Beitragsfinanzierung im Gesundheitswesen strittig
Die steigenden Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der eingefrorene Arbeitgeberanteil sorgen weiter für Streit zwischen Regierung und Opposition. Bei der ersten Beratung über den Gesundheitsetat für das Jahr 2017 (18/9200, Einzelplan 15) verteidigte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) am Donnerstag, 8. September 2016, im Bundestag seine Reformpolitik und versicherte, mit den gesetzlichen Änderungen würden immer Qualität sowie nachhaltige Finanzierbarkeit verbunden.
Die Opposition kritisierte hingegen, dass die zusätzlichen Gesundheitskosten allein von den Arbeitnehmern getragen würden, während der Arbeitgeberbeitrag bei 7,3 Prozent festgeschrieben sei. Grüne und Linke forderten die Rückkehr zu einer echten paritätischen Finanzierung im Gesundheitssystem und erhielten dabei auch Unterstützung von der SPD.
Minister: Weniger Bürokratie und ein echter Pflege-TÜV
Gröhe erinnerte vor allem an die große Pflegereform, mit der ab 2017 insgesamt fünf Milliarden Euro pro Jahr mehr für Pflegeleistungen zur Verfügung stünden. So erhielten nun endlich auch Menschen mit demenziellen Erkrankungen einen gleichberechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung. Weniger Bürokratie und ein neuer, echter Pflege-TÜV kämen als Fortschritte hinzu.
Dieser „Kraftakt“ mache auch deutlich, dass Gesundheitspolitik für die Menschen in Deutschland gemacht werde und Befürchtungen, in der Flüchtlingskrise kämen die Einheimischen zu kurz, unberechtigt seien. Er forderte zugleich, die Flüchtlinge möglichst schnell auch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, denn eine gescheiterte Integration koste Geld.
„Kein Grund für Alarmismus“
Der Minister hob die derzeit günstige Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen hervor, die im ersten Halbjahr 2016 einen Überschuss von rund 600 Millionen Euro erwirtschaftet hätten. Es gebe also gar keinen Grund für Alarmismus, Panikmache oder einen vorzeitigen Wahlkampf, sagte er in Anspielung auf Berichte, wonach die Zusatzbeiträge der Kassen in den nächsten Jahren drastisch steigen könnten.
Gröhe stellte neue Projekte in Aussicht, wie etwa eine Reform der Heil- und Hilfsmittelversorgung, um den Patienten dringend benötigte Hilfen in hoher Qualität zu gewähren. Es sei beschämend, wenn Patienten derzeit etwa untaugliche Inkontinenzmittel erhielten. Ferner werde es in naher Zukunft darum gehen, die hohen Preise für bestimmte Arzneimittel in der Tumorbehandlung zu begrenzen. Nötig sei eine weiter wirksame Preisbremse bei Arzneimitteln insgesamt.
Linke: Berechtigte Sorgen vor steigenden Zusatzbeiträgen
Die Opposition warf dem Minister vor, sich zwar um Reformen, aber nicht um die langfristige Finanzierung des Gesundheitssystems zu kümmern. Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) betonte, die Sorgen der Menschen vor steigenden Zusatzbeiträgen seien mehr als berechtigt. Sie kritisierte auch die Entscheidung der Koalition, im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zusätzlich an die Kassen auszuschütten mit der Begründung, Kosten im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise sowie die Telematik im Gesundheitswesen zu finanzieren.
In Wirklichkeit gehe es darum, Beitragssteigerungen im Bundestagswahljahr 2017 zu verhindern. In dem Zusammenhang rügte sie, dass der Bundeszuschuss für Hartz-IV-Empfänger nicht kostendeckend sei. So würden derzeit monatlich rund 90 Euro für Gesundheit angesetzt, der Bedarf liege bei 245 Euro im Monat. Lötzsch forderte eine „Gerechtigkeitsoffensive“ und die Einführung der sozialen Bürgerversicherung.
Grüne: Schäbiges Wahlkampfmanöver
Kritik an der mit der Flüchtlingskrise begründeten zusätzlichen Finanzspritze für die Kassen kam auch von den Grünen. Ekin Deligöz mahnte, es gehe hier auch um das Vertrauen der Versicherten in das System, das nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Zwar seien die Reserven im Gesundheitsfonds derzeit hoch, es handele sich aber um das Geld der Beitragszahler.
