Bundestag beschließt Einführung des Betreuungsgeldes
Der Bundestag hat die Einführung des Betreuungsgeldes zum 1. August 2013 beschlossen. Den leicht geänderten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP (17/9917, 17/11404) nahm das Parlament am Freitag, 9. November 2012, in namentlicher Abstimmung an. 310 Parlamentarier stimmten für die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (17/11404), 282 votierten dagegen und zwei enthielten sich der Stimme. Abgelehnt wurden hingegen die Anträge der SPD (17/9572), der Linksfraktion (17/9582) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/9165), die den Verzicht auf das Betreuungsgeld und statt dessen den weiteren Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung forderten.
SPD kündigt Abschaffung nach Wahlsieg an
In der höchst emotionalen abschließenden Lesung des Gesetzes prallten die unterschiedlichen Auffassungen der Koalition und der Opposition erneut frontal aufeinander. Mit der Gesetzesverabschiedung endet vorerst ein jahrelanger Streit um die familienpolitische Leistung. SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen drohten in der Debatte allerdings, gegen die Einführung des Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen.
Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kündigte zudem an, das Betreuungsgeld im Fall eines Wahlsieges von Sozialdemokraten und Grünen bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr wieder abzuschaffen.
100 Euro monatlich ab 1. August 2013
Nach dem Gesetz sollen Eltern, die ihre ein- und zweijährigen Kinder nicht in einer staatlich geförderten Betreuungseinrichtung betreuen lassen, die Leistung erhalten. Im kommenden Jahr soll das Betreuungsgeld 100 pro Monat betragen, aber August 2014 dann 150 Euro. Der gleichzeitige Bezug von Betreuungs- und Elterngeld ist ausgeschlossen. Das Betreuungsgeld kann somit ab dem 15. Lebensmonat des Kindes 22 Monate lang bezogen werden. Es wird auf das Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und den Kinderzuschlag angerechnet.
Der Bundestag beriet gleichzeitig über das von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Betreuungsgeldergänzungsgesetzes (17/11315). Dieses sieht eine Alternative zur Barauszahlung des Betreuungsgeldes vor, wenn es für die Altersvorsorge oder für ein sogenanntes Bildungssparen eingesetzt wird. So soll das Betreuungsgeld um monatlich 15 Euro aufgestockt werden, wenn die Bezieher es für die private Altersvorsorge oder für die spätere Ausbildung ihres Kindes ansparen.
CDU/CSU: Wunderbares Gesamtpaket
Für die Unionsfraktion verteidigten die CSU-Familienpolitikerin Dorothee Bär und der CDU-Familienpolitiker Markus Grübel das Betreuungsgeld vehement. Mit der Einführung würde für Eltern die Wahlfreiheit geschaffen, wie und wo sie ihre Kleinkinder betreuen beziehungsweise betreuen lassen. Diese Entscheidung müsse ausschließlich bei den Eltern liegen. Nicht alle Kinder seien gleich, deshalb könne es auch keine einheitliche Betreuung geben.
Den Oppositionsfraktionen warfen Bär und Grübel vor, die Eltern zu diskreditieren und zu bevormunden. Zusammen mit dem Ausbau der Kitaplätze bilde das Betreuungsgeld ein „wunderbares Gesamtpaket“, argumentierte Bär. Gerade das geplante Bildungssparen müsse es der Opposition ebenfalls ermöglichen, dem Betreuungsgeld zuzustimmen.
FDP: Betreuungsgeld mit Bildungsstempel
Für die FDP-Fraktion stellte sich der Bildungspolitiker Patrick Meinhardt demonstrativ hinter das Betreuungsgeld. Der FDP sei es in harten Verhandlungen gelungen, dem Betreuungsgeld einen „Bildungsstempel“ aufzudrücken. Das Bildungssparen könne auch von Arbeitslosengeld-II-Beziehern im Interesse ihrer Kinder in Anspruch genommen werden.
Die FDP hatte das Betreuungsgeld lange Zeit mehrheitlich abgelehnt. Die Ablehnung der SPD bezeichnete Meinhardt als doppelzüngig und heuchlerisch. Schließlich hätten die Sozialdemokraten in der Großen Koalition zusammen mit der Union die Einführung eines Betreuungsgeldes ab 2013 beschlossen.
Linke: Ergebnis eines Kuhhandels
SPD, Linke und Grüne erneuerten hingegen ihre scharfe Kritik am Betreuungsgeld. Steinbrück bezeichnete es als „schwachsinnig“. Damit werde eine überholtes Rollenbild verfestigt. Frauen würden damit vom Erwerbsleben ferngehalten und gerade Kindern aus sozial schwachen und bildungsfernen Bevölkerungsgruppen ein früherer Zugang zur Bildung verwehrt. Zudem fehle jede Gegenfinanzierung. Mit Blick auf die Kritiker des Betreuungsgeldes in den Koalitionsfraktionen kritisierte Steinbrück, dass das Gesetz nun unter „Disziplinierung und Selbstverleugnung“ durchgebracht werde.
Die kinderpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Diana Golze, ist das Betreuungsgeld das „Ergebnis eines Kuhhandels“ zwischen den Koalitionsfraktionen, der zulasten der Kinder, Familien und Frauen gehe. Solange in Deutschland noch 220.000 Betreuungsplätze fehlten, könne von Wahlfreiheit auch keine Rede sein.
Grüne: Kinderfeindlich, frauenfeindlich, familienfeindlich
Auch Jürgen Trittin, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete das Betreuungsgeld als „kinderfeindlich, frauenfeindlich und familienfeindlich“. Zudem sei es „wirtschaftsfeindlich“.
Für diesen „teuren Irrweg“, der jährlich mit mindestens 1,2 Milliarden Euro zu Buche schlage, müssten jetzt alle zahlen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) predige in Europa Sparsamkeit und werfe selbst das Geld zum Fenster heraus. (aw/09.11.2012)