Gesundheit

Streit über Liefer­engpässe bei Arzneimitteln

Die aktuellen Lieferengpässe für zahlreiche Arzneimittel haben am Freitag, 19. Januar 2023, im Bundestag eine heftige Kontroverse zwischen Regierung und Opposition ausgelöst. Die Union warf der Bundesregierung am Freitag vor, das Problem nicht energisch genug anzugehen und kein Rezept in der Krise zu haben. Rednerinnen von SPD, Grünen und Linken hielten der Union im Gegenzug vor, das Problem in der Vergangenheit jahrelang nicht konsequent angegangen zu sein und auch jetzt keine Vorschläge zur Lösung zu präsentieren. Ein von der Union vorgelegter Antrag (20/5216) mit der Forderung nach einem Beschaffungsgipfel, um die Versorgungssicherheit für Patienten mit Arzneimitteln zu gewährleisten, wurde nach der Beratung an den Gesundheitsausschuss überwiesen.

CDU/CSU: Kein Plan gegen den Medikamentenmangel

Tino Sorge (CDU/CSU) erneuerte in der Debatte über den Antrag seinen Kernvorwurf an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), in Krisenlagen nicht schnell genug aktiv zu werden. So habe die Bundesregierung bis heute keinen nachhaltigen Plan gegen den Medikamentenmangel vorgelegt. Es sei ein eklatantes Problem, wenn Antibiotika, Fiebersäfte oder Krebsmedikamente nicht ausreichend verfügbar seien. In dieser kritischen Lage stehe die Koalition seit Monaten an der Seitenlinie, die Untätigkeit sei ein Skandal, monierte Sorge.

Die Union habe schon im Spätsommer vergangenen Jahres auf das Problem aufmerksam gemacht: auf den Preisdruck, die gestörten Lieferketten und Verlagerung der Arzneimittel-Produktion nach Asien. Zu der Zeit habe sich Lauterbach in einen Kaufrausch mit Corona-Impfstoffen hineingesteigert, die fehlenden Fiebersäfte für Kinder jedoch vergessen. Passiert sei nichts, die Probleme würden nicht angepackt. „Das ist Chaos mit Ansage.“ Sorge forderte die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Die Union sei gesprächsbereit.

FDP: Unions-Antrag ist blinder Aktionismus

Martina Stamm-Fibich (SPD) wies die Kritik der Union scharf zurück. Es sei zwar gut und richtig, über das Thema Arzneimittelsicherheit zu diskutieren, der Antrag der Union sei jedoch „blinder Aktionismus ohne Substanz“. Die Union lege keine Vorschläge vor, wie die Abhängigkeiten verringert und die strukturelle Probleme gelöst werden könnten. Sie rügte, statt das Problem an der Wurzel zu bekämpfen, wolle die Union einen weiteren Gesprächskreis gründen. Das sei völlig unnötig, zumal beim BfArM ein Fachgremium zur Arzneimittelversorgung bereits bestehe und auch längst beraten habe.

Es sei sinnvoll, mit einer aktiven Standortpolitik bestimmte Produktionsstätten für Arzneimittel nach Deutschland zurückzuholen, zudem würden Meldepflichten und ein besserer Überblick über Arzneimittel am Markt benötigt. Nur so ließen sich die Probleme langfristig lösen und Lieferengpässe reduzieren.

AfD: Bedrohung für unser Gesundheitssystem

Auf die wichtigen ausländischen Produktionsstätten für Arzneimittel wies auch Jörg Schneider (AfD) hin, der zu dem Schluss kam: „Lieferengpässe im Arzneimittelbereich sind eine Bedrohung für unser Gesundheitssystem.“ Schneider verwies insbesondere auf die akute Gesundheitskrise in China, wo eine massive Infektionswelle zu beobachten sei.

„Das Beschaffungsproblem heißt im Moment China“, von dort erhalte Deutschland normalerweise mehr als 90 Prozent der Antibiotika. Derzeit komme von dort nicht viel an, weil China die Medikamente selbst benötige. Andere EU-Länder hätten im Übrigen keine Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Das werfe die Frage der europäischen Solidarität auf.