Auch Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) verwies auf das nötige Vertrauen in den Staat und in die soziale Absicherung. Es sei nicht in Ordnung, die Kosten für Reformen nur bei den Versicherten abzuladen. Die Begründung für den Kassenzuschuss in Höhe von 1,5 Milliarden Euro wertete sie als „schäbiges“ Wahlkampfmanöver. Es sei nie um die Kosten für die Flüchtlingsversorgung gegangen. Kosten für Flüchtlinge seien aus Steuermitteln zu finanzieren. Sie erinnerte daran, dass es jetzt um den „Haushalt für das Wahljahr“ 2017 gehe und verlangte: „Da brauchen wir klare Ansagen.“
SPD: Zurück zur paritätischen Versicherung
Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach wandte sich entschieden gegen Vorhaltungen, wonach die Koalition mit ihren vielen Reformen das Gesundheitssystem nur deutlich teurer gemacht habe, ohne Entscheidendes für die Versicherten zu erreichen. Selbst bei kritischer Sicht könne nicht geleugnet werden, dass viel unternommen worden sei, was den Versicherten langfristig zugutekomme, so etwa die bessere Ärzteverteilung, die zügige Terminvergabe, die Hilfen für Universitätskliniken oder die zusätzlichen Pflegekräfte. Ohne mehr Geld zu investieren, seien diese Verbesserungen nicht zu haben.
Lauterbach räumte ein, dass auch er sich eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung wünsche. Das Projekt der paritätischen Bürgerversicherung sei wichtig. Auch Burkhard Blienert (SPD) forderte: „Die Arbeitgeber müssen zurück ins Boot.“
CDU/CSU: Private Krankenversicherung reformieren
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) wies die Forderungen nach einer solchen Änderung der Finanzierungsgrundlagen zurück. So funktioniere der Wettbewerb der Krankenkassen über die Zusatzbeiträge, sagte er und sprach von einer „Zeitungsente von der Zusatzbeitragsexplosion“. Dahinter stehe offenbar ein politisches Kalkül, um für die Bürgerversicherung zu werben.
Nüßlein sprach sich dafür aus, bei dem jetzigen System des Nebeneinanders von gesetzlicher und privater Krankenversicherung (GKV/PKV) zu bleiben. Allerdings wäre es sinnvoll, auch die PKV zu reformieren, um etwa Beitragssprünge zu verhindern und einen Anbieterwechsel zu erleichtern.
Gesamtausgaben von rund 15,1 Milliarden Euro
Der Einzelplan 15 sieht für das kommende Jahr Gesamtausgaben in Höhe von rund 15,1 Milliarden Euro (2016: 14,57 Milliarden Euro) vor, davon entfallen allein 14,5 Milliarden Euro auf den Bundeszuschuss für den Gesundheitsfonds, eine halbe Milliarde Euro mehr als im Vorjahr. Ursprünglich war der Bundeszuschuss gesetzlich bei 14 Milliarden Euro festgeschrieben.
Mit der Kürzung der Zuwendungen in Höhe von insgesamt 8,5 Milliarden Euro, verteilt über die Jahre 2013 bis 2015, wurde ein Beitrag zur Haushaltssanierung geleistet. 2016 erreichte der Zuschuss erstmals wieder die eigentlich festgelegte Höhe. Ab 2017 sollen nun dauerhaft 14,5 Milliarden Euro an den Fonds überwiesen werden.
Finanzierung versicherungsfremder Leistungen
Deklariert ist die Steuerzuwendung an den Fonds als pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Mit dem Geld werden sogenannte versicherungsfremde Leistungen finanziert, also zum Beispiel die beitragsfreie Familienmitversicherung oder Aufwendungen für Schwangerschaft und Mutterschaft.
Die Personalausgaben im Etat von Gröhe steigen 2017 laut Gesetzentwurf leicht um rund 6,8 Millionen Euro auf rund 231,5 Millionen Euro. Die sogenannten sächlichen Verwaltungsausgaben erhöhen sich im Jahresvergleich um rund 6,1 Millionen Euro auf dann knapp 168 Millionen Euro.
Bessere Versorgung von Pflegebedürftigen
Für die bessere Versorgung von Pflegebedürftigen stehen im Haushalt 4,9 Millionen Euro bereit, eine Million Euro mehr als dieses Jahr. Insgesamt sollen die Ausgaben für ,,Pflegevorsorge und sonstige soziale Sicherung„ rund 59 Millionen Euro betragen, knapp zehn Millionen Euro mehr als 2016. Darin enthalten sich auch rund 45,7 Millionen Euro zur Förderung der privaten Pflegezusatzversicherung, 6,7 Millionen Euro weniger als 2016. Für die gesundheitliche Prävention und Aufklärung der Bevölkerung sind rund 45 Millionen Euro veranschlagt, etwas mehr als 2016.
Neben dem Gesundheitsministerium umfasst der Einzelplan 15 auch die Etats der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie des Robert-Koch-Instituts. (pk/08.09.2016)