das Warten auf den erlösenden Anruf nie vergessen. 

Seiner Ansicht nach würde mit der Widerspruchslösung keine Verbesserung erreicht. Sie widerspreche der Medizinethik und der Patientenrechte. Eine Organspende sei ein Geschenk aus Liebe zum Leben, das setze Freiwilligkeit voraus, dabei sollte es bleiben. (pk/28.11.2018)

Marginalspalte