Grüne fordern Diversifikation von Lieferketten

Dr. Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen) empfahl ebenfalls einen Blick über den nationalen Tellerrand und erklärte, knappe Arzneimittel seien kein exklusives deutsches Problem. Überdies gehe es nicht nur um Arzneimittel für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Sie sprach sich dafür aus, die Probleme an der Wurzel zu packen und dabei die diversen Ursachen der Mangellage zu beachten: eine erhöhte Nachfrage international, der Ausfall von Produktionsstätten aus unterschiedlichen Gründen, niedrige Margen und weniger Hersteller. Sinnvoll sei eine Diversifikation von Lieferketten. Den Antrag der Union wertete die Grünen-Politikern als substanzlos. „Dieser Abfall an arzneimittelpolitischer Kompetenz macht sprachlos.“

Linke für Verpflichtung der Unternehmen

Kathrin Vogler (Die Linke) erinnerte daran, dass seit vielen Jahren über Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln gesprochen werde. „Das Problem wird immer größer, aber kein Gesundheitsminister hat sich ernsthaft darum gekümmert, es zu lösen.“ Verzweifelte Eltern hätten zuletzt mit Medikamenten für Erwachsene versucht, selbst Fiebersäfte für Kinder herzustellen oder seien in Nachbarländer gefahren, um Arzneimittel zu besorgen. Apotheken, Krankenhäuser und Patienten hätten sich fast schon daran gewöhnt, dass Antibiotika, Schmerzmittel, Krebsmedikamente, Schilddrüsenhormone, Insulin oder Arzneimittel gegen Epilepsie immer wieder fehlten. „Aber wir müssen das doch nicht hinnehmen.“

Vogler kritisierte überdies die aus ihrer Sicht dominante Pharmabranche. Wenn es einen Bereich gebe, wo das unternehmerische Risiko von der Gesellschaft getragen werde, während die Gewinne privatisiert würden, sei das die Pharmaindustrie. Die Pharmafirmen hätten ein gigantisches Erpressungspotenzial, bei sinkenden Gewinnmargen drohten sie mit Lieferstopps. Vogler forderte: „Wir brauchen sanktionsbewehrte Verpflichtungen für die Unternehmen zur Vorratshaltung bei unersetzlichen Medikamenten.“ Zudem müssten die Rabattverträge überdacht werden. „Wir brauchen ein anderes System der Preisbildung.“

FDP: Mehr Arzneimittel in Deutschland herstellen

Lars Lindemann (FDP) nahm die Industrie hingegen in Schutz. Es gehe im Kern um die richtigen Rahmenbedingungen, damit in Deutschland wieder mehr Arzneimittel hergestellt werden. Deutschland sollte sich zum Ziel setzen, wieder die „Apotheke der Welt“ zu werden.

Die Pharmabranche stelle hochwertige Arbeitsplätze zur Verfügung, die Industrie müsse investieren und die Politik die Rahmenbedingungen setzen. Lindemann zeigte sich überzeugt, bei einem Pakt für Deutschland, der sicherstelle, dass hier produziert und geforscht werde, müsse künftig über Lieferprobleme bei Arzneimitteln nicht mehr gesprochen werden.

Antrag der CDU/CSU

Die Unionsfraktion stellt fest, dass sich die Versorgungslage mit Arzneimitteln in den vergangenen Monaten massiv verschlechtert habe. Fiebersäfte, Antibiotika, Insulin oder Krebsmedikamente seien zurzeit flächendeckend kaum noch erhältlich oder komplett vergriffen, heißt es in dem Antrag der Fraktion. Eine Ursache für Lieferengpässe sei die Produktionsverlagerung und -konzentration vieler Arzneimittel oder Grundstoffe in asiatische Länder mit der Folge, dass Deutschland seinen Status als „Apotheke der Welt“ verloren habe.

Die Abgeordneten fordern in dem Antrag unter anderem, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wichtige Arzneimittel, insbesondere für Kinder und Krebspatienten, wieder primär in Europa produziert werden und eine Reserve für Arzneimittel aufgebaut wird. (pk/irs/20.01.2023)

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