Eröffnungsrede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Ausstellung „Wehrhafte Demokratie – Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die Verteidigung der Weimarer Republik“
[Es gilt das gesprochene Wort]
Sehr geehrter Herr Dr. Felgentreu –
lieber Fritz,
sehr geehrter Herr Professor Dr. Tuchel,
liebe Kollegin Teuteberg,
lieber Kollege Ullrich,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Kameradinnen und Kameraden des Reichsbanners,
meine Damen und Herren!
Was sehen wir auf den Ausstellungstafeln?
Aufmärsche in Formation mit Fahnen.
Männer in Uniform.
Martialische Sprüche.
Sie singen ein Lied mit dem Vers:
„Pulver ist schwarz,
Blut ist rot,
Golden flackert die Flamme!“
Das hat etwas Befremdliches.
Es erscheint uns militaristisch.
Warum sind wir dann heute hier, um an das 100. Gründungsjubiläum des Reichsbanners zu erinnern?
Weil dieser uniformierte Männerbund für Schwarz-Rot-Gold demonstrierte.
Weil das Reichsbanner für die Demokratie und die Weimarer Republik einstand – als sie in Gefahr war.
Der erste Eindruck der Fotos täuscht also und zeigt:
Genaues Hinschauen ist wichtig.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit dieser Ausstellung ehren wir die weit über eine Million Menschen, die als Mitglieder des Reichsbanners die Weimarer Verfassung verteidigt haben.
Gegen die Feinde der Demokratie auf der links- und rechtsextremen Seite.
Wir wissen: Am Ende nicht erfolgreich.
Das lag aber nicht an der Schwäche des Reichsbanners.
Sondern an der Stärke und Brutalität der Gegner der Demokratie.
Das Reichsbanner brachte große Namen zusammen.
Unter anderem: Gustav Heinemann, Theodor Heuss, Paul Löbe, Philipp Scheidemann, Otto Wels,
Harry Graf Kessler.
Es war keine elitäre Veranstaltung – sondern eine demokratische Massenorganisation.
Das Reichsbanner war zuallererst ein Veteranenverband.
Die Soldaten des Ersten Weltkrieges waren keineswegs alle kaisertreu.
Nein – gerade das Leid der Soldaten im Krieg führte zu demokratischen Überzeugungen.
Die Soldaten im Reichsbanner waren nicht militaristisch, sondern republikanisch gesinnt.
Auch wenn sie mit dem Reichsbanner eine Organisationsform wählten, die an das Militärische erinnerte:
Eine eigene Bewaffnung lehnte das Reichsbanner lange ab.
Das Selbstverständnis war ein defensives, kein aggressives.
Selbstverteidigung und Verteidigung der Republik – aber kein Angriff.
Die Schutzformationen des Reichsbanners planten sogar, der Polizei im Fall eines Staatsstreichs ihre Unterstützung als Hilfstruppe anzubieten.
Und so rief das Reichsbanner auch zuallererst den Staat auf, konsequent gegen die Feinde der Demokratie vorzugehen.
Ich zitiere aus einem Flugblatt vom März 1931:
„Nationalsozialistische Blutsaat
geht auf!
Staat, werde hart, es ist höchste Zeit!“
Zitatende.
Das Reichsbanner trat an zur Verteidigung der Republik, als diese angegriffen wurde.
Durch politische Gewalt und Putschversuche.
Durch Morde an Politikerinnen und Politikern – ich nenne nur Rosa Luxemburg, Kurt Eisner, Matthias Erzberger und Walther Rathenau.
Das Reichsbanner war im Einsatz als Saal- und Versammlungsschutz der SPD, des Zentrums und der DDP.
Und schuf damit den Raum für demokratischen, überparteilichen Dialog.
Angesichts der eskalierenden Gewalt in der späten Weimarer Republik war dieser Schutz bitter nötig.
Je stärker die Nationalsozialisten in den 20er und 30er Jahren wurden,
desto klarer war:
Das Reichsbanner braucht neue Mitglieder.
Längst waren auch jüngere Männer ohne Kriegserfahrung willkommen.
Aber keine Frauen.
Erst als sich ab 1931 mehrere Verbände in der Eisernen Front zusammenschlossen, öffnete sich die Organisation für Frauen.
In dem Wissen: Es braucht alle, um die Demokratie zu verteidigen.
Verteidigung der Demokratie – das heißt eben nicht nur Abwehr ihrer Gegner.
Verteidigung der Demokratie braucht überzeugte Demokratinnen und Demokraten mit einer republikanischen Identität.
Demokratisch konnte jede und jeder sein.
Unabhängig vom Glauben.
Auch darauf kann das Reichsbanner bis heute stolz sein:
Es hat sich immer gegen Antisemitismus und Extremismus positioniert.
Das Reichsbanner organisierte regelmäßig Großveranstaltungen in der ganzen Republik.
Insbesondere zum damaligen Verfassungstag, dem 11. August.
Ab etwa 1930 waren dies aufrüttelnde Aufklärungsveranstaltungen.
Die Reichsbanner-Mitglieder kannten die SA und ihre Brutalität.
Sie sahen die Schrecken des Nationalsozialismus und der Diktatur kommen.
Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte das Reichsbanner viele Opfer zu beklagen.
Nach 1933 gingen viele Reichsbanner-Mitglieder in den Widerstand.
Viele wurden ins Exil getrieben, drangsaliert, verfolgt und ermordet.
Die Mitglieder des Reichsbanners standen ein für ihre politischen Überzeugungen und identifizierten sich mit der Republik.
Ich zitiere aus einem Gedicht zur Trauer um ein ermordetes Reichsbanner-Mitglied:
„Wem hat der Schuß gegolten?
Er galt der Republik.“
Zitatende.
Die Nationalsozialisten wussten:
Um die Diktatur zu errichten, mussten sie die die überzeugten Demokratinnen und Demokraten aus dem Weg räumen.
Das Reichsbanner war nicht ohne Grund ein zentrales Angriffsziel der SA.
Und eine der ersten Organisationen, die die Nationalsozialisten verboten.
Nach 12 Jahren nationalsozialistischer Verbrechensherrschaft haben uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes aufgetragen, unsere Demokratie wehrhaft zu schützen.
Carlo Schmid rief im Parlamentarischen Rat 1948 dazu auf:
Man müsse denen gegenüber „Mut zur Intoleranz“ aufbringen, „die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“.
Wir müssen uns daher immer wieder neu fragen, wie wir Gegnern der Demokratie gegenübertreten.
Derzeit beobachten wir, wie politische Kräfte unseren Staat verächtlich machen.
Durch gezielte Desinformation.
Durch das Schüren von Vorurteilen gegenüber Minderheiten.
Durch das Bedienen und Verstärken von Ängsten der Menschen in unserem Land.
Und Angriffe auf Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer häufen sich.
Populismus ist allgegenwärtig – und zielt letztlich auf unsere freiheitliche und vielfältige Demokratie.
Wir brauchen überzeugte Demokratinnen und Demokraten für eine wehrhafte Demokratie.
Das Reichsbanner wollte eine „republikanische Identität“ schaffen.
Ich würde es heute „demokratische Identität“ nennen.
Diese müssen wir in den Herzen der Menschen verankern!
Es ist unsere Verantwortung heute, an die Menschen zu erinnern, die für die Demokratie und die Republik gekämpft haben.
Das tut diese Ausstellung.
Sie ist Mahnung und Aufruf an alle Demokratinnen und Demokraten:
Seid wehrhaft!
Ich schließe mit dem Gruß des Reichsbanners: Freiheit!
Vielen Dank